Einzelkritik:Superman und Musketier

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Ein Dolchstoß-Spieler, ein Held der Arbeit und ein Schurke, der am Ende gewinnt - der FC Bayern in der Einzelkritik.

Von Martin Schneider

Sven Ulreich: Sein Chef Karl-Heinz Rummenigge forderte, in Madrid den Heldentod zu leben, aber als der Bayern-Boss diese martialischen Worte vor dem Abflug sprach, da konnte er nicht ahnen, was seinem Torwart passieren würde. Ulreich merkte offenbar bei einem Rückpass von Corentin Tolisso Sekunden nach Wiederanpfiff viel zu spät, dass er den Ball nicht mit der Hand aufnehmen darf. Er rutschte dann unkoordiniert an der Kugel vorbei - Karim Benzema musste nur noch einschießen. Ein Blackout, ein Anfängerfehler im Champions-League-Halbfinale. Es nutzte dann natürlich wenig bis gar nicht, dass er sonst gut hielt, nach seinem Patzer die Nerven bewahrte und trotzdem zum Beispiel noch mutig herauskam und einen langen Ball von Real Madrid vor seinem Strafraum mit dem Kopf klärte. Das Gegentor war der Tod der Final-Hoffnungen des FC Bayern und Sven Ulreich der traurigste aller Helden in Madrid.

Joshua Kimmich: Hätte der Held des Hinspiels werden können mit seinem listigen Ausgucker-Tor gegen Real-Keeper Keylor Navas. Hätte auch der Held des Rückspiels werden können mit seinem fixen 1:0 nach drei Minuten. Lieferte im Santiago Bernabéu eine ziemlich galaktische Leistung. Sein einziges Problem: Gegenspieler Marcelo tat das auch. Konnte den Brasilianer oft, aber gerade bei seiner Flanke vor dem 1:1 nicht stoppen. Schrie seine Mitspieler nach dem 1:2 an, nicht aufzugeben. Man kann im Fußball aber leider nicht alleine zum Helden werden.

Das Spiel hatte mit einem Münchner Paukenschlag und einem markanten Farbmotiv begonnen: Der rot gekleidete Torschütze Kimmich stolzierte vor der weißen Real-Wand. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Niklas Süle: Cristiano Ronaldo hatte diesen Süle offenbar als Schwachpunkt der Bayern-Verteidigung ausgemacht. Dem Kühlschrank lauf ich davon, dachte sich der Weltfußballer wohl und orientierte sich auf dem Feld in Richtung des 1,95-Meter-Mannes. Ronaldo lief dann aber Süle nicht davon, sondern spürte dessen 90 Kilo im Rücken und seinen Atem auf der Gelfrisur. Süle flankte dann auch noch vor James' 2:2 in die Mitte und rettete in der 77. Minute mit einer Grätsche gegen Ronaldo. Süle als Schwäche zu sehen, war eine Schwäche der Madrider Taktik.

Mats Hummels: Sieht aus wie ein bajuwarischer Musketier und spielte nach dem Motto: Einer für alles. In Abwesenheit von Jérôme Boateng für den Spielaufbau zuständig, bei Anwesenheit von Cristiano Ronaldo für Cristiano Ronaldo zuständig. Focht überall auf dem Platz seine Duelle aus, lief in der 34. Minute zum Beispiel mit dem Ball am Fuß durchs ganze Santiago Bernabéu, passte auf Robert Lewandowski - nur das Tor, das konnte er dann nicht selbst machen.

David Alaba: Wäre David Alaba Superman, dann wäre Karim Benzema sein Kryptonit. Verlor seine Kraft, wenn der Franzose ankam, ließ sich im Spiel zu oft auswackeln und den Franzosen beim Gegentor hinter seinem Rücken einköpfen. Nach vorne besser als nach hinten, aber da fehlte ihm die Präzision. In Alabas Heldengeschichte gewann der Schurke.

Thiago: Wäre er ein Held im, sagen wir, Mittelalter, dann würde er sich als Waffe keine Streitaxt aussuchen. Ist ja eher der Dolchstoß-Spieler, aber nachdem Javi Martínez nicht in der Startelf stand, musste Thiago im defensiven Mittelfeld den Ansturm eines Marco Asensio aufhalten. Gelang ihm nicht immer, schlug sich in seiner Rolle als letzte Verteidigungslinie aber ganz gut. Schaffte es in der zweiten Halbzeit immer mehr, zum Spielgestalter zu werden, brachte die Pässe an den Mann, die er im Hinspiel noch verschusselte. Zusammen mit James die Ideenzentrale.

Corentin Tolisso: Es wäre zu gemein, an dieser Stelle zu schreiben, seine Superheldenkraft sei es, sich unsichtbar zu machen. So schlimm war es nicht, aber ein bisschen mehr hätte es von ihm schon kommen können, vor allem nach vorne. Schlenzte kurz vor der Pause einen Ball am Kreuzeck vorbei, spielte dann den verhängnisvollen Rückpass auf Ulreich. Unglücklicher Tag, musste für Sandro Wagner gehen.

Thomas Müller: War am Tag der Arbeit der Held der Arbeit. Lief und lief und lief und suchte und suchte und suchte den Abschluss. Allein: Er hätte schon ein bisschen genauer sein dürfen. Seine Pässe waren wie seine Laufwege: unberechenbar und zuweilen kreuz und quer übers Spielfeld. Hatte die letzte Chance. Grätschte vorbei.

Deutsche Nationalspieler unter sich in der Luft: Thomas Müller (links) im Zweikampf mit Toni Kroos, der nur selten richtig offensiv werden konnte und noch seltener effektiv war. (Foto: Javier Soriano/AFP)

James Rodríguez: Bester Mann des Hinspiels und gefragtester Mann des Rückspiels, weil er ja auf dem Papier immer noch Spieler von Real ist und an Bayern nur ausgeliehen. Erst nicht so prägend, mit zunehmender Spieldauer prägender. Vergab kurz vor der Pause eine Chance der Kategorie "Muss er machen" - machte dann nach der Pause sein Tor mit dem zweiten Schussversuch und jubelte wie angekündigt nicht. Musste zehn Minuten vor dem Ende für Javi Martínez weichen.

Franck Ribéry: Die Bayern-Fans zeigten ihn mal bei einer Choreografie als Batman. Hatte seinen Robin David Alaba wieder auf der Seite und raste wie im Batmobil die Außenbahn entlang. Ist aber mittlerweile 35 Jahre alt, und je länger so ein Abnutzungskampf im Bernabéu dauert, desto weniger Geschwindigkeit bekommt er in seine Aktionen. Vor allem in Abwesenheit von Robben immens wichtiger Faktor im Bayern-Spiel, setzte sich gegen den Aushilfsverteidiger Lucas Vazquez sehr oft durch, kam aber nicht zu einer entscheidenden Aktion. Und eine einzige Aktion hätte der FC Bayern noch gebraucht.

Robert Lewandowski: Will immer der Held sein, ist auch oft der Held, aber wenn er es dann mal nicht ist, dann fällt es halt auf. Musste sich nach dem Hinspiel Kritik anhören, er sei kein Stürmer für große Spiele. Versuchte zunächst ein großes Laufpensum, was ihm Fleißpunkte brachte, ihn aber auch oft weit weg vom Tor führte. Beschwerte sich oft beim Schiedsrichter, weil er sich zu hart angegangen fühlte, führte auch alle Zweikämpfe gegen die Sergio Ramosse dieser Welt. Unterm Strich bleibt: Kein Tor in einem großen Spiel.

Sandro Wagner: Kam für Corentin Tolisso und sollte Robert Lewandowski beim Sergio-Ramos-Wegblocken helfen. Tat er, kam aber auch nicht zu einer entscheidenden Aktion. Also zu einem Tor.

Javi Martínez: Kam ein bisschen überraschend für James Rodríguez und sollte wohl auch ein Tor im Sandro-Wagner-Stil erzielen. Gelang ihm nicht.

© SZ vom 02.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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