Einzelkritik:Norwegerpulli statt Zauberstab

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Torschütze Kimmich schlägt Kerzen zum Holmenkollen und Özil beherzigt die Stilvorgaben.

Von j. beckenkamp, c. kneer

Manuel Neuer: Durfte in Norwegen seinen ganz besonderen Elchtest bestreiten: Ist ja nun qua Binde der Stammesälteste. Geriet kurz vor der Pause in Schräglage, aber das war keine Panne, sondern ein Qualitätsmerkmal. Er zeigte mitten in Skandinavien den algerischen Neuer vom Achtelfinale der Weltmeisterschaft 2014: Der Torwart rettete mal wieder als Libero auf Höhe der Außenlinie.

Joshua Kimmich: Ist der Stammesjüngste, weshalb er wohl erst im Jahr 2028 Capitano wird. Begann sein erstes WM-Quali-Spiel mit einer Kerze Richtung Holmenkollen. Probierte es mit forschen Läufen über rechts, fehlte dann aber hinten, was ein paar Mal zu Schwierigkeiten führte, ein paar Mal aber auch nicht. Hatte als strebsamer Eliteschüler des Bundestrainers bei den Debatten der vergangenen Tage offenbar gut zugehört: Bemühte sich, schnell und direkt in den Strafraum zu spielen - oder zu rennen, wie bei seinem 2:0 kurz vor der Pause.

Mats Hummels: War schon beim BVB Kapitän, kennt deshalb die Rechte und Pflichten eines echten Platzhirschen. Führte sich aber mit einer Daddelei ein, für die ihn der Norweger King fast gehörnt hätte. Haute sich wie gewohnt mit bemerkenswerter Leidenschaft in die Zweikämpfe, manche hatte er aber auch selbst provoziert, weil er mitunter ein bisschen windschief im Raum stand. Verbrachte insgesamt einen eher fahrigen Abend. War diesmal eher Reh als Hirsch.

Benedikt Höwedes: Ersetzte in der Abwehrmitte den Oberhirsch Boateng, den es noch ein wenig am Geläuf zwickt. Prüfte mit seinen Hufen gleich mal den norwegischen Keeper Rune Jarstein. War einst Teil der legendären WM-Ochsenabwehr, diesmal ein solider Elch. Nach vorne aber naturgemäß etwas schwerhufig.

Jonas Hector: Einziger echter Geißbock unter lauter Rentieren, aber natürlich unersetzlich - denn Linksverteidiger kann sich kein Bundestrainer schnitzen. Tauchte diesmal als halber Linksaußen auf, feuerte ein paar Flitzeflanken aus dem Lauf ab und mühte sich in der Rückwärtsbewegung. Taktisch solidarisch wie ein echter Nordmann.

Der neue deutsche Kapitän in seinem liebsten Nebenjob: Manuel Neuer, als Torwart in Oslo kaum gefordert, gibt mal wieder den Libero. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Sami Khedira: Besitzt eine Fähigkeit, die viele Autos von Mercedes damals beim Elchtest nicht hatten: Behält auch in Kurvenlage stets die Kontrolle. War gegen die robusten Norweger im Zentrum als Prellbock gefragt, was zu einigen Kollisionen führte. Riss noch mehr Kilometer runter als der alte Björndalen, verhedderte sich am Schießstand aber manchmal im dichten Verkehr. Machte sich beim Publikum mehrfach mit kleinen Zupfern unbeliebt. Zog sein Ding aber unbeirrt durch wie der Südpol-Erklimmer Fritjöft Nansen - und entdeckte beim 3:0 sogar noch eine neue Vorliebe fürs Flanken.

Toni Kroos: Lernte das Fußballspielen einst zwischen Süd-Skagerrak und deutscher Ostseeküste und gilt damit als halber Norweger. Mühte sich in Oslo um Ordnung im eigenen Rudel, garnierte jede Ballannahme mit einem Telemark - wirkte manchmal aber etwas zu gemächlich. Würde man ihn Norwegisch aussprechen, hieße er Krøøs. Verlebte in der Mitte des deutschen Mittelfeldes einen wie immer sehr souveränen, aber wie gelegentlich halt auch etwas unterkühlten Abend im Norwegerpulli.

Thomas Müller: Stammt aus Pähl am Starnberger See, quasi dem Skagerrak des bayerischen Oberlandes. Warf sich in die tosende See dieses Spiels und haute ein paar Kanonenflanken vors gegnerische Tor. Erlebte dann aber das, was die Norweger "tunnelen" nennen: Bekam sauber den Ball durch die Beine gespielt. Wurde danach zum Rumpelstilzchen. Seine Sorgen waren jedoch unbegründet: Beendete mit einem Gurkerltor vom Allerfeinsten zum 1:0 stilecht seine lange Torflaute beim DFB. Rochierte vorne viel, spielte links wie rechts und war häufiger im Strafraum als bei jenen Spielen, in denen er Mittelstürmer spielen muss. Zum 3:0 traf er dann schon wieder routiniert wie einer, der nie eine Torflaute hatte.

Flugeinlage im Mittelfeld: Sami Khedira (rechts) im Duell mit dem Norweger Adama Diomande. (Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Mesut Özil: Vom Stadionsprecher fachgerecht als Øzil vorgestellt und auch sonst voller Anerkennung empfangen, denn viele Norweger sind Arsenal-London-Fans. Hatte erkennbar den Auftrag zum Steilspielen bekommen, sein Weg führte ihn fast immer schnurstracks nach vorne. An ihm zeigte sich am deutlichsten jenes Oberthema, das Joachim Löw für den neuen Qualifikationszyklus ausgegeben hat: Nicht quer spielen, nicht zaubern, keinen Haken zu viel. Die neue Stilvorgabe tat Özils Spiel sehr gut.

Julian Draxler: Fühlt sich dieser Tage genötigt, in der Tundra am Mittellandkanal (Wolfsburg) zu verøden. Freute sich deshalb ganz besonders über den Ausflug an den Oslofjord. Auch er verbrachte nach auskurierter Grippe dem neuen Auftrag gemäß viel Zeit im und um den Strafraum herum, als liege dort sein Jagdrevier. Fand aber zu selten echte Beute, um sich in den Vordergrund zu spielen.

Mario Götze: Könnte mit seinen Dribblings auf jedem Hurtigruten-Dampfer im Abendprogramm auftreten, aber erstaunlicherweise profitierte ausgerechnet der zentrale Offensivspieler von Borussia Dortmund am wenigsten von der neuen Strafraumfixierung der Mannschaft. Er spielte trotzdem weiter wie der Alleinunterhalter auf dem Kreuzfahrtschiff: Zeigte Übersteiger, Wackler, Loopings, aber irgendwie kannte das Publikum dieses Programm schon.

Julian Brandt: Bei seiner Einwechslung tauchte auf der Stadionleinwand plötzlich der Name "Schweinsteiger" auf. Auch blød. Grund: Brandt trägt ab sofort im Nationalteam Schweinsteigers heilige Rückennummer sieben. Der Leverkusener ließ immerhin noch einen schweinsteiger-esken Weitschuss los.

Julian Weigl / Max Meyer: Der Dortmunder und der Schalker betraten den Rasen in Oslo spät, dafür unter ihrem richtigen Namen.

© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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