Einzelkritik:Bacalao mit Gräten

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Manuel Neuer springt Richtung Algarve, aber Arturo Vidal bringt das Estádio da Luz mit dem 1:1 zum Schweigen. Martínez verdient sich einen Hauch Kritik.

Von Claudio Catuogno und Thomas Hummel

Manuel Neuer: Ist bekanntlich der beste Torwart der Welt, sah aber plötzlich wie ein Grashüpfer aus: Im grünen Trikot sprang Neuer bei der Flanke, die zum 1:0 führte, aus seinem Tor und landete ohne Ball in der Nähe der Algarve. Musste kurz darauf einen Rückpass mit dem Fuß weiterspielen, den andere Torhüter gerade so um den Pfosten gelenkt hätten. Da wieder der Beste der Welt. War wegen der aufrückenden Portugiesen ungewöhnlich oft als letzte Anspielstation gefordert. Drosch diverse Oliver-Kahn-Gedächtnisbälle Richtung Tribüne. Beim 2:2 chancenlos.

Philipp Lahm: Hat jetzt, was er bestimmt nie wollte, auch etwas mit Oliver Kahn gemeinsam: 103 Champions-League- Spiele. Eine Zahl, die ihn als deutschen Rekordhalter ausweist. Und damit nicht genug der Parallelen: Lahm hat in diesen 103 Spielen, wie Kahn, null Tore erzielt. War vor der Partie "zuversichtlich, diese Statistik weiter auszubauen", was ihm beinahe misslungen wäre: Diverse vielversprechende Ausflüge in den Benfica-Strafraum, obwohl er auch als nomineller Rechtsverteidiger gut beschäftigt war. Nach dem Rückstand als Antreiber gefordert. Definitiv eines der besten seiner 103 Spiele.

Joshua Kimmich: Ließ schon nach wenigen Sekunden zum ersten Mal das Estádio da Luz erbeben, weil er einen Freistoß am eigenen Strafraum verursachte. Lenkte diesen beinahe ins eigene Tor. Wirkte eifrig mit am Ballbesitzspiel der Münchner, machte aber auch mehrfach deutlich, dass er halt doch kein ausgebuffter Innenverteidiger ist. Hat sich, um es mal mit Matthias Sammer zu sagen, "den Hauch eines Ansatzes von Kritik" verdient.

Javier Martínez: Ist bekanntlich ein ausgebuffter Innenverteidiger - seine Rückkehr nach einer Meniskusverletzung war den Bayern so willkommen wie ein gutes Glas Vinho Verde. Wirkte aber nicht in jeder Szene wie ein ausgebuffter Innenverteidiger - eher, als sei er spontan von der Saudade erfasst worden, der portugiesischen Form der Melancholie. Sprang beim Gegentor, ähnlich wie Neuer, vergebens neben Jiménez in die Luft - später dank seiner Kopfballstärke aber der Vorbereiter von Müllers 2:1, auch als Abräumer unverzichtbar. Hatte sich mindestens den Hauch eines Ansatzes von Kritik verdient, als er Gegenspieler Guedes rotwürdig foulte; gerechte Strafe: der fällige Freistoß landete zum 2:2 im Tor. Flog aber aus mysteriösen Gründen trotz weiterer Fouls nicht vom Platz.

David Alaba: Sah den Grashüpfer Neuer an sich vorbei Richtung Algarve hüpfen. War so verblüfft, dass er beim 0:1 auch nicht mehr eingriff. Auch das Zusammenspiel mit Kumpel Ribéry klappte nicht immer wunschgemäß. Ließ sich aber nicht irritieren und zermürbte die Gegenspieler mit seiner Schnelligkeit und seinem Einsatz.

Xabi Alonso: Gab gewissermaßen den Marques de Pombal im Spiel der Bayern - der hatte Lissabon einst nach einem Erdbeben am Reißbrett wiedererbaut. Jetzt baute Alonso das Spiel der Bayern. Suchte mit gewohnt präzisen Diagonal-Pässen die besten Wege ins Hinterland von Benfica. Sobald es eng wurde um ihn herum unterliefen ihm aber auch diverse Auffahrunfälle.

Thiago: Arbeitete eher als Kleinkünstler denn als Baumeister im Mittelfeld, legte allerdings die feinen Mosaiksteinchen auf die Straßen Alonsos. Seine Übersteiger und Kurzpässe waren künstlerisch wertvoll, aber fielen bisweilen auch in die Kategorie der brotlosen Kunst.

Arturo Vidal: Mit links, Vollspann aus 20 Metern. Was leicht aussah, war technisch schwierig, und so widerlegte Vidal beim 1:1 den Vorbehalt, er sei nur der Mann fürs Grobe. Ist ja der Einzige, der an Guardiolas Ballbesitzfußball kaum teilnimmt. War aber auch der einzige, der mit einer Grätsche die lärmenden Zuschauer kurz zum Schweigen brachte. Und natürlich mit einem Vollspann-Schuss. Vidal ist derzeit eine Lebensversicherung für die Bayern.

Douglas Costa: Auf der rechten Seite erstaunlich oft frei - und dann meistens mit erstaunlich unpräzisen Zuspielen. Es hatte seinen Grund, dass Philipp Lahm ihn bei seinen Vorstößen bisweilen einfach stehen ließ. Seinen einzigen Torschuss setzte er hingegen präzise an den Pfosten.

Franck Ribéry: Dass er wieder regelmäßig mitspielt, ist den Bayern so willkommen wie ein ofenfrischer Bacalao, trotz der vielen Gräten. Zog auf seiner linken Seite wie üblich stets mehrere Gegenspieler auf sich und öffnete so Räume. Ist weiterhin noch nicht so zwingend wie vor seiner langen Verletzung, trotzdem: Nicht den Hauch eines Ansatzes von Kritik an Ribéry!

Thomas Müller: Hatte auf die Frage nach der Stimmung im Team in Lissabon geantwortet: "Wir lachen viel, es gibt nix Negatives." Lachte dann zunächst nicht so viel: Weil Guardiola den Mittelstürmer Robert Lewandowski draußen ließ, musste Müller sich als einsamer Kreisläufer aufreiben. Wartete auf seine Chance - und als die kam, lenkte er den Ball zum 2:1 ins Tor. Hat dann doch noch viel gelacht.

Robert Lewandowski: Laut polnischer Quellen wurde der Stürmer am Wochenende in einen Autounfall verwickelt (schuldlos, unverletzt) - womöglich auch deshalb spät eingewechselt.

Juan Bernat, Mario Götze: Noch viel später eingewechselt. Nur ein Hauch eines Einsatzes, und daher ohne Kritik.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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