Eintracht Frankfurt:Frankfurter Fabelwesen

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Wer bleibt? Wer geht? Für die Eintracht beginnt nach der Pokalniederlage eine Saison mit vielen Unbekannten.

Von Barbara Klimke, Berlin

Noch im grünen Torwartdress, abgekämpft, aber ungebrochen, erschien der Mann der Abends nach Spielschluss vor den Kameras. Damit war klar, dass so ein Pokalfinale einem Frankfurter Adler zwar das Gefieder rupfen, aber nicht die Schwingen stutzen kann. Selbstverständlich übernehme er die Verantwortung für den Strafstoß in der 67. Minute und die 1:2-Niederlage gegen Dortmund, die daraus folgte, erklärte Lukas Hradecky, der Keeper der Eintracht. "Natürlich hatte ich gehofft, dass ich einen Elfmeter halte, und nicht, dass ich einen verschulde." Trotz der Enttäuschung aber überwiege der Stolz auf das, was die Elf jüngst vollbracht habe. "Man muss sehen, wo wir hergekommen sind. Wir waren praktisch tot."

Mausetot, das vielleicht nicht ganz. Aber dass die Zukunft des traditionsreichen Vereins noch vor einem Jahr gefährlich auf der Kippe stand, ist nicht zu leugnen. Nun hat es Eintracht Frankfurt innerhalb von nur zwölf Monaten von einem Überlebensspiel, der Erstliga-Relegation gegen Nürnberg, auf die größte Fußballbühne im Land und zu einem sehr beachtlichen Pokalfinal-Auftritt in Berlin gebracht. Und es steht außer Frage, dass es Keeper Hradecky, 27, war, der die Elf in den kritischen Phasen der jüngeren Zeit regelmäßig mit Glanzparaden reanimierte.

Ein Schritt zu viel: Eintracht Frankfurts Torwart Lukas Hradecky, der bis dahin einen tadellosen Ruf als Elfmeter-Killer genoss, wird bei der Kollision mit Christian Pulisic (r.) zum Elfmeter-Verursacher. (Foto: AP)

Schon in der ersten Pokal-Runde, im August beim 1. FC Magdeburg, hatte der in der Slowakei geborene Finne beim Sieg im Elfmeterschießen zwei Strafschüsse gehalten. Den nächsten parierte er im Achtelfinale in Hannover in der Nachspielzeit. Und spätestens seit er am 25. April, im Shoot-out des Halbfinals gegen Mönchengladbach, die letzten beiden Elfmeter im Flug abfing, wurde er, passend zum Vereinswappen, zum König der Lüfte ausgerufen.

Aber selbst der sprunggewaltigste Keeper ist letztlich doch kein Fabeltier. Und so hatte es eine gewisse Tragik, dass der Mythos Hradecky ausgerechnet im Finale entzaubert wurde. Es stand 1:1, als der Dortmunder Christian Pulisic im Vorwärtsdrang den Ball an Hradecky vorbeilegte; Hradecky touchierte den Stürmer und holte ihn von den Füßen. Beim Strafstoß von Pierre-Emerick Aubameyang zum 1:2 hechtete der Torwart zum Entsetzen von Trainer Niko Kovac fälschlicherweise in die Ecke. "Ich kann dem Lukas keinen Vorwurf machen", sagte Kovac später versöhnlich. So eine Fehlerkette beginne ja viel, viel früher, "aber wenn ein Torwart rauskommt, ist es klar, dass der Stürmer den Körperkontakt sucht. Und am Ende war es ein Foul". Zum spekulativen Verhalten von Hradecky beim Strafstoß selbst meinte der Trainer seufzend: "Ich hätte mir gewünscht, er wäre stehen geblieben." Niko Kovac, 45, hätte sich und seiner Mannschaft, die angetrieben vom quirligen Ideengeber Mijat Gacinovic "mit so viel Einsatz, so viel Herz, so viel Wille" gegen die Dortmunder Prominententruppe ankämpfte, den Pokalgewinn natürlich gewünscht. Gerade in Berlin, in seiner Heimatstadt. Er wuchs mit Bruder Robert, heute sein Assistenztrainer, nur ein paar Kilometer vom Olympiastadion entfernt auf, er lernte das Fußballspielen bei Rapide Wedding und auf der Schillerwiese. Manchmal mussten sie damals um Kaninchenlöcher, Gullideckel und picknickende Familien herumdribbeln, hat sein Jugendtrainer der Berliner Morgenpost erzählt. Kovac sicherte sich später als Profi des FC Bayern den Weltpokal (2001) und den DFB-Pokal (2003). "Einen Titel zu gewinnen, ist immer etwas Besonderes", sagt er heute. Das gilt vor allem beim Frankfurter Traditionsklub, der sich seit 29 Jahren nach frisch poliertem Tafelsilber sehnt. Zudem hätte die Trophäe dem Verein zusätzliches Geld beschert, weil sie zur Teilnahme an der Europa League berechtigt. Chance vertan, sagte Kovac: "Das bedeutet, wir müssen wieder jeden Euro umdrehen, bevor wir ihn ausgeben können."

Wie schwierig sich die Finanzplanung gestaltet, erläuterte Sportvorstand Fredi Bobic, als er Frankfurts Möglichkeiten in Bezug zu Dortmunds setzte: "Wir reden hier von einem Verein, der 100 Millionen investiert, und wir 2,5 Millionen." Die Eintracht hat aus dieser Not ein Modell gemacht, indem sie hochbegabte, aber bei ihren Heimatklubs unterbeschäftigte Talente leihweise am Main zusammenführte. Einige der Besten werden Kovac und Bobic nun ziehen lassen müssen. Der Angreifer Haris Seferovic, der im Finale in der ersten Halbzeit nur den Pfosten traf, wird Frankfurt Richtung Benfica Lissabon verlassen. Unklar ist die Zukunft von Ante Rebic, der in der 29. Minute die frühe Dortmunder Führung ausglich. Unklar ist auch, ob Slobodan Medojevic, der nach langer Verletzungspause erstmals wieder spielte, einen neuen Vertrag erhält.

Und niemand weiß, ob Lukas Hradecky, der König der Lüfte, auch kommende Saison noch in Frankfurt durch den Strafraum segelt. Über ein angeblich lukratives Angebot des Vereins zur Verlängerung seines 2018 auslaufenden Vertrags will er nun bis zum Ende seines Urlaub grübeln, gab er bekannt. Zumindest ließ er nach dem Finale im ausverkauften Olympiastadion erkennen, dass er "so etwas gern noch mal erleben will". Niko Kovac registrierte das mit einem Schmunzeln. "Will er?", fragte er. "Dann sollte er bleiben."

© SZ vom 29.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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