Eintracht Frankfurt:Der Turmbau zu Frankfurt

Lesezeit: 3 min

Vier Spiele, neun Punkte: Frankfurts Start in die Bundesliga-Saison verläuft bisher überraschend gut. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

18 verschiedene Nationalitäten in der Mannschaft, aber keine Sprachverwirrung: Der erstaunliche Saisonstart der Eintracht, mit drei Siegen aus den ersten vier Spielen gegen zum Teil höher gehandelte Teams, bestätigt die Arbeit von Trainer Niko Kovac.

Von Sebastian Fischer, Ingolstadt

Es soll unter Frankfurter Fußball-Anhängern noch immer Menschen geben, die Jesús Vallejo nicht kennen. Dabei macht er sie gerade glücklich. Fans der Eintracht, das muss man wissen, sind ja Leid gewohnt; im Sommer verhinderte erst ein Kraftakt in der Relegation den Abstieg, niemand erwartete Großes in dieser Saison. Doch nun hat Frankfurt von vier Spielen drei gewonnen, dabei nur zwei Gegentore kassiert und kaum Schüsse auf das eigene Tor zugelassen, die Defensive ist die Frankfurter Stärke. Vallejo, 19, ist als Innenverteidiger dafür hauptverantwortlich.

Der junge Mann aus Saragossa war im Sommer einer von neun Zugängen gewesen, deren Ankunft mit ahnungslosem Achselzucken zur Kenntnis genommen wurde. Der neue Manager Fredi Bobic schien nach Lust und Laune unbekannte Talente von europäischen Topklubs auszuleihen, die lokalen Zeitungen schrieben mit Argwohn von 18 verschiedenen Nationalitäten im Kader; das könne ja niemals gutgehen, hieß es im Subtext. Am Dienstagabend, nach dem Frankfurter 2:0-Sieg in Ingolstadt, war Genugtuung in der Stimme von Niko Kovac zu vernehmen, als er über Vallejos Leistung sprach. Frankfurts Trainer sagte: "Das zeigt, dass wir gut gescoutet haben." In Omar Mascarell und dem früh verletzt ausgewechselten Ante Rebic standen zwei weitere Zugänge in der Startelf, doch vor allem Jesús Vallejo war mit Zweikampfstärke und einer für seine Jugend erstaunlichen Ruhe am Ball aufgefallen.

"Wenn einer träumt, soll er sich einen anderen Verein suchen", sagt Manager Fredi Bobic

Apropos Jesus: Als Kovac, 44, am Dienstag erklären sollte, was es mit dem guten Saisonstart auf sich habe, zitierte er ironiefrei die Bibel, Jakobus 1:22: "Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein."

Die Wege des offenbar frommen Berliners und früheren kroatischen Nationaltrainers sind zwar nicht vollkommen unergründlich, aber wer seine elf gehorsamen Soldaten gleichende Mannschaft in Ingolstadt sah, der musste sich schon fragen, was in sieben Wochen Saisonvorbereitung in Frankfurt geschehen ist. Die wahrscheinlichste Antwort: Kovac und Bobic ist es gelungen, Disziplin und Demut als wichtigste Tugenden zu etablieren.

Frankfurt spielte am Dienstagabend bieder, aber Ingolstadt noch etwas biederer, unkreativer und vor allem fehlerhafter, die Tore fielen jeweils im Anschluss an Standardsituationen. Ein vorbildlicher Kopfball von David Abraham, ein entschlossener Schuss von Bastian Oczipka, ein paar schöne Vorlagen des kleinen Spielmachers Marco Fabian - viel mehr Farbe hatte der graue Kick nicht zu bieten. Er unterschied sich damit kaum von den drei vorangegangenen Frankfurter Bundesliga-Auftritten.

Beispielhaft für die Frankfurter Methodik war ohnehin keine Szene auf dem Rasen, sondern eine in den Katakomben des Stadions. Dort stand der Verteidiger Abraham und sprach gut gelaunt über sein Tor sowie seinen Nebenmann Vallejo ("Er ist besser als ich"), bis im Hintergrund Bobic auftauchte. Er schnippte mit den Fingern, laut wie ein Peitschenhieb, und raunte: "Auslaufen!" Abraham verabschiedete sich umgehend, Bobic sprach für ihn weiter, nicht ohne die einleitenden Worte, dass er darauf eigentlich keine Lust habe.

Bobic lobte dann den "super Start", um sogleich hinzuzufügen, dass nach den neun bereits gewonnenen Punkten nichts außer weiteren 31 zum Nichtabstieg zählen würde. Die Fans hatten ob Tabellenplatz vier vom Europapokal gesungen, Bobic sagte: "Wenn einer träumt, soll er sich einen anderen Verein suchen." Und Kovac klang ähnlich, als er später auf eine entsprechende Frage antwortete. "Wir werden jetzt nicht anfangen, zu spinnen", sagte er, wobei er das Wort "spinnen" nicht einfach nur aussprach, sondern ausspuckte wie ranzigen Kautabak.

Das sogenannte Umfeld ist in Frankfurt ja typisch für einen Traditionsverein; es neigt dazu, entweder himmelhoch zu jauchzen oder zu Tode betrübt zu sein. Der Umgang damit ist nicht leicht, der im Sommer geschiedene Vorstandschef Heribert Bruchhagen wünschte sich bei seinem Abschied "Euphorie mit einem Schuss Bescheidenheit", die von Bobic und Kovac gebilligte Realität ist eher Bescheidenheit mit einem Schuss Euphorie.

Bis zum nächsten Spiel auf einer "kleinen Welle" zu reiten, gestand Kovac ein. Gegen Hertha BSC am Samstag muss er wohl den verletzten Flügelspieler Rebic ersetzen, was ihn ärgert. Andererseits kann er so dem Frankfurter Anhang womöglich den nächsten der neun Zugänge in der Startelf vorstellen. Ein positives Beispiel, wie es Jesús Vallejo und den anderen Neuen ergehen kann, ist der Mexikaner Fabian: Im kalten Winter lief er noch fremdelnd durch Frankfurt, in Ehrfurcht sei er vor dem Hochhaus der Europäischen Zentralbank erstarrt, verriet er jüngst. Inzwischen ist er integriert. Und als Fabian nach dem 2:0 in Ingolstadt in die Frankfurter Jubeltraube sprang, da lächelte selbst sein strenger Trainer für ein paar Sekunden.

© SZ vom 22.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: