Eintracht Frankfurt:Bohren am Beton

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Doppelgrätsche: Frankfurts Verteidiger Vallejo (rechts), hier gegen Dortmund-Decker Sokratis. (Foto: Michael Probst/AP)

Der Verein hat mit Erfolg daran gearbeitet, dem Mittelmaß zu entkommen - und will sich dort oben so schnell nicht vertreiben lassen.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Wenn Fredi Bobic von seinem Schreibtisch aus nach links schaut, kann er das gute Stück sehen. Jetzt im Winter hängen zwar ein paar Mäntel drüber, aber irgendwo am Kleiderständer befindet sich auch das Geschenk seines Vorgängers. Bobic kann es wegen der Größe zwar kaum gebrauchen, aber er hat trotzdem entschieden, es hängen zu lassen - dieses Jackett, das ihm Heribert Bruchhagen im Juni bei der Amtsübergabe überreichte.

Eintracht Frankfurt, das war zwölfeinhalb Jahre lang ein Heribert-Bruchhagen-Klub. Die Eintracht war - je nach Betrachter - ein Ausbund an Seriosität und Kontinuität oder an Antriebslosigkeit und Eingefahrenheit. Oder alles zusammen. Und Bruchhagen, 68, war jener Mann, der Frankfurt nach einer zentralen These positioniert hatte. Nach jener von der Wechselwirkung zwischen der Höhe des Lizenzspieler-Etats und dem sportlichen Abschneiden - und damit von der zementierten Tabelle. Eine Variante der Münchner Geld-schießt-Tore-Theorie. Daran gekoppelt These zwei: "Visionäre haben der Eintracht doch noch nie Glück gebracht."

Über Jahre war der Klub auf Offensive geeicht. Jetzt hat er die zweitbeste Abwehr

Seit Sommer ist Fredi Bobic, 45, das Gesicht des Klubs, nicht als Vorstandsvorsitzender, sondern als Sportvorstand neben Axel Hellmann (Marketing) und Oliver Frankenbach (Finanzen). Nun träumen viele am Main von etwas mehr als dem ewig proklamierten Mittelmaß, Bobic soll das richten und den Klub neu positionieren. "Natürlich weiß ich, dass viele Sachen irgendwo zementiert sind, aber trotzdem ist es der Anspruch, dass wir versuchen, diesen Beton irgendwann mürbe zu machen und zu durchbrechen" - so sieht er das.

Aktuell fällt es Bobic leicht, gute Laune zu verbreiten. Dazu genügt der Blick auf die Tabelle. Auf Platz vier liegt die Mannschaft, die sich im Sommer erst im Relegationsduell mit dem 1. FC Nürnberg rettetet. Am diesem Samstag, 18.30 Uhr, tritt sie beim Start nach der Winterpause gar im sogenannten Topspiel an, im Duell der Überraschungsteams beim Tabellenzweiten RB Leipzig. Trainer Niko Kovac hat aus dem Fast-Absteiger eine robuste Einheit geformt, gegen die kein Gegner gerne spielt. Nach all den Jahren unter Thomas Schaaf oder Armin Veh, die mit dem Wörtchen "Defensivarbeit" in etwa so viel anfangen konnten wie Heribert Bruchhagen mit dem Wörtchen "Visionär", verfügt die Eintracht nun über die zweitbeste Abwehr der Liga (nur zwölf Gegentore). Der Torwart Lukas Hradecky hat sich noch einmal verbessert, der Japaner Makoto Hasebe mimt vorbildlich eine Art Libero, und daneben überzeugt vor allem einer jener vielen Spieler, die dank Bobic' guten Netzwerkes leihweise nach Frankfurt kamen: Jesus Vallejo von Real Madrid. Offensiv wiederum gelang es Kovac, von der traditionellen Konzentration auf den Publikumsliebling Alex Meier wegzukommen.

Aber unabhängig von diesem unerwarteten Abschneiden lässt sich nach sechs Monaten fürs Erste festhalten: Das Etikett "Visionär" heftet Bobic, früher Nationalkicker mit 37 Länderspielen (zehn Tore) und Sportchef des VfB Stuttgart, noch niemand an. Einmal kräftig durchgepustet haben er und Trainer Kovac durch den Klub allerdings schon. Wie es halt oft ist, wenn jemand neu von außen kommt. Gerade nach einem wie Bruchhagen, der einige Themen hervorragend besetzte, andere dafür eher unbespielt ließ. Nicht nur in der Mannschaft hat sich einiges verändert, auch im Team rund ums Team. Der Draht zur Jugendabteilung wurde gestärkt, das Training von der Öffentlichkeit stärker abgeschottet, der Bau einer neuen Geschäftsstelle forciert.

Andererseits weiß Bobic, dass dies nur erste Schritte einer neuen Orientierung sein können. In Frankfurt leben sie seit geraumer Zeit mit einem Paradoxon. Da ist dieser Klub mit der großen Tradition, da ist diese Stadt mit den riesigen Türmen, in denen das große Geld der Bankenwelt gelagert ist - und die ortsansässige Eintracht muss sich dennoch mit einem Lizenzspieler-Etat von knapp 40 Millionen Euro bescheiden. Bobic zeigt die Perspektive auf: "Wir müssen schauen, dass wir regionale wie internationale Partner hinzubekommen. Denn eins ist klar: Mit diesem Budget wirst du auf Dauer nicht konkurrenzfähig sein", sagt er.

Aber woher soll das Geld kommen? 62,5 Prozent der Fußball-AG gehören dem Stammverein, die restlichen Anteile halten Gönner und Banken. Über Jahre diskutierten sie bei der Eintracht zur weiteren Finanzierung ein Genussschein-Modell, das fast als fix galt, aber bisher nicht aktiviert wurde. Nun denkt Bobic zum Beispiel an eine bessere Auslandsvermarktung: "Wir sind da erst am Anfang. Wir sollten schon mit dem Selbstbewusstsein arbeiten, dass wir auch eine Marke sind."

Bobic gibt sich offen für den Einstieg eines Investors: "Nicht jeder ist ein Hai!"

Zudem geben sie sich in Frankfurt betont offen für Investoren. Selbst zum heiklen Thema 50+1-Regel, der Vorgabe, wonach Investoren keine Mehrheit an deutschen Klubs erwerben dürfen, sagt Bobic: "Man muss davon ausgehen, dass das früher oder später fällt. Das wäre auch nicht der Tod des Fußballs, nicht jeder Investor ist ein Hai. Entscheidend ist, dass wir darauf vorbereitet sind. Und in Deutschland gäbe es viele gute Kandidaten, Berlin gehört dazu, aber sicher auch Frankfurt."

Aber das ist der Blick in die Zukunft, nun beginnt in Leipzig erst einmal ein schwieriges Programm. 29 Punkte hat die Eintracht derzeit, das reicht für erste Europa-Träume. Aber Bobic versucht zumindest öffentlich, da nicht mitzuträumen. Er und Trainer Kovac reden fürs Erste nur von jenen 40 Punkten, die gemeinhin als Code für den Klassenerhalt dienen. "Wir wissen auch, dass das eine brutale Rückrunde wird für uns. Es bringt auch nichts, von der Mannschaft etwas zu fordern, was noch nicht richtig realistisch erscheint", sagt er: "Es kann auch passieren, dass wir irgendwo im Mittelfeld abschließen, wo wir vielleicht auch hingehören."

Das sagt Fredi Bobic. Es ist ein Satz, den so auch Heribert Bruchhagen gesagt haben könnte. Der Mann, dessen Thesen sie spätestens in knapp zwei Monaten wieder lauschen können - wenn er in seinem neuen Amt als Vorstandsvorsitzender des Hamburger SV zur Eintracht nach Frankfurt kommt.

© SZ vom 21.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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