Eindrücke aus Wimbledon:London zelebriert die Federer-Manie

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Hat im Finale die Chance auf seinen achten Wimbledon-Titel: Roger Federer. (Foto: Peter Klaunzer/dpa)

Die Stadt bereitet sich auf die Krönung des Schweizers vor - und würdigt ihn am Kiosk und in der U-Bahn. Eindrücke aus Wimbledon.

Von Barbara Klimke und Matthias Schmid, London

Echte und falsche Kronen, schlecht sitzende Anzüge und Schalen für Rosenwasser: Das Wimbledon-Turnier kann auch in der zweiten Wettkampfwoche immer aufs Neue erstaunen. Nicht nur, weil es mitunter neue Siegerinnen gibt. Die Rasenparty in London bleibt, was sie ist: ein Sammelsurium aus Tradition und Skurrilität.

Federer-Manie

Schon seit Tagen bereitet sich England auf die nächste Krönung vor, nur soll sie diesmal nicht in der Westminster Abbey, sondern an der Church Road, London SW19, vonstattengehen. Roger Federer, der siebenmalige Wimbledon-Sieger, hat nach seinem Halbfinalsieg gegen den Tschechen Tomas Berdych die Chance, den achten Titel zu erobern, was in der 140-jährigen Klubgeschichte noch keinem Mann gelang. An den Kiosken auf der Anlage werden neben Postern des Lokalhelden Andy Murray auch Federer-Postkarten verkauft. Und in der U-Bahn sitzen Leute, die das Federer-Logo (RF) auf Hemden, Taschen und Mützen tragen.

Auch die britischen Zuschauer, die sonst aus Prinzip für die Unterdogs klatschen, haben ausnahmsweise ihre strikte Fair-Play-Haltung aufgegeben: Wann immer der Schweizer in den vergangenen zwei Wochen leicht in Rückstand geriet, feuerte ihn das Centre-Court-Publikum mit Federer-Sprechchören an. Der Pokal steht bereit. Aber ohne einen ordentlichen Kampf im Finale gegen den Kroaten Marin Cilic, und das ist das Schöne am Tennis, kann ihn auch ein Schweizer Thronanwärter nicht gewinnen.

Dresscode smart in der Royal Box

Am Samstag kam Juan Carlos, König von Spanien, um seiner Landsfrau Garbine Muguruza zu ihrem ersten Wimbledonsieg zu gratulieren. Exakt für solche Anlässe wurde die Royal Box 1922 gebaut. Die Ehrentribüne am südlichen Ende des Centre Courts mit ihren 80 Plätzen dient der "Unterhaltung der Gäste aus der Königlichen Familie", wie es offiziell heißt. An den meisten Turniertagen nehmen allerdings nicht gekrönte Häupter, sondern vornehmlich die Sport- und Wirtschaftsaristokratie Platz.

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Dass Garbiñe Muguruza einmal Wimbledon gewinnen würde, sagte ausgerechnet Serena Williams voraus - deren Schwester es im Finale verpasst, eine berührende Geschichte zu schreiben.

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In diesem Jahr wurden unter anderem der Fomel-1-Weltmeister Nico Rosberg, der neuseeländische Rugby-Weltmeister Dan Carter, Golf-Masters Sieger Sergio Garcia (im grünen Jackett) und ehemalige Tennisspieler wie Rod Laver, John Newcombe und Marion Bartoli begrüßt. Die Einladungen zu Lunch, Tee, Drinks und Tennis gehen vom Club-Vorsitzenden und vom Komitee aus. Selbstverständlich wird auf ein ordentliches Erscheinungsbild geachtet. Dresscode: smart. Also feiner Zwirn und Krawatte für Männer; Frauen bitte ohne Hüte (um anderen nicht die Sicht zu verdecken).

Die Ballkinder

Das ganze Stadion lachte, als der Ball im Halbfinale zwischen Roger Federer und Tomas Berdych dem Ballmädchen unkontrolliert enteilte, und sie mehrmals vergeblich nach ihm zu greifen suchte. Das sah zwar lustig aus, war aber für das Mädchen ziemlich unangenehm. Die übrigen Ballkinder verzogen keine Miene, kein Lächeln, nichts. Ihre Aufgabe ist: nicht auffallen. Nur dann machen sie einen guten Job. Fast 260 Ballkinder sind in Wimbledon im Einsatz, sie haben ein knallhartes Auswahlverfahren hinter sich. Fünf Monate lang mussten sie täglich drei Stunden üben. Erstmals kamen Balljungen 1920 im All England Club zum Einsatz. Die Mädchen mussten ein halbes Jahrhundert länger, bis 1977, warten. Zunächst traten sie nur auf den Nebenplätzen in Erscheinung, erst seit 1985, dem Jahr des ersten Boris-Becker-Siegs, dürfen sie auch auf dem Centre Court die Bälle rollen. Diskret. Und möglichst unfallfrei.

Aufgestockte Trophäen

1887 hatten die Mitglieder des All England Clubs genug davon, alle paar Jahre viel Geld für neue Pokale auszugeben. Die Regel, die einem Spieler nach drei Siegen gestattete, das gute Stück mit nach Hause zu nehmen, wurde abgeschafft. Eingeführt wurde stattdessen der Challenge Cup, der bis heute verliehene goldene Henkelpokal. Allerdings ging nach mehr als hundert Jahren der Platz für die Gravuren der Siegernamen aus. 2009 wurde der Pokal kurzerhand um einen Sockel ergänzt. Roger Federer ist der Erste, der sich darauf verewigen durfte. Die Frauen erhalten seit 1886 eine prächtige, teils vergoldete Schale aus Sterling-Silber, genannt Venus Rosewater Dish.

Solche Schalen waren tatsächlich ursprünglich als Gefäße für Rosenwasser gedacht. Die üppig verzierte Trophäe zeigt in der Mitte eine Frauenfigur, das Symbol der Tugend Mäßigung, umgeben von den vier Elementen. Am Rande sind die sieben freien Künste dargestellt. 2016 erhielt auch die Schale aus Platzgründen einen Sockel. Am Samstag wurde dort der Name Garbine Muguruza eingraviert. Die Originale werden den Wimbledonsiegern nur auf dem Platz überreicht und stehen den Rest des Jahres im Club unter Panzerglas. Für das eigene Wohnzimmer erhalten die Champions verkleinerte Repliken.

Das Dach und sein Belüftungssystem

Das 2009 eingeweihte Dach über dem Centre Court ist auch an sonnigen Tagen ein paar Meter verschlossen - als Sonnensegel für die Zuschauer. In diesem Jahr zeigte sich am Finaltag der Frauen seine ganze Nützlichkeit, weil es just kurz vor dem ersten Ballwechsel zwischen Venus Williams und Garbiñe Muguruza zu nieseln begann. Nur zwischen acht und zehn Minuten dauert das Schließen des Dachs, muss ein Match allerdings während der Spieldauer unterbrochen werden, vergehen fast 40 Minuten, bis weitergespielt werden kann. Grund ist ein aufwändiges Belüftungssystem, das beste klimatische Bedingungen für die Spieler wie für den Rasen garantieren soll. Bis 2019 wird auch der zweitgrößte Platz, Court Number One, ein Dach erhalten. Das erste Grand-Slam-Turnier mit Dach waren übrigens die Australian Open in Melbourne (1988). Wenn auch in Paris die Bauarbeiten beginnen, haben - so der Plan - alle Grand-Slam-Turniere bis 2020 einen Court mit Regendach.

Das Museum

Wer das Museum in Wimbledon betritt, trifft unweigerlich auf John McEnroe. Der dreimalige Champion führt Besucher im weißen, schlecht sitzenden Anzug durch die Umkleidekabine und erklärt, warum der Centre Court ein magischer Ort ist. Zumindest virtuell. Das Museum wurde 2006 eröffnet und zeigt mit moderner Technik die Geschichte der All England Championships, von den Anfängen 1877 bis zur Gegenwart. Besonders der Beginn im 19. Jahrhundert ist spannend: Tennis galt damals als idealer Flirt-Sport. Junge Damen konnten ihren potenziellen Partner bei Spaß und Spiel näher kennenlernen, während die Mütter ein Auge auf das Geschehen auf dem Rasen hatten.

© SZ vom 16.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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