Dopingfall Sachenbacher-Stehle:Mysteriöser Mentalcoach aus Oberbayern

Sotschi 2014 -  Evi Sachenbacher-Stehle

Mit der Ruhe ist es vorbei: Evi Sachenbacher-Stehle hat offenbar einem Mann vertraut, der an der Grenze zur Scharlatanerie arbeitet.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Im Dopingfall Evi Sachenbacher-Stehle konzentrieren sich die Ermittler offenbar auf einen Mentalcoach aus Oberbayern. Der ist womöglich abgetaucht, hat weitere Kunden aus dem Wintersport - und es deutet manches darauf hin, dass er hart an der Grenze zur Scharlatanerei arbeitet.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Tiefes Schweigen herrscht im Dopingfall der Biathletin Evi Sachenbacher-Stehle. Der zweimaligen Olympiasiegerin war in Sotschi das Stimulans Methylhexanamin nachgewiesen worden; Quelle des verbotenen Wirkstoffs soll ein Nahrungsergänzungsmittel sein, das ihr ein persönlicher Berater gegeben haben könnte.

Mit flotten Hausdurchsuchungen kurz vor Spieleende begann die Münchner Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Unbekannt; es liegt ein Anfangsverdacht auf das "In-Verkehr-Bringen von unerlaubten Substanzen im Sport" vor, sagte ein Sprecher. Nun hat sich der vage Verdacht wohl verdichtet. Am Freitag teilte der Sprecher mit, es sei derzeit nicht möglich, "Auskünfte zur Zielrichtung der Ermittlungen und einzelnen Ermittlungsschritten zu geben". Er bezog dies auch konkret auf die Frage, ob überhaupt noch gegen Unbekannt ermittelt wird - oder schon gegen eine konkrete Person.

Die Irritation in dem Fall gründet auf Sachenbachers Vortrag bei der IOC-Kommission in Sotschi: Sie habe gut ein halbes Dutzend Nahrungsergänzungsmittel konsumiert; darunter solche, deren Unbedenklichkeit labortechnisch nicht geklärt war - bei diesen Stoffen habe sie dem Rat ihres Betreuers vertraut. Seitdem rätselt der Sport über den ominösen Ernährungs- und Mentalguru. Was zeitraubend ist eingedenk der Masse von Mentaltrainern hierzulande, die Topathleten betreuen und geschäftlich eng an Hersteller und Vertreiber von Nahrungsergänzungsmitteln gebunden sind.

Am Donnerstag erhielt die Szene jene Klarheit, die Tage zuvor der Deutsche Olympische Sportbund den Ermittlern verschafft haben will: Man habe der Behörde neben einer Anzeige gegen Unbekannt den Berater-Namen übermittelt.

Seitdem fokussiert sich alles auf einen Mental- und Ernährungsberater in Oberbayern. Auf dessen Referenzliste dankt ihm Sachenbacher dafür, ihr innere Ruhe und Fokussierung aufs Wesentliche im Leben wieder verschafft zu haben. Doch mit der Ruhe ist es vorbei, auch für den Mentalcoach, der auf Mail- und Telefonanfragen nicht zu erreichen war. Er hat weitere Kunden aus der Geschäfts- und Wintersportwelt. Via Facebook berichtet er von drei Sotschi-Fahrern, die er betreute.

Bis jüngst waren unter "Referenzen" auch drei Sportler zu finden, darunter eine Biathletin und ein Vertreter einer neueren olympischen Wintersportart; jetzt ist da nur noch Sachenbacher. Das Management der von der Website verschwundenen Biathletin erklärte, die Kooperation mit dem Mentalcoach sei kurz vor Sotschi beendet worden; der zweite Athlet wollte sich auf Anfrage gar nicht äußern. In sozialen Netzwerken ist die Verbindung von mindestens einer weiteren Athletin zu dem Mentaltrainer dokumentiert - der früher auch in der Fitness- Studio-Szene engagiert gewesen sein soll.

An der Grenze zur Scharlatanerie

Dass der Mann offenbar abgetaucht ist, wenn doch vielleicht nur eine Panne mit einem verunreinigten Fitnessriegel vorliegt, trübt die betont lockere Sichtweise, die bisher vom Sport auf den Fall gepflegt wird. Hohe Funktionäre hatten sich mit Verkündigung des Dopingbefundes festgelegt, bei Sachenbacher liege nur eine "Dummheit" vor; Dopingexperten äußerten sich vorsichtiger.

Zum einen hat die Athletin eine Fahrlässigkeit eingeräumt, die erstaunt bei einer 33-Jährigen, die vier Winterspiele und einen sanktionierten Doping-Verdachtsfall in Turin 2006 (Gesundheitssperre wegen erhöhter Blutwerte) hinter sich hat. Zum anderen deutet manches darauf hin, dass sich die Biathletin in die Hände eines Gurus begab, der hart an der Grenze zur Scharlatanerie arbeitete - jedenfalls, was gewisse Heilsversprechen angeht.

Das vermuten pharmakologische Experten wie der Nürnberger Laborleiter Fritz Sörgel. Ihn irritiert ganz besonders eine Passage auf der Website des Beraters, die über Inhaltsstoffe aus Algen die "Erhöhung von adulten Stammzellen im Körper" verspricht. Sörgel: "Wenn sich nachweisen ließe, dass dieses Extrakt das tatsächlich erreicht, läge nach Richtlinie der Welt-Anti-Doping-Agentur eine Änderung der Zellfunktionen vor, und das wäre sehr wahrscheinlich nicht erlaubt." Zugleich bezweifelt der Experte, dass "phänomenal komplexe Vorgänge im Körper wie die Erhöhung der Stammzellproduktion durch so einfache Stoffe wie Algenextrakte überhaupt bewirkt werden können". Auch sei die dafür explizit beworbene Substanz StemEnhance in manchen Ländern verboten.

Der Berater bietet seinen Kunden ein Portfolio von rund 200 Produkten. Unklar ist vorläufig, ob sich Sachenbachers Dopingquelle darunter befindet; ihre Sotschi-Mittel und Vergleichsprodukte werden untersucht. Zu dem offerierten angeblichen Stammzell-Stimulator StemEnhance jedoch, der die Regenerationszeit nach sportiver Belastung verkürzen soll, erklärt der Hersteller, der Stoff sei vom Kölner Zentrum für Dopingforschung untersucht und abgesegnet worden. Doch auf der "Kölner Liste" findet sich StemEnhance nicht, und auch das Labor dementierte dies schon.

Sachenbachers Anwalt Marc Heinkelein sagte der SZ mit Verweis auf das laufende Verfahren, neue Details gebe es erst nächste Woche.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: