Doping in der BRD:"Man wusste damals gar nicht, was Doping überhaupt ist"

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"Auch wenn ich der Jüngste war - aber so ganz ahnungslos war ich doch nicht": Franz Beckenbauer (Archivbild). (Foto: Bongarts/Getty Images)

Sportler aus der früheren BRD, die nach der neuen Dopingstudie plötzlich im Fokus stehen, setzen sich zur Wehr: Franz Beckenbauer und Uwe Seeler erklären einen Verdacht bei der WM 1966 für absurd, Ruderer Peter-Michael Kolbe beschwert sich über die Wirkung der "Kolbe-Spritze". Nur Manfred Ommer spricht offen über frühere Praktiken.

Die Aufarbeitung des Dopingproblems im westdeutschen Sport bewegt weiterhin die Gemüter. Sportler melden sich und sprechen über ihre Erinnerungen, viele wehren sich gegen den Generalverdacht und fordern, die betroffenen Namen aus der Studie "Doping in Deutschland von 1950 bis heute" zu veröffentlichen. Der Druck wächst auf den Auftraggeber der Studie, das Bundesinstitut für Sportwissenschaften (BISp), die ursprüngliche Version des Abschlussberichts offenzulegen. Der 804 Seiten starke Bericht wurde um 680 Seiten gekürzt und alle Namen geschwärzt.

"Es müssen Ross und Reiter genannt werden", verlangt Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Nur so könne auch der nun aufgekommene "Generalverdacht" gegen bundesdeutsche Athleten ausgeräumt werden. Ähnlich äußerte sich Klaus Wolfermann, 1972 Olympiasieger im Speerwurf, beim TV-Sender Sky. Er sei sauber gewesen. Und man könne nicht von systematischem Doping sprechen, wenn nicht alle beteiligt gewesen seien. Auch er forderte, die Namen der Betroffenen zu nennen.

Bislang ist allein der Name Peter-Michael Kolbe gefallen. Nach dem fünfmalige Ruder-Weltmeister ist die sogenannte "Kolbe-Spritze" benannt. Der Sportler erhielt bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal eine Injektion, die Berolase und Thioctacid enthielt. Das war damals nicht verboten, die Wirkung der Gabe war aber nicht wirklich erforscht. Die Wirkstoffe wurden Sportlern in Montreal insgesamt 1200 Mal injiziert.

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Doch Kolbe brach im Endspurt ein und verlor sein Rennen gegen den Finnen Pertti Karppinen. Der Mediziner Alois Mader befürwortete damals die Verabreichung der Spritzen, er hatte zwei Jahre zuvor die DDR verlassen und umfangreiches Wissen mitgebracht. Mader machte sich stets für kontrolliertes Verabreichen von leistungssteigernden Mitteln stark.

"Es hieß, dass das Präparat die Übersäuerung der Muskeln verzögere. Erst viel später erklärte man mir, dass als Nebenwirkung die Übersäuerung dann aber schlagartig einsetzte. Wir bei mir. Ich war kurz vor dem Ziel total fertig", sagte Kolbe nun der Bild-Zeitung. Der Sportler erklärte zudem, weder davor noch danach etwas genommen zu haben.

Mader indes blieb als Sportarzt aktiv, von 1979 bis 1988 betreute er ausgerechnet die Ruder-Olympia- und Nationalmannschaften der BRD. Kolbe verlor 1984 (gegen Karppinen) und 1988 (gegen DDR-Athlet Thomas Lange) noch zweimal ein Olympia-Finale im Einer.

Der Einsatz der "Kolbe-Spritze" bei den Olympischen Spielen in Montreal 1976 war zwar kein formaler Verstoß gegen geltende Antidoping-Bestimmungen; jedoch nach der Definition des Europarats von 1963 erfüllte dieser Einsatz "die Kriterien eines inhaltlichen Dopingverständnisses. Zudem griff das Kombinationspräparat tiefer in den Energiestoffwechsel ein, als offiziell eingestanden wurde", heißt es in der Studie des BISp.

Manfred Ommer, Silbermedaillengewinner über 200 Meter bei der Europameisterschaft 1974, hatte schon 1977 die Einnahme von Doping gestanden. Für ihn sei der Sport völlig unglaubwürdig. "Man kann sich nicht vorstellen, auf was man dort trifft - wie viel Heuchelei, wie viel Verlogenheit, wie viel Absurdität", sagte er am Dienstagabend im Heute Journal. Die Sportler wussten demnach sehr gut, wie sie an Dopingmittel kommen konnten. "Freiburg war das Paradies für die Athleten. Dort bekam man das, was man brauchte. Köln war die Hölle. Dort saß das Institut von Manfred Donike, der versuchte, die Dopingsünder zu überführen", sagte Ommer. Kein Mensch sei nach Freiburg für ein Rezept irgendeines Grippemittels gefahren: "Wenn Du im Wartezimmer gesessen hast, hast du alles, was Rang und Namen hatte, getroffen, aus allen verschiedenen Sportarten. Jeder wusste, warum man dorthin fährt."

Ommer sprach auch davon, dass er aufgeklärt worden sei, wie er zum richtigen Zeitpunkt die Mittel absetzen musste, um nicht erwischt zu werden. Der frühere deutsche Meister über 100 und 200 Meter führte später als Präsident (1986 bis 1994) den FC Homburg in die Bundesliga. Und spricht auch von Doping im Fußball: "Das habe ich schon 1977 gesagt. Natürlich wird auch im Fußball gedopt. Da habe ich überhaupt keine Zweifel. Der DFB hat das, zumindest zu der Zeit, als ich Präsident war, recht lasch gehandhabt."

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Andere aus dem Fußball sehen das anders. Vor allem die Generation 1966 wehrt sich gegen den Vorwurf, dass während der Weltmeisterschaft in England unerlaubte Mittel genommen worden seien. Die Autoren der Doping-Studie erwähnen den Brief eines früheren Funktionärs des Weltverbandes Fifa mit Hinweisen auf "feine Spuren" des verbotenen Ephedrins in Dopingkontrollen von drei deutschen Spielern. Sperren hatte die Fifa beim WM-Turnier vor 47 Jahren allerdings keine ausgesprochen.

Franz Beckenbauer antwortete auf die Frage, ob er etwas darüber wisse: "Nein, ich war ja dabei." Er schloss auch generell Doping-Absichten in der Teamleitung oder bei Mannschaftsärzten während der WM-Endrunde aus. "Man wusste damals gar nicht, was Doping überhaupt ist. Man kannte das Wort auch gar nicht. Ich wüsste auch nicht, wer uns da was hätte geben sollen. Man wusste einfach nichts, denn ich hätte da schon was mitbekommen. Auch wenn ich der Jüngste war - aber so ganz ahnungslos war ich doch nicht."

Uwe Seeler wiegelte ebenfalls ab. Der DFB-Kapitän von 1966 sagte: "Ich halte von Doping gar nichts. Ich habe auch nicht gedopt, ich kenne auch keinen, der gedopt hat", sagte der 76-jährige Hamburger. "Wenn, dann muss man Namen nennen, die das gemacht haben", forderte Seeler und fügte hinzu: "Ich habe in meinem Kreis, in meiner Zeit keinen kennengelernt, der gedopt hat. Wir haben hart gearbeitet, wir sind viel gelaufen und haben nie Probleme gehabt ohne Doping."

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