Atlético-Trainer Diego Simeone:Mit Hokuspokus gegen den Stadtrivalen

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Ein Mann im dauernden Unruhestand: Diego Simeone. (Foto: MarcaMedia/pixathlon)
  • Atlético-Trainer Diego Simeone will im Viertelfinale Real Madrid aus der Champions League werfen.
  • Im Vorjahr verlor Atlético das Endspiel gegen den Stadtrivalen nach Verlängerung.
  • Die Fans von Atlético Madrid feiern Simeone immer noch als ihren Heilsbringer.
  • Der Argentinier hat bereits einen neuen Fünfjahresvertrag unterschrieben, es gibt aber eine Ausstiegsklausel.

Von Oliver Meiler, Madrid

Wie der Rosenkranz zum Horoskop passt, das sollte Diego Pablo Simeone seiner geneigten Anhängerschaft dann schon auch mal noch erklären. Zwischen Glauben und Aberglauben, zwischen Gott und den Sternen verläuft ja eine imaginäre Demarkationslinie, von der manch ein Laie glaubt, sie sei nur leidlich querbar. Doch der Trainer von Atlético Madrid hängt ihnen gleichermaßen an.

Es heißt, "El Cholo", wie er seit seiner Jugendjahre in Buenos Aires gerufen wird, suche obsessiv nach der Kontrolle über das Unwägbare, das dem Fußball recht substantiell innewohnt, und bediene sich dabei nicht nur beim Gottvertrauen, sondern auch beim Hokuspokus. Das Fernsehen zoomte schon seine Hand ganz nahe heran, um dem Publikum den Rosenkranz zu offenbaren, der da unter dem Ärmel seines Sakkos hervorlugte. Die Passion des "Cholo".

Er führt zwar ein großes Theater auf in der technischen Zone an der Seitenlinie, die natürlich immer viel zu eng bemessen ist, brüllt und gestikuliert und leidet: Doch für die Fans von "Atleti" ist dieser Besessene ein Heilsbringer, die Verkörperung ihres Vereins: stolz, couragiert, brüsk. Wenn nun zum Hinspiel im Viertelfinale der Champions League ausgerechnet wieder der Stadtrivale Real Madrid vorbeischaut, gegen den man im vorigen Jahr das Endspiel dieses Wettbewerbs ausgetragen hat, dann hofft der fußballerisch bescheidenere, ärmere, glanzfreiere und vielleicht auch leidenschaftlichere Süden der Stadt wieder auf diesen 44-jährigen Argentinier ganz in Schwarz, diesen Mann im dauernden Unruhezustand.

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4:0-Sieg im letzten Ligaspiel gegen Real

Simeone hat schon so viele Wunder bewirkt in den bald dreieinhalb Jahren als Coach des Klubs, für den er einst als Spieler aktiv war, hat so oft schon David gegen Goliath beschworen, das Gleichnis des triumphierenden Zwergs, und zudem fünf Titel gewonnen, so dass die Hoffnung wieder wunderbar groß ist. Seit der Niederlage im Finale von Lissabon verlor Atlético bislang nie mehr gegen Real. Es waren immerhin sechs Derbys: für die spanische Super- copa, in der Copa del Rey und in der Meisterschaft - vier Siege, zwei Unentschieden. Das letzte Ligaspiel im eigenen Stadion gewann man gar 4:0. Galaktisch fast. Jedenfalls war der Sieg etwas für die Ewigkeit.

Und diese Ewigkeit beginnt mit Simeones Langzeitbekenntnis zu Atlético Madrid, allen Lockrufen aus Paris und Manchester zum Trotz, wo man ihn auch gerne coachen sähe. Er nennt es "Liebe". Unlängst unterzeichnete er einen Vertrag über fünf Jahre, bis 2020. "A la inglesa", schrieben die spanischen Zeitungen, "wie bei den Engländern". In Spanien binden sich die Vereine selten für lange Zeit an ihre Trainer. Man ist hier realistisch, was die Halbwertszeit laut besungener, fußballerischer Epochen angeht. Gerade Atlético hastete früher von Moment zu Moment und verschliss schon Coaches im Dutzend: Exakt 78 in 98 Jahren Vereinsgeschichte. Und 52 waren es allein in den vergangenen 29 Jahren. Ein Durchlauferhitzer.

Mit "Cholo" ist alles anders, weil mit "Cholo" alles anders wurde: das Selbstverständnis und die Außenwahrnehmung des einst so instabilen Vereins. Man nennt Simeone schon "Sir", in Anspielung auf die Langlebigkeit von Sir Alex Ferguson auf dem Trainerposten von Manchester United. Simeone sieht sich in der Rolle eines Klubmanagers im englischen Stil, als Leader ohne Nebenbuhler.

Er will das Sagen haben, will das Team zusammenstellen dürfen, Spieler holen, Geld ausgeben. Er will sich querstellen dürfen, wenn der Verein die Besten ziehen lässt. Wie voriges Jahr, als Atlético in einem Sommer den Torwart Thibaut Courtois, den linken Außenverteidiger Filipe Luis und Mittelstürmer Diego Costa verkaufte, alle nach London, an den FC Chelsea. Es war, als verdampfe die halbe Mannschaft. Soll nie mehr vorkommen. Das war eine Bedingung.

Simeones Schwester und Agentin Natalia, eine Anwältin, handelte auch eine Verdoppelung des Salärs aus. Man hört, ihr Bruder verdiene jetzt sechs Millionen Euro im Jahr, netto. Kein Spieler des Teams verdient mehr. Der "Cholo" gehört nun zu den Großverdienern seines Fachs, zu den Top Ten in Europa. Möglich wurde die stattliche Gehaltserhöhung dank eines neuen Geldgebers aus dem Fernen Osten, der vor einigen Monaten zwanzig Prozent des Vereins erwarb und 45 Millionen Euro frisches Kapital in die Kassen pumpte:

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Der chinesische Großunternehmer Wang Jianlin, Betreiber von 166 Einkaufszentren und 527 Kinokomplexen, knüpfte sein Geld an Simeones Zukunftsgelübde. Ohne dessen Zusage hätte er anderswo investiert. Der Multimilliardär war davor schon bei Real Madrid vorstellig geworden, doch dort wollte man ihn nicht. Und Wang Jianlin möchte nun mal etwas mit Fußball machen - und damit dem chinesischen Präsidenten gefallen, Xi Jinping, einem Anhänger und Förderer des Sports.

Der neue Trikotsponsor zahlt doppelt so viel

Atlético war empfänglicher. Noch immer drückt nämlich eine schwere Schuldenlast den Verein: 540 Millionen Euro. Die Passiva sind zwar dank höherer Einnahmen für die Fernsehrechte und dank der Uefa-Erfolgsprämien etwas geschrumpft, die Verbindlichkeiten mit dem spanischen Finanzamt ließen sich fast halbieren. Doch das Budget bleibt prekär. Weil die Rojiblancos auf Dauer mit der europäischen Elite mithalten wollen, braucht es Investoren mit Geduld. In den vergangenen Jahren warb der politisch nicht unumstrittene Staat Aserbaidschan und dessen "Land of Fire" auf den Trikots von Atlético. Für die kommende Saison hat man eine Handelsfirma gefunden, die doppelt so viel bezahlt für den Platz auf der Brust.

Verhandelt wird auch mit einem Namensgeber für die neue Arena, La Peineta mit 70 000 Plätzen, die vor den Toren Madrids auf den Fundamenten des Stadions der vergeblichen Olympia-Bewerbung entsteht und nach langem Verzug wohl 2017 eröffnet werden soll. Den Aficionados graut es davor, das geliebte Vicente Calderón aufzugeben - diese Schwitzbude, an zwei Seiten offen zur Straße, die so hübsch zum Arbeiterethos der Mannschaft passt. Doch der Verein vertraut darauf, dass "El Cholo", wenn die Zeit dann reif ist, den Fans auch den Umzug an die neue Spielstätte mit einer hübschen Parabel schmackhaft machen kann. 100 Millionen Euro erhofft man sich vom Stadionsponsor, einen Sprung für die Finanzen, eine Rampe fürs Wachstum in Asien und für die endgültige internationale Etablierung.

Simeone steht für alle diese Ambitionen. Er wird gefeiert, als könne er gar nicht scheitern. Gut nur, dass er dem Hype um seine Person nur sehr bedingt traut. Wie jeder erfolgreiche Zweifler dieses Sports rechnet er von Spiel zu Spiel, von Jahr zu Jahr. Im neuen Vertrag gibt es eine Klausel, die es dem Verein und dem Trainer am Ende jeder Saison ermöglicht, das Verhältnis aufzulösen - ohne finanzielle Konsequenzen. Die Liebe kann eben auch mal erkalten, wenn der Erfolg erlahmt. Aus dem überdrehten Lobgeheule wird dann schnell ein Pfeifkonzert. In "Cholos" Sprache dekliniert sich diese Gewissheit über die Gesetzmäßigkeiten in der Floskel: "Wir nehmen Spiel um Spiel." Als gäbe es keine Epochen, keine ewigen Ehen. Höchstens Lebensabschnittsversprechen in 90-Minuten-Portionen.

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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