Deutsches Team bei der Eishockey-WM:Möglichst schnell rübermachen

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Die höchste Schule half nichts: Das deutsche Eishockey-Team beim 2:3 gegen die Schweiz (Foto: REUTERS)

Bei der Eishockey-WM in Weißrussland spielt bereits die künftige deutsche Generation. Die vier Jüngsten suchen ihr Glück schon seit Jahren in Nordamerika. Sie haben längst gemerkt: Die NHL ist ein hartes, unstetes Geschäft.

Von Ulrich Hartmann, Minsk/München

Es wird jetzt schwer, das Viertelfinale noch zu erreichen. Das weiß auch Tobias Rieder. Dabei träumt der Landshuter doch von einer Begegnung mit Dave Tippett. Er würde ihm gerne zeigen, was er drauf hat. Rieder ist 21 Jahre alt und möchte für die Phoenix Coyotes in der National Hockey-League (NHL) spielen. Dave Tippett ist Trainer dieser Phoenix Coyotes und von Rieder noch nicht recht überzeugt. Drüben in Nordamerika spielt Rieder deshalb bloß für das Phoenix-Farmteam Portland Pirates. Bei der WM spielt er für Deutschland, während Tippett das kanadische Nationalteam trainiert.

In Minsk in Weißrussland könnte Rieder also Bonuspunkte sammeln, wenn er sich mit dem deutschen Team für das Viertelfinale qualifizierte und dort auf Kanada und Tippett träfe. "Da könnte man quasi vorspielen", sagt er. Doch nach der 2:3-Niederlage gegen die Schweiz müssten die Deutschen dazu nicht nur am Samstag den Gastgeber Weißrussland besiegen, sondern am Sonntag auch noch Russland oder am Dienstag die USA. Und das wird schwer.

Die vier jüngsten deutschen Akteure bei dieser WM spielen schon lange nicht mehr bei deutschen Klubs. Marcel Noebels ist mit 18 nach Nordamerika gegangen, Rieder mit 17, Leon Draisaitl und der Torwart Philipp Grubauer mit 16. Je früher, desto besser. Sollte der Traum von der NHL platzen, kann man später immer noch in die Deutsche Eishockey-Liga wechseln.

Grubauer, Noebels, Rieder und Draisaitl verkörpern in Minsk die Zukunft des deutschen Eishockeys. Sie sind bei der WM erste Repräsentanten dessen, was der Bundestrainer Pat Cortina einen Generationswechsel nennt. Bei den Siegen gegen Kasachstan (2:1) und Lettland (3:2) haben sie viel Schwung ins deutsche Team gebracht, aber bei den Niederlagen gegen Finnland (0:4) und die Schweiz (2:3) konnten auch sie die Wende nicht erzwingen helfen. So ist das oft bei Generationswechseln: viele gute Ansätze, aber noch wenige zählbare Erfolge.

Wer im Eishockey ein Weltstar werden will, muss möglichst schnell rübermachen: rüber nach Nordamerika. Dort lockt die NHL mit großem Ruhm und noch mehr Gehalt. Doch kaum einer schafft es direkt in ein Paradies, dessen Wartezimmer "AHL" heißt. Die American Hockey League ist sozusagen die zweite Liga, dort spielen die Farmteams der NHL-Klubs. Farmteam klingt bäuerlich und steht tatsächlich als metaphorischer Begriff dafür, dass dort Stars gesät, gegossen, umgetopft und geerntet werden. Bäuerlich ist oft auch die Umgebung dieser Teams in Klein- und Kleinststädten.

Grubauer, 22, Noebels, 22, und Rieder, 21, spielen in der AHL. Der Rosenheimer Grubauer spielt in Hershey, 100 Kilometer westlich von Philadelphia. Der Landshuter Rieder spielt in Portland, Maine, 100 Kilometer nördlich von Boston. Der Krefelder Noebels spielt in Glens Falls, 300 Kilometer nördlich von New York. In solchen Orten kann man sich Tausende Kilometer fern der Heimat leicht verlassen fühlen. Noebels, der gerne jetzt schon für seinen NHL-Klub Philadelphia Flyers spielen würde, sagt: "Es ist schwer da drüben, es gibt so viele Spieler, und wenn du nicht funktionierst, werden andere vorgezogen - du musst jeden Tag zeigen, dass du herausragst, sonst bleibst du, wo du bist."

Noebels' Vertrag gilt noch ein Jahr. Seine Adirondack Phantoms ziehen im Sommer von Glens Falls nach Allentown um, 50 Kilometer westlich von New York. Sie heißen dann Lehigh Valley Phantoms. Obwohl Noebels dann schon in seine fünfte Saison in Nordamerika geht, entwickelt er kaum Heimatgefühle. Es ist ein hartes, unstetes Geschäft, es in die NHL schaffen zu wollen.

Tobias Rieder wird im Herbst einen neuen Anlauf nehmen. Im Sommer will er Muskelmasse aufbauen. Man muss auch körperlich bereit sein, um in der besten Eishockey-Liga der Welt mitspielen zu können. Im September spielt er dann im Trainingscamp der Phoenix Coyotes vor. Dort wird es zählen. "Dort entscheidet sich, ob ich es in die NHL schaffe oder noch mal in der AHL spiele."

Doch zuvor hat er das Viertelfinale in Minsk noch nicht ganz aufgegeben. Gemeinsam mit Shootingstar Leon Draisaitl ( Prince Albert Raiders/WHL) und Matthias Plachta (Adler Mannheim) spielt er für das deutsche Team in einer Offensivreihe. Die jungen Burschen machen ihre Sache gut. Auch sie haben, wie alle deutschen Spieler, über ihrem Visier groß "2017" auf dem Helm stehen. 2017 richtet Deutschland gemeinsam mit Frankreich die Eishockey-Weltmeisterschaft aus.

Diese Zahl auf der Stirn jedes deutschen Spielers ist also Werbung und Vision zugleich. In drei Jahren sollten Grubauer, Noebels, Rieder und Draisaitl zu den besten deutschen Spielern herangereift sein. An der Liga, in der sie dann spielen, wird man ablesen können, ob sich ihre Träume im Eishockey-Paradies Nordamerika erfüllt haben.

© SZ vom 16.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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