Debatte vor Olympia:Caster Semenya siegt - und der Sport hadert schon wieder

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Man könnte meinen, es ginge ihr gerade sehr gut: Caster Semenya nach ihrem Sieg über 800 Meter in Doha. (Foto: dpa)

Gewinnt die südafrikanische Läuferin Gold in Rio, wird es erneut Debatten um ihr Geschlecht geben. Dabei ist es einfach so: Regeln lassen sich ändern, die Körper der Athleten nicht.

Kommentar von Johannes Knuth

Der 800-Meter-Läuferin Caster Semenya aus Südafrika geht es gerade ziemlich gut. Könnte man meinen. Vor Kurzem trat Semenya in Doha auf. Sie reckte den Daumen in die Höhe, gerade hatte sie in 1:58,26 Minuten lässig das erste Meeting der Diamond League gewonnen, Weltjahresbestzeit. Bei den nationalen Meisterschaften gewann sie zuletzt gar dreimal, über 400, 800 und 1500 Meter, binnen eines Nachmittags. Es läuft also prächtig im Sportlerleben der Caster Semenya. Wären da nicht diese merkwürdigen Schlagzeilen.

"Semenya läuft in ein ethisches Minenfeld" ( Daily Mail). Oder: "Eine tickende Zeitbombe" ( Sunday Times).

Es ist eine mächtige Debatte, die gerade auf den Olympiasommer zurollt, und es wirft kein gutes Licht auf die Verbände, dass die Kontroverse um Semenya seit 2009 köchelt. Semenya erschien damals, bei der WM in Berlin, erstmals auf der internationalen Leichtathletik- Bühne, muskulös, burschikos. Sie gewann die 800 Meter derart überlegen, dass die Welt debattierte, ob sie eine Frau sei oder doch ein Mann.

800-Meter-Läuferin Caster Semenya
:Sie ist, wer sie ist

Die Leichtathletik rätselte vor sechs Jahren, ob Caster Semenya eigentlich eine Frau oder ein Mann sei. Daraufhin entzündete sich eine Geschlechter-Debatte - gelöst ist diese immer noch nicht.

Von Johannes Knuth

Wieso tut sich der Sport mit komplexen Debatten so schwer?

Der Weltverband IAAF ordnete einen Geschlechtstest an, die Ergebnisse blieben vertraulich; Semenya sei intersexuell, habe erhöhte Testosteronwerte, raunte die Szene, es war ein entwürdigendes Theater. Die IAAF zimmerte dann eine neue Regel zusammen: eine Obergrenze für Testosteron. Wessen Körper zu viel davon produzierte, musste sich einer Hormontherapie unterziehen. Es war eine einfache Lösung auf ein Problem, das keine einfachen Lösungen hergibt. Semenyas Leistungen fielen jedenfalls immer mehr ins Gewöhnliche.

Bis der Sportgerichtshof Cas im Sommer 2015 den wissenschaftlich umstrittenen Testosteron-Paragrafen aus dem Regelwerk der IAAF hob. Der Verband konnte nicht nachweisen, dass Testosteron als Indikator ausreicht, um jemanden als Mann oder Frau zu klassifizieren. Semenya nähert sich seitdem wieder ihrer Form von 2009, und auch wenn ihr Trainer widerspricht, glauben viele, dass ihre Renaissance der stillgelegten Regel geschuldet ist. Semenya sagt dazu wie immer: nichts.

So oder so ist die Debatte um die Geschlechterregelung im Sport neu entbrannt. Semenya wird in Rio vermutlich Gold gewinnen, sie wird die Debatte erneut auflodern lassen, ungewollt. Was erneut beweist, wie schwer der Sport sich mit schweren Debatten tut. Den Schaden tragen Athleten wie Semenya, deren komplexe Körper nicht in die strikt vermessene Sportwelt passen. Eine Lösung könnte sein, dass der Sport sich tatsächlich von der starren Mann/Frau-Kategorisierung löst, dass er Gender-Regeln erschafft, das Geschlecht also nach sozialen Maßstäben definiert. In jedem Fall sollte er die jüngste Debatte als Aufforderung begreifen: dass man die Regeln endlich nachhaltig ändern muss - und nicht mehr die Körper der Athleten.

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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