Copa América:Nichts für Kinder

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Ein Abschied in Unehren: Neymar, 23, verlässt das Turnier. (Foto: Felipe Trueba/dpa)

Wegen einer Vier-Spiele-Sperre ist die Copa América für Brasiliens Kapitän Neymar wohl beendet. Inzwischen ist bekannt, warum die Strafe so drakonisch ausfiel.

Von Javier Cáceres, Santiago de Chile

Am Ende kann Brasiliens Kapitän Neymar wohl noch von Glück reden. Denn was, peu à peu, an Details seines Ausrasters aus dem Copa-América-Vorrundenspiel gegen Kolumbien (0:1) vom Donnerstag bekannt wird, wäre eigentlich dazu angetan gewesen, ihm eine weit heftigere Strafe einzubringen als jene, die der Südamerika-Verband Conmebol am Samstag tatsächlich aussprach. Die Strafe lautet: vier Spiele Sperre sowie ein Strafzins von 10 000 US-Dollar, den der brasilianische Verband CBF begleichen wird. Die vier Spiele treffen Neymar empfindlich: Sollte der Einspruch des CBF erfolglos bleiben, sind sie bei maximal vier verbleibenden Copa-Spielen (inklusive des letzten Gruppenspiels gegen Venezuela, das in der Nacht zum Montag anstand) gleichbedeutend mit dem Turnier-Aus für den Superstar vom FC Barcelona. Doch Brasiliens Nummer 10 hätte sich, so die Einschätzung von Sportrechts-Experten, kaum beschweren können, wenn er auch für einen Teil der WM-Qualifikation gesperrt worden wäre. Zu heftig war der Wutausbruch, der Brasiliens Kapitän nach dem Schlusspfiff der Partie gegen Kolumbien überkam.

Bekannt war, dass Neymar einem Kolumbianer den Ball in den Rücken gedroschen hatte und einem weiteren Gegner einen Kopfstoß verpassen wollte. 40 000 Zuschauer im Estadio Monumental von Santiago de Chile hatten das ebenso bezeugen können wie Abermillionen Menschen am Fernsehschirm. Der Öffentlichkeit verborgen geblieben war, was Schiedsrichter Enrique Osses (Chile) später zu Protokoll gab. Demnach habe ihm Neymar im Kabinengang aufgelauert und ihn wüst beschimpft. "Du willst doch nur auf meine Kosten berühmt werden, du Hurensohn", soll Neymar gesagt haben. Das Schimpfwort, berichtete der Schiedsrichter noch, soll mehrmals gefallen sein.

Verglichen damit nahm sich das Scharmützel mit Camilo Zúñiga aus wie eine Affekthandlung. Zúñiga ist jener kolumbianische Defensivspieler, der Neymar im Viertelfinale der WM 2014 in Brasilien so schwer am Rücken verletzt hatte, dass der Stürmer das Turnier beenden musste. Nach einem Zusammenprall mit Zúñiga war Neymar nun außer sich: "Und hinterher rufst du an und bittest um Entschuldigung", schrie Neymar Zúñiga an, Aufnahmen des spanischen Fernseh-Senders Canal+ belegen dies.

Das alles steht in einem so brutalen Gegensatz zu Neymars Weltklasse-Auftritt aus dem ersten Copa-América-Spiel gegen Peru (2:1), dass nicht nur die Brasilianer inzwischen grundsätzliche Fragen erörtern: Was ist nur mit Neymar los?

Auch in Barcelona, wo er seit zwei Jahren spielt, scheiden sich manche Geister an Neymar, immer noch. Nicht umsonst machte Barças scheidender Mittelfeldregisseur Xavi Hernández jüngst in einem Interview mit der Zeitung Sport öffentlich, dass ihm Neymars Auftreten auf und neben dem Platz mitunter unbehaglich sei: "Er sollte ernsthaft über sein Verhalten nachdenken." Am Rande der Copa América sorgte sich nun nicht nur Brasiliens Altstar Ronaldo: "Neymar agiert sehr aggressiv. Das darf alles nicht passieren."

Auch aktive Kollegen wie Kolumbiens James Rodríguez (Real Madrid) oder der Argentinier Javier Pastore (Paris St. Germain) mahnten Neymar zu Ruhe: "Hier gucken Kinder zu", sagte Pastore etwa. Nur Lionel Messi hat sich mit seinem kongenialen Barça-Kollegen solidarisiert. Die Vorfälle an sich wollte er nicht kommentieren, aber: "Er ist ein Freund, ich mag ihn sehr. Mir tut es sehr leid, dass er nicht mehr dabei sein darf", sagte Messi.

Wahrscheinlich rührt Messis Verständnis daher, dass er einiges von dem nachfühlen kann, was Neymar passiert. So wie Messi wegen möglicher Steuervergehen belangt wird, steht auch Neymar im Fokus der spanischen Justiz. Neymars Transfer vom FC Santos zum FC Barcelona im Jahr 2013 wird auf mögliche Steuerdelikte und Betrugsvorwürfe untersucht. Zudem muss Neymar mit dem globalen Hype klarkommen, den der Status einer Ikone des Weltfußballs mit sich bringt. Nationaltrainer Dunga erkennt darin einen Grund, warum Neymar so hart bestraft wurde: "Für große Persönlichkeiten sind auch die Strafen sehr groß", sagt er - wohl wissend, dass die Höhe der Strafe auch damit zu tun hat, dass Brasiliens Verband CBF durch die Korruptionsaffäre der Fifa am Rand der Handlungsunfähigkeit steht. Denn CBF-Boss Del Nero reiste angeblich aus Angst vor einer möglichen Verhaftung gar nicht nach Chile - und fiel im Südamerika-Verband Conmebol somit als Lobbyist für Neymar aus. Obendrein war die Verteidigungsstrategie der CBF ein Desaster: Sie baute auf "Provokationen" durch Kolumbianer auf, nahm aber keinen Bezug auf die verbalen Ausfälle Neymars. Die aber machten drei der vier Spiele Sperre aus.

Seit der Verkündung der Sperre hat Neymar sich nicht geäußert, zuletzt sah man ihn in Santiago traurig über den Trainingsplatz laufen. Ob er in Chile bleibt, ist offen: "Wenn er meint, es ist besser, zu gehen, um keine Bitternis auszustrahlen, ist er frei, das zu tun. Er muss das entscheiden. Wir brauchen Männer, keine Kinder", sagte Dunga. Gebucht hat Neymar seine nächste Station schon, sie heißt Ibiza. Dahin geht's in den Urlaub. Früher oder später.

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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