Copa América:Lieber gegen Messi

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Selfie nach der Ankunft in Chile: Jamaika-Trainer Winfried Schäfer. (Foto: Jorge Adorno/Reuters)

Jamaika tritt nacheinander bei der Copa América und beim nordamerikanischen Gold Cup an - die Spieler haben dabei klare Präferenzen.

Von Javier Cáceres, Santiago de Chile

Hin und wieder wird auch Winfried Schäfer, 65, von Heimatgefühlen übermannt. Wenn der frühere Bundesligafußballer von Borussia Mönchengladbach und heutige Nationaltrainer Jamaikas in Kingston sitzt und den Blick über die Vegetation der Karibik schweifen lässt, findet er: "Das ist wie der Schwarzwald. Nur mit Wasser drum herum" - und unterlegt mit etwas eingängigeren Rhythmen: "Hier ist immer Reggae. Reggae. Reggae, Reggae, Reggae. Und richtig laut!"

Seit vergangener Woche blickt Schäfer nun nicht mehr auf die üppige Pracht der Antillen, sondern auf die karge Wüstenlandschaft am Fuße der Anden. Denn Jamaikas Auswahl fiebert in Antofagasta, rund 1300 Kilometer nördlich der chilenischen Hauptstadt Santiago, ihrem ersten Auftritt bei der Copa América entgegen.

Eigentlich war das älteste Nationen-Turnier der Welt einmal als Kontinentalmeisterschaft für die Südamerikaner reserviert. Doch seit ein paar Jahren werden auch Mannschaften aus Nordamerika und der Karibik eingeladen; mitunter auch Japaner und Chinesen, die diesmal allerdings absagten. Die Jamaikaner kamen ins Spiel, weil sie sich auch durch ihren Sieg beim letztjährigen Karibik-Cup empfohlen hatten.

"Ich freue mich auf dieses Turnier", sagt Schäfer - obwohl ihn die Veranstaltung zwischen Anden und Pazifik vor Herausforderungen der besonderen Art stellt. Unmittelbar nach der Copa América (11. Juni bis 4. Juli) findet in den USA nämlich der Gold Cup (6. bis 26. Juli) statt - und der ist für Jamaika eigentlich wichtiger. Beim Gold Cup handelt es sich um das Kontinentalturnier für Nord-, Mittelamerika und die Karibik, also um das höchste Fest des Stammverbandes der Jamaikaner. Beide Turniere mit den gleichen Spielern zu bestreiten, wirft rechtliche Probleme auf: Gemäß den Regeln des Weltverbands Fifa müssen die Vereine ihre Spieler lediglich für ein Turnier freistellten - nicht für zwei. Doch so groß ist die Auswahl Schäfers nicht.

Zudem sind die Präferenzen der Spieler, die Schäfer zur Verfügung stehen, klar. Sie stammen größtenteils aus Jamaika selbst, oder von kleineren Vereinen in den USA und der zweiten englischen Liga - und sie wollen in Chile dabei sein, nicht zuletzt, weil nach den Partien gegen Paraguay (Samstag) und Uruguay im letzten Gruppenspiel der Copa América ein Duell mit dem argentinischen Superstar Leo Messi winkt: "Die wollen alle gegen Argentinien spielen", sagt Schäfer. Und lacht.

Schäfers Freude rührt daher, dass dies einen Ehrgeiz und Willen manifestiert, der ihm in die Karten spielt. Denn der Coach will sich in Chile auch Klarheit darüber verschaffen, auf wen er im Kampf um die Qualifikation für die WM 2018 zählen kann. Es wäre die erste WM-Teilnahme der "Reggae Boyz" seit ihrem Debüt in Frankreich 1998.

"Wir sind technisch besser als viele glauben", sagt Carlos Aitor García, der in Jamaikas Trainerstab für die Videoanalyse zuständig ist - und Schäfer dafür rühmt, dass er die taktischen Grundlagen der Jamaikaner verbessert: "Das ist das Gute, wenn man einen deutschen Trainer hat." Schäfer legt den Finger aber auch in andere Wunden - und benennt schon mal deutlich, dass andere Nationen der Region den Jamaikanern den Rang abgelaufen haben, weil sie systematischer arbeiten, Jugendzentren und Trainingsplätze gebaut und ihre Trainer besser ausgebildet haben.

In Jamaika selbst haben die Sprinter rund um Usain Bolt den Fußballern den Rang abgelaufen; sie ziehen bei ihren Rennen mehr als 10 000 Zuschauer an, die Nationalkicker kommen auf gut ein Drittel solcher Besucherzahlen. Wenn daher Schäfer Missstände benennt, kommt das nicht immer gut an; Jamaika ist und bleibt das Vaterland des Easy Going und des No-problem-Denkens: "Manchmal eck' ich an, aber das ist mir egal. Wir können uns nur dann verbessern, wenn wir neue Wege gehen", sagt Schäfer. Und meint vor allem: verlässliche Wege. Denn als Schäfer 2013 anfing, wurden zugesagte Freundschaftsspiele plötzlich doch nicht veranstaltet; dann wieder tauchten unangekündigte Partien im Kalender auf, eine davon endete vor Jahresfrist gegen Frankreich 0:8.

"Ich zitiere immer einen alten Spruch von Marcello Lippi: 'Wir alle essen vom Erfolg der Mannschaft'", sagt Schäfer - und freut sich darüber, dass sich die Dinge allmählich ändern. "Man merkt jetzt: Die wollen etwas aufbauen", sagt Schäfer. Der Erfolg beim Karibik-Cup 2014 sei nicht zuletzt deshalb möglich gewesen, weil ihm zuvor Zeit gegeben worden war, das Turnier einigermaßen gewissenhaft vorzubereiten. Eine Nationalmannschaftsreise ohne Masseur? Inzwischen undenkbar.

Schäfer lobt seine Talente, legt den Finger aber auch in Wunden

Auch bei den Jugendnationalteams tut sich etwas, seit Schäfer den Jamaikanern die Mechanismen des Markts erklärt. Die europäischen Scouts schauen sich eben "nicht Montego Bay gegen Portmore United" in Jamaika an, um Talente zu entdecken, sondern die Turniere von U17-, U20-, U23-Nationalmannschaften. Schäfer rät: "Darauf müsst ihr hinarbeiten!"

Doch auch die Copa América ist ein feines Schaufenster; sie kann den Effekt haben, dass junge, talentierte Spieler, die in England aufwachsen, sich mit größerer Überzeugung für Jamaika entscheiden. Und nicht gegen das Land ihrer Eltern, wie etwa Raheem Sterling vom FC Liverpool, der für England spielt. Spieler von solch großem Kaliber sind bei Jamaika nicht dabei; Schäfer lobt dennoch Spieler wie Linksverteidiger Kemar Lawrence, 23, der bei den Red Bulls New York in der Major League Soccer spielt und manchen Bundesligisten verbessern würde.

Schäfer selbst freut sich wie seine Spieler auf das Treffen mit Messi: "Egal wie es endet." So vermessen, dass er von einer Siegesserie am Pazifik ausgehe, sei er nicht, sagt der Trainer. Ehrgeiz treibt ihn dennoch. Es gebe für kleinere Mannschaften immer Wege, vermeintliche Giganten zu überrumpeln. Als Vorbild dient ihm der FC Augsburg, der in der vergangenen Bundesligasaison unter anderem den FC Bayern schlug: "Ich will gegen Argentinien nicht eine hohe Niederlage verhindern, ich will gewinnen. Und die Jungs müssen mir glauben, dass ich gewinnen will. Und dass sie gewinnen können."

© SZ vom 12.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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