Copa América:Ein Punk als Party-Retter

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"Ich musste es tun - für Chile": Dank Arturo Vidal gewinnt der Gastgeber zum Auftakt der Südamerika-Meisterschaft in Santiago de Chile 2:0 gegen Ecuador.

Von JAVIER CÁCERES, Santiago de Chile

Die Reflexe des Alphatiers funktionieren noch. Als der schrille Klang des Elfmeterpfiffs im Jubel von 60 000 Zuschauern unterging, dauerte es nur Sekunden, bis Arturo Vidal, der Anführer der Chilenen, den Ball auf den Strafstoßpunkt legte. Niemand seiner Kameraden diskutierte, alle wichen davon. Bei keinem Mitspieler war der Ansatz banger Erwartung zu beobachten. Vielmehr verströmten sie eine Form beruhigender Gewissheit, dass da einer stand, der es richten würde: Vidal, Rey Arturo. Der König, der ungerührt am Strafraumrand verharrte, bis das Gezeter der Ecuadorianer vorüber war. Dann beförderte er den Ball mit erhabener Wucht zum 1:0 ins Netz (67.).

Chile siegte im Auftaktspiel der Copa América letztlich 2:0, weil der eingewechselte Mittelstürmer Eduardo Vargas (Queens Park Rangers/83.) noch erhöhte. Doch die Party gerettet hatte Mittelfeldspieler Vidal, vormals bei Bayer Leverkusen und seit vier Jahren in Italien bei Juventus Turin aktiv. Der Mann, den sie daheim "Celia Punk" rufen.

Vidals Spitzname ist einerseits dem Umstand geschuldet, dass ihm irgend- jemand bei seinem Stammverein Colo Colo eine Ähnlichkeit mit der verstorbenen kubanischen Salsa-Legende Celia Cruz attestierte; anderseits seinem Hang zu Hahnenkamm-Frisuren. Wobei: Punk passt schon ganz gut. Denn wenn es jemanden gibt, der auf dem Platz Körperkontakt sucht wie einst die Pogo-Tänzer bei Konzerten der Sex Pistols, dann Vidal. Das Problem ist, dass dies ein kraftraubender Stil ist. Und dass Pogo mit angezogener Handbremse eher schlecht aussieht.

Bei Vidal war das vor Jahresfrist zu beobachten. Ihm ist es jetzt fast peinlich, gut in Schuss zu sein: "Wäre ich nur vor einem Jahr so gut drauf gewesen . . ." Immerhin brachte er am Dienstag von seinem dreizehnstündigen Transatlantikflug eine Verhärtung seiner Gesäßmuskulatur mit, die Chile vor Beginn der Copa América bangen ließ: "Gebenedeit sei die Po-Massage", jauchzte die Zeitung La Cuarta. Doch das war noch kein Vergleich zum Vorjahr.

Vor der Fußball-WM 2014 in Brasilien hatte Vidal am Außenmeniskus operiert werden müssen; er forderte sich, die Medizin und den gesunden Menschenverstand heraus, schaffte es in den Kader und schleppte sich dann doch nur durchs Turnier. Danach brauchte er Monate, um das Niveau zu erreichen, das ihn zu einem der begehrtesten Mittelfeldspieler der Welt gemacht hatte. Bei Juventus, wo er noch bis 2017 unter Vertrag steht, würden sie ihn wohl wieder abgeben, vorausgesetzt, es findet sich ein solventer Käufer; gerader erst haben sie Sami Khedira von Real Madrid verpflichtet.

"Ich wusste, was ich tat. Aber dass es so hart werden würde, hätte ich nie vermutet", sagt Vidal. Reue? Ach was. "Ich musste es tun - für Chile." Nun will er unbedingt die Copa América gewinnen. Für das titellose Chile. Und für San Joaquín, eine 100 000-Einwohner-Stadt im Süden von Santiago, die davon erzählt, warum Vidal zum Unerbittlichen wurde, der auf nichts Rücksicht nimmt. Nicht auf andere, nicht auf sich. In San Joaquín liegt der Anteil der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, bei 27 Prozent. Im Landeschnitt liegt sie bei der Hälfte.

Ab und an schaut Vidal heute noch vorbei, besucht den Ascheplatz, den er aus dem Kinderzimmer sah. Dort verbrachte er die glücklicheren Stunden seiner Kindheit (und lernte wohl auch, so listig zu fallen wie Donnerstagnacht vorm Elfmeterpfiff). Die Mutter schaffte wenig Geld heran, mit dem Vater gab es Probleme. Inzwischen haben Vidal und sein Vater sich entfernt. Der Fußball-Profi hat seiner Mutter ein Haus in einem besseren Viertel spendiert. Er selbst hat Dutzende Rennpferde und Sportwagen, im Dezember feierte er im distinguierten Hippodrom von Santiago eine Hochzeit, die angeblich rund 700 000 Euro gekostet haben soll. Mehr als 500 Gäste kamen seinerzeit, unter ihnen Staatschefin Michelle Bachelet. Sie blieb ähnlich kurz, wie sie nach dem 2:0 gegen Ecuador in der Kabine blieb. Dort posierte sie für ein Foto und sprach aufmunternde Worte. Vidal dankte ihr und antwortete mit einer simplen Wahrheit mit Blick auf das Spiel am Montag gegen Mexico: "Wir müssen uns noch steigern."

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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