Champions League:Schneller als die Gedanken

Lesezeit: 3 min

Ertappt: Innenverteidiger Ömer Toprak (r.) hinderte Mohamed Salah (l.) am Torschuss. Die Folgen: Platzverweis für Toprak, Elfmeter und Siegtor für Rom. (Foto: HochZwei/imago)

Rom und Leverkusen führen ihren Chaos-Fußball vom Hinspiel fort.

Von Birgit Schönau, Rom

Cool ist er ja, der Roma-Trainer Rudi Garcia. Soeben hatte sein Team mit Ach und Krach im Stadio Olimpico gegen Bayer Leverkusen ein 3:2 errungen, in einem Match, das wie eine Fortsetzung des irren 4:4 vor zwei Wochen in Deutschland erschien. Und Garcia? Grinste: "Wenigstens haben wir uns nicht gelangweilt."

Das kann man wohl sagen, nach 13 Toren in zwei Spielen. Und man könnte es auch dabei belassen, ginge es nicht um die Champions League, die vorgebliche europäische Königsklasse, in der Bayer und die Römer nun hinlänglich bewiesen haben, dass Fußball keine Wissenschaft ist. Sondern ein fröhliches Gewurschtel und Gewusel, bei dem der Zufall die Taktik vorgibt.

Grau ist alle Strategie, am Ende gewinnt man sowieso nur mit Glück, auf dem Rasen wie im Leben. Weswegen sowohl für Garcia, als auch für seinen Kollegen Roger Schmidt nach diesem fulminanten Doppel-Schlagabtausch noch alles offen ist. Beide können es noch ins Achtelfinale schaffen, wenn sie nicht einbrechen gegen Borissow und Barcelona. Langweilig wird es jedenfalls nicht, die Chancen stehen sogar gut, dass Schmidt auch nach dem nächsten Einsatz sagen könnte: "Das war ja ein unglaubliches Match." Mit zwei Kontertoren! "Damit", so Schmidt in schöner Ehrlichkeit, "habe ich nicht gerechnet."

Garcia ging's ja genauso. Denn wenn die Roma mit Mohamed Salah (bedient von Edin Dzeko) schon in der zweiten Minute in Führung ging, die Dzeko zum 2:0 (29.) ausbaute, so konterte Leverkusen sofort nach der Pause mit Admir Mehmedi und fünf Minuten darauf mit Javier Hernández. Es stand 2:2, die klare Führung der Gastgeber war wie gewonnen, so zerronnen, und alles deutete jetzt auf eine Neuauflage des Hinspiels hin, mit aufgekratzten Offensivkräften und aufgelösten Hintermannschaften. "Geht rein und macht sofort ein Tor", hatte Garcia vermutlich seine Männer vor Anpfiff angewiesen. Schmidt machte es in der Pause ebenso, er tauschte zudem den enttäuschenden Stefan Kießling gegen Karim Bellarabi aus, um die große Aufholjagd zu starten. Es schien prompt zu klappen, Bellarabi brachte Schwung ins Spiel, bis sein Muskel zickte, die Tore fielen jetzt für Leverkusen. Fußball kann so einfach sein.

So einfach darf man es sich aber nicht machen, entrüstete sich Bayer-Torhüter Bernd Leno: "Wir haben zu viel abgewartet und hatten zu viel Angst. Zum Glück stand es zur Halbzeit nur 0:2." Tatsächlich dominierte die Roma in den ersten 45 Minuten, da halfen den Leverkusenern auch Ballbesitz und Zweikampfstärke nicht. Dass sie von größeren Komplikationen verschont blieben, dafür sorgte vor allem Mohamed Salah, ein anderer großer Vereinfacher des Fußballs mit erheblichem Unterhaltungswert. Denn niemand rennt so schnell wie dieser Ägypter, der sich ein ums andere Mal den Ball im Mittelfeld schnappte (wo Schmidt dankenswerterweise seine Abwehr platziert hatte) und Freund und Gegnern mit Lichtgeschwindigkeit davonzog.

Dank Salahs Eigensinnigkeit blieb Bayer Schlimmeres erspart

Hastdunichtgesehen stand Salah vorm Tor, allein natürlich, die anderen hechelten ihm ja noch hinterher. Und dann kam der schwache Moment von Lucky Luke Salah, der schneller rennt als sein Schatten, vor allem aber schneller als seine Gedanken. Weshalb er angesichts des vor Angst schlotternden Leno auch schon vergessen hatte, was er mit dem Ball anfangen sollte, der ihm da immer noch am Fuß klebte. Abgeben mochte er ihn jedenfalls nicht. So erzielte Salah zwar ein Tor, vertändelte aber wenigstens drei, vier weitere Treffer. Garcia könnte ihm bei Gelegenheit beibringen, dass Fußball ein Teamsport ist und der Ball das kollektive Arbeitsgerät. Und dann könnte der "Pharao" sich entscheiden, ob er Fußball beruflich weiter betreibt oder lieber eine Karriere als Sprinter startet, mit 23 wäre das noch drin. "Die kann man nicht aufhalten", staunte Schmidt über Salah und dessen Kompagnon Gervinho. Der zweite egozentrische Schnellläufer der Roma bremste sich gnädig selbst aus.

Wie anders dagegen Edin Dzeko. Sein Auftreten ist bemüht, sein Spiel von eiserner, knochentrockener Aufrichtigkeit, seine Ausbeute dürftig. Ein Ligator, jetzt der Treffer in der Champions League. "Es ist mein Job und ich hoffe, ich werde ihn bald besser machen" - so sprach Dzeko, der sich für seine Mannschaft aufrieb, eine Torchance nutzte, die andere vergab, und schließlich resümierte: "Wir schaffen es einfach nicht, ein Resultat zu halten."

Immerhin tastete sich die Roma nach dem Ausgleich ins Spiel zurück, zum Entsetzen der Leverkusener, die damit auch wieder nicht gerechnet hatten. Vor allem Wendell und Kapitän Ömer Toprak, wobei der erste mit Salah sowieso dauerüberfordert war. Entkräftet und frustriert von dem ewigen Wettrennen stapfte der Brasilianer am Ende vom Platz, während Toprak früher gehen musste, nachdem er Salah in Lenos Tor geschubst hatte. Zehn Minuten vor Schluss hatte Leverkusen einen Mann weniger, die Roma bekam einen Elfmeter, den der Bosnier Pjanic verwandelte. "Wir hätten das Spiel drehen können", glaubte Schmidt, nur hätte es dazu einer Abwehr bedurft, die, um den braven Dzeko zu zitieren, ihren Job macht. Sieben Gegentore in zwei Champions-League-Spielen, da wäre das nächste Mal ein wenig Langeweile angebracht. Altmodische Kärrnerarbeit wie sie in Rom unauffällig und beharrlich Giulio Donati verrichtete, Leverkusens einziger Italiener.

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: