Champions League:Karte bringt die Wende

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Mittendrin in einer großen Aufregung: Felix Brych aus München zeigt im Champions-League-Viertelfinale Atlético-Angreifer Fernando Torres (l.) Rot. (Foto: imago/Agencia EFE)

Atlético Madrid führt beim FC Barcelona - und verliert am Ende noch 1:2. Eine Schlüsselrolle dabei spielt der deutsche Schiedsrichter Felix Brych.

Von Oliver Meiler

Schiedsrichter werden selten gut benotet, und das liegt wohl in der Natur der Sache: Unparteiische sind dann gut, wenn sie alles sehen und man sie trotzdem nicht bemerkt. In spanischen Sportzeitungen, die das gesamte Personal auf dem Platz auf einer Leistungsskala von eins (unmöglich schlecht) bis zehn (unvergessliche Weltklasse) bewertet, schwanken Schiedsrichter in der Regel zwischen 4,5 und 5,5. Okay halt. Nun, das Madrider Blatt Marca hat dem Deutschen Felix Brych, zuständig für die Spielleitung in der Begegnung FC Barcelona gegen Atlético Madrid im Viertelfinale der Champions League, eine drei gegeben, weit unter Durchschnitt. Brych ist trending topic in Spanien, Topthema bei der Nachsicht. Und das gleich wegen mehrerer Episoden - vor allem aber wegen einer in der 35. Minute, die Diego Pablo Simeone in einen Zustand außergewöhnlicher Aufregung versetzte. Selbst für dessen Verhältnisse.

Atléticos Trainer ist ja nicht bekannt dafür, dass er sich sonderlich anstrengen würde, seine Gefühle zu verstecken. Der Argentinier war schon als Spieler expressiv. Er mag den theatralischen Gestus, zappelt neunzig Minuten am Spielfeldrand, mimt alle Verrenkungen seiner Spieler nach, fuchtelt Anweisungen ohne Unterlass. Es kümmert ihn auch nicht, dass Fernseh- kameras ständig auf seine Lippen zoomen, damit sich danach die Nettigkeiten recht zweifelsfrei deuten lassen, die im Stadionlärm womöglich untergegangen sein könnten. Selten hat man einen Trainer erlebt, der ein Spiel so gestenreich mitlebt und erduldet wie "El Cholo".

Und so schaute in der 35. Minute alles auf Simeone, Schwarz in Schwarz gekleidet, wie immer. Und der hatte die Arme hochgerissen und schüttelte sie theatralisch, den Kopf gleich dazu, in alle Richtungen. Sollte wohl heißen: "Nein, so können wir hier nicht weitermachen. Das ist nicht mehr Fußball, Señores!"

Das Spiel stand zu jenem Zeitpunkt überraschend 0:1. Erzielt hatte das Tor für Atlético Fernando Torres, ein Vereinsheiliger, zehn Minuten davor. Überhaupt hatte Atlético gerade alles munter unter Kontrolle, agierte viel offensiver, als man das erwartet hatte, stand höher als sonst jeweils gegen starke Gegner, spielte mit drei nominellen Offensivkräften, die auch tatsächlich wacker stürmten. "Atleti" war näher dran am 0:2 als Barcelona am Ausgleich.

Doch dann, in der 35. Minute, passierte das, was die Madrider Zeitung El Mundo einen "Betrug im Haus der Sünde" nannte: Torschütze Torres, bereits als möglicher Held des Abends gehandelt, mindestens Note neun, sah seine zweite gelbe Karte nach einem etwas ungelenken, schlecht dosierten, durchaus ahndungswürdigen Duell mit Sergio Busquets. Brych stellte ihn vom Platz. Wie heißt es so schön in der Fußballsprache: hart, aber vertretbar.

Eine Stunde vor Schluss, inklusive Nachspielzeit. Zu zehnt. Gegen Barça. Im Camp Nou. Ein Held? Torres twitterte später, das sei einer seiner trübsten Tage als Sportler. Das Spiel drehte, zwangsläufig. Barça spielte nun wie Barça, schnürte Atlético in dessen letzten Drittel ein, belagerte und bedrängte es mit seinem Dreizack. Sogar Lionel Messi, der mal wieder mehr schlurfte als rannte, gab sich einen Ruck, samt Rückzieher. Neymar vergab ein halbes Dutzend Chancen. Und Luis Suárez gelangen zwei Tore. Am Ende stand es 2:1, alles wie gehabt, scheinbar wenigstens.

Aber eben, Spanien debattiert nun darüber, ob Felix Brych aus München der hehren Aufgabe überhaupt gewachsen war, ob er den ungestümen Torres nicht hätte verschonen müssen, ob er mit diesem Platzverweis nicht die gesamte Dynamik des Spiels auf den Kopf stellte. Überhart sei dies gewesen, sogar ein bisschen unfair.

Die Frage stellte sich umso mehr, als Brych und seinen Gehilfen entgangen war, wie Luis Suárez, ein Mann mit einschlägigem Ruf, gleich zwei Mal zulangte, je einmal gegen jeden Außenverteidiger: Juanfran und Filipe Luis. Beides hätte Rot verdient gehabt.

Der "Beißer" sah nur Gelb. Atlético-Trainer Simeone sagte nach dem Spiel, er sage jetzt besser nichts, und ließ seine Spieler reden. Filipe Luis etwa vermutet, Barça genieße einen besonderen Schutz: "Es ist kompliziert, gegen diesen Strom anzukämpfen." Und Atléticos Geschäftsführer Miguel Angel Gil, Sohn des einstigen Vereinsbosses, des schillernden Bauunternehmers Jesús Gil y Gil, legte in seinem Zorn auf einmal seine viel besungene Zurückhaltung ab und ersann gar eine Komplotttheorie: "Rummenigge wünscht sich Halbfinalpaarungen mit jenen Teams, die er für die führenden hält - und er wird sie bekommen."

Gemeint war Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandsvorsitzende des FC Bayern München. Bös und steil, die These. Dabei ist im Rückspiel kommende Woche doch noch alles offen.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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