Champions League:Das große Problem mit dem Henkeltopf

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Getrennt sind die Sieger von 2015: Messi (li.) blieb bei Barça, Xavi ging. (Foto: Markus Ulmer)

Noch keiner hat es geschafft, den Titel zu verteidigen - Lionel Messie und dem FC Barcelona könnte es gelingen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Unter Berücksichtigung der Gebote des Vereinsheiligen Johan Cruyff ist für den FC Barcelona jeder Anlass gegeben, defätistisch in die nähere Zukunft zu blicken. "Die Gesetze des Fußballs diktieren, dass auf einen Erfolg eine große Enttäuschung folgt", behauptete Cruyff einmal. Und wer wollte bezweifeln, dass hinter dem FC Barcelona grandiose Erfolge liegen?

Im Juni 2015 machte der FC Barcelona in Berlin das zweite Triple der Vereinsgeschichte perfekt: Die Trophäen, die Barça als aktuellen Sieger des spanischen Pokals, der spanischen Meisterschaft sowie der Champions League ausweisen, stehen nun in den Vitrinen des Camp Nou. Eine Enttäuschung musste Barça bereits verarbeiten: Das Unterfangen, das (in Spanien) sogenannte sextete zu holen, sprich: sechs Trophäen in einem Jahr zu gewinnen. Zwar holte der FC Barcelona den europäischen Supercup, in einem grandiosen Finale besiegten die Katalanen den FC Sevilla. Doch den spanischen Supercup verlor Barça an Athletic Bilbao.

Andererseits: Barcelonas heutiger Trainer Luis Enrique, der seinen Vertrag im Sommer verlängerte, hatte rasch eine neue Herausforderung zur Hand: Sich noch tiefer in der Erinnerung zu verankern, einen Hauch von Unsterblichkeit zu erzeugen. "Wir werden versuchen, das zu vollbringen, was noch niemand in der Moderne geschafft hat: zwei Mal hintereinander die Champions League zu gewinnen." Die Reise, die im Mai 2016 beim Finale in Mailand enden soll, beginnt an diesem Dienstag, in der Ewigen Stadt, beim AS Rom; die anderen Gruppengegner sind Bayer Leverkusen und Bate Baryssau.

"Heute müsste es eigentlich einfacher sein", sagt Sacchi, einst Trainer des AC Mailand

Die Moderne, wie Luis Enrique sie versteht, beginnt mit der Reform des europäischen Königswettbewerbs vor mehr als zwanzig Jahren (1992/1993). Seitdem hat es tatsächlich keine Mannschaft geschafft, den Henkeltopf zu verteidigen. Letztmalig war mit Manchester United ein aktueller Champions-League-Sieger im Finale (die Engländer verloren 2008/2009 in Rom gegen Barça); zuvor gelangten nur drei andere Champions-League-Sieger bis ins Finale des darauffolgenden Wettbewerbs: 1995 hatte der AC Milan gegen Ajax Amsterdam das Nachsehen; Ajax unterlag 1996 gegen Juventus Turin; und Juve verlor 1997 in München gegen Borussia Dortmund. Die vorerst letzte Mannschaft, die überhaupt den wichtigsten aller europäischen Pokale zwei Jahre hintereinander beherbergen konnte, war der AC Milan von Arrigo Sacchi (1989 und 1990).

"Es verwundert mich. Denn heute müsste es eigentlich einfacher sein", spricht der Italiener ins Handy: "Früher musste man nationaler Meister werden, um sich für den Wettbewerb zu qualifizieren. Nicht umsonst waren fast zehn Jahre vergangen, ehe wir es Nottingham Forest (1979, 1980) nachtun und den Titel verteidigen konnten." Die niedrige Frequenz der Titelverteidigung unterstreiche den Reiz der Aufgabe: "Die psychophysischen Bedingungen müssen zwei Jahre nacheinander perfekt stimmen. Das heißt: Man muss nicht nur fußballerisch in Form sein. Es bedarf einer enormen mentalen Anstrengung. Das lässt sich nicht beliebig wiederholen", sagt Sacchi. Was helfen könne? Zum Beispiel Transfers. Vor diesem Hintergrund geht Barça das Projekt Titelverteidigung mit einem außergewöhnlichen Handicap an.

Während die englischen Teams - Manchester City, Manchester United, FC Chelsea und FC Arsenal - auf Einkaufstour gingen und auch der FC Bayern sowie Paris St. Germain nachrüsteten, konnte Barça sich nur virtuell stärken. Weil der Klub vor Jahren die Restriktionen missachtete, die für die Verpflichtung Minderjähriger gelten, wurde Barça im April 2014 vom Weltverband Fifa mit einer "Transfersperre" belegt, die sich auf insgesamt drei Wechselperioden bis Januar 2016 erstreckt. Dem Klub ist zwar erlaubt, Spieler zu verpflichten. Spielberechtigt aber sind die Neuen - Mittelfeldspieler Arda Turan und Außenbahnspieler Aleix Vidal kamen für fast 50 Millionen Euro von Atlético Madrid und dem FC Sevilla - erst ab Januar; bis dahin dürfen sie nur trainieren. Als kleiner Trost dient den Katalanen, dass der belgische Innenverteidiger Thomas Vermaelen nach einem Jahr Verletzungspause wieder gesund ist und in der Defensive Gerard Piqué und Javier Mascherano entlasten kann. Doch ob das reicht, um die beiden wichtigsten Abgänge zu kompensieren?

Barça verzichtet auf Xavi Hernández und damit auf 170 Spiele Champions-League-Erfahrung: der Chefideologe des Barça-Spiels wechselte zu Al Sadd nach Katar. Er war auch vergangene Saison noch derjenige, der das unter Luis Enrique deutlich vertikaler gewordene Spiel beruhigte und ordnete. Auch der Abschied von Stürmer Pedro Rodríguez schmerzt, er ging für 30 Millionen Euro zum FC Chelsea. Neuer Kapitän ist Andrés Iniesta - der letzte Spieler jener Elf, die 2006 in Paris gegen den FC Arsenal den ersten von seither vier Champions-League-Titeln gewann und eine stilbildende Ära begründete. Der seinerzeit noch junge Lionel Messi saß auf der Bank und spielte keine Minute.

Ebendieser noch immer unvergleichliche Messi, 28, bleibt Barças Hauptargument für den Titel. Und: Barça kann durch viele unterschiedliche Stilformen zu Toren kommen. Neben dem Argentinier Messi agieren der Uruguayer Luis Suárez, ein klassischer Mittelstürmer; zudem deutet der Brasilianer Neymar an, dass die Blüte seines Schaffens unmittelbar bevorsteht. Auf ihn dürfte am ehesten zutreffen, was Ivan Rakitic, der frühere Schalker, über den FC Barcelona sagt und die Grundlage dafür bietet, dass die Enttäuschung doch ausbleibt: "Der Hunger dieser Mannschaft ist beeindruckend."

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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