Bundesliga:Schalker Seelen

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War’s mit dem Kopf oder mit der Schulter oder mit der Hand, oder war es alles zusammen? Schalkes Abwehrchef Naldo stellt mit seinem umstrittenen Tor zum 2:1 die Weichen auf Sieg. (Foto: imago)

Das 3:1 gegen Stuttgart sorgt in Gelsenkirchen vorübergehend für Ruhe. Doch sie ist trügerisch: Die Anhänger sehen die Politik von Manager Heidel weiter mit Skepsis.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Der Spieler, der am Sonntagabend am meisten gefeiert wurde, hatte gar nicht mitgewirkt beim 3:1 gegen den VfB Stuttgart, sondern Abschied genommen von Schalke 04. Er erschien im dunkelblauen Schalker Klubanzug mit Krawatte, obwohl er längst in einem anderen Verein spielt; noch mehr Stil offenbarte er später bei den Interviews, als er sein winzig kleines Kind um den Bauch gebunden hatte wie eine Indianermutter. Das Baby verhielt sich genauso pflichtbewusst wie sein Vater in all den Jahren, es ließ die langwierige Befragung ohne Klagen geschehen. Am Ende gab es wechselseitige Verneigungen, denn es ist ja gar keine Frage, dass dieser Mann zu den ehrwürdigsten und am meisten geschätzten Schalkern des 21. Jahrhunderts gehört. "Wir Schalker sind wahnsinnig stolz auf Dich", hatte Klubvorsteher Clemens Tönnies zutreffend gesagt, als er Atsuto Uchida, 29 Jahre alt, zur Feier des Tages in den Arm nahm.

Benedikt Höwedes fand ebenfalls Erwähnung in dieser melancholischen Stunde. Allerdings nicht in der Laudatio von Tönnies, sondern in Gesängen von den Tribünen und auf Bannern der orthodoxen Fraktion im Fanblock. Während Höwedes sich noch von seinem ersten Einsatz mit Juventus Turin erholte (den er auf der Ersatzbank erlebte), nahmen einige Schalker seinen Wechsel nach Italien zum Anlass, der Klubführung ins Gewissen zu reden. Die Worte richteten sich vor allem an Sportvorstand Christian Heidel. Ihm wird nicht nur vorgehalten, beim Kauf der auswärtigen Spieler Breel Embolo, Nabil Bentaleb und Yevhen Konolyanka viel Geld ausgegeben zu haben. Man kreidet ihm auch an, keine Rücksicht auf Schalkes Seele zu nehmen. Oder gar ihren Ausverkauf zu betreiben.

Verabschiedungen hat es in der Ära Heidel tatsächlich auffallend viele gegeben. Überall auf Europas Fußball-Feldern fielen am Wochenende Spieler auf, die kürzlich noch für Schalke tätig waren: Huntelaar schoss zwei Tore für Ajax Amsterdam, Choupo-Moting zwei für Stoke City, Sané zwei für Pep Guardiolas ManCity. Kolasinac bereitete ein Tor in London vor, Geis debütierte in Sevilla, in Düsseldorf trafen die Schalke-Schüler Sobottka und Ayhan (letzterer übrigens per Eigentor). In Düsseldorf spielte auch Uchida erstmals in seinen neuen Farben, denen von Union Berlin.

Die Leute finden, Heidel solle die Nachwuchsschule stärken, nicht leerplündern

Häufig sah sich Heidel zuletzt dem Vorwurf ausgesetzt, die von ihm verantwortete Elf verliere ihre Schalker Gesichter und verändere sich zu einer multinationalen Profimannschaft mit Sitz in Gelsenkirchen. Am Sonntag gab es jetzt auch konzertierte Proteste in der Kurve. Heidel solle die Nachwuchsschule "Knappenschmiede" stärken, nicht leerplündern, hieß es. Der Manager sagte dazu nicht viel. Genauer: Er sagte gar nichts. Hätte er etwas gesagt, hätte er unter anderem auch zugeben müssen, dass der langjährige Chef der Knappenschmiede, Oliver Ruhnert, im Streit ging, als er im Sommer den Job wechselte; er arbeitet jetzt bei Union Berlin.

Selbstredend liegt es nicht in Heidels Absicht, Schalkes mit Recht hochgelobte Nachwuchsarbeit zu schwächen, und er hat auch nicht aus Bosheit langjährige Mitarbeiter wie Höwedes und Uchida vertrieben. Aber es ist auch erkennbar, dass ihn die Kritik irritiert, weil ihm immer noch das Verständnis für das sehr spezielle Schalker Milieu fehlt. In diesem Klub sind die Befindlichkeiten aber mindestens so wichtig wie die Punkte auf dem Tabellenkonto. Auch der neue Trainer Domenico Tedesco wird das lernen müssen, es wird nicht reichen, dass er wie ein Ingenieur am Fußball seiner Mannschaft arbeitet. Tedesco kann fachgerecht beschreiben, warum seine Elf während der ersten Halbzeit trotz Führung zunehmende Probleme mit dem spielerisch gut sortierten Aufsteiger aus Stuttgart hatte, und er kann, wie die bessere zweite Hälfte zeigte, Lösungen vermitteln. Er kann praxisnah über Zweikampftechnik referieren: "Es gibt Situationen, da muss du stellen, und solche, da musst du durchrasen." Und er ist in der Lage, durch System- und Personalwechsel sinnvoll in die Praxis des Spiels einzugreifen.

Aber kann er auch die Schalker Gefühle begreifen? Diesen ist mit rationalen Maßstäben eher selten beizukommen. Im Fall Höwedes hat der junge, unvermeidlich unerfahrene Coach auch deswegen nicht gut ausgesehen, weil ihm der erfahrene Bundesliga-Manager Christian Heidel nicht den nötigen Rückhalt bot.

Kopf der Schalker Kabine ist jetzt der Glatzkopf Naldo, der am Sonntag (unter anderem mit seinem Glatzkopf) nicht nur das 2:1 erzielte, sondern auch 35 Jahre alt wurde. Außer dass Naldo ein vorbildlicher Fußballer und ein freundlicher Mensch ist, ist er auch ein echter Profi. Im Sommer hatte ihn der Ligarivale VfL Wolfsburg zurückholen wollen, Naldo war offenbar nicht ganz abgeneigt. Er marschierte in Heidels Büro, dieser sagte Nein, womit das Thema erledigt war. An dieser Entscheidung des Managers werden die Fans ganz sicher nichts auszusetzen haben, doch das kulturelle Unbehagen, das nicht nur in der Kurve besteht, sollten Heidel und Tedesco nicht unterschätzen.

© SZ vom 12.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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