Bundesliga - der 26. Spieltag:Meisterschafts-Gefahr

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Der VfL Wolfsburg gewinnt das Topspiel der Bundesliga gegen den FC Bayern mit 5:1 (1:1) - und ist nun ernsthaft gefährdet, in dieser Saison Deutscher Meister zu werden.

Jürgen Schmieder

Felix Magath saß auf seinem Platz auf der Wolfsburger Bank und lächelte. Er stubste seinen Banknachbarn an, winkte den Fotografen zu, dann lehnte er sich zurück - als wäre er Gast in der VIP-Loge bei diesem Spitzenspiel und nicht Trainer des VfL Wolfsburg. Es hätte nur gefehlt, dass ihm jemand ein Stück Kuchen und eine Tasse Tee vorbeibringt. "Wir können nur gewinnen", hatte er vor dem Spiel gegen den FC Bayern gesagt. Er fügte jedoch hinzu, dass ein Sieg "eine außerordentliche Genugtuung" für ihn wäre.

Das Tor des Spieltags - vielleicht sogar des Jahres: der Wolfsburger Grafite zum 5:1. (Foto: Foto: AP)

Beide Vereine hatten diese Partie als Schlüsselspiel für die restliche Saison ausgerufen. Diese Begegnungen sind oftmals lange Zeit so interessant wie Kaugummikauen auf Valium - um dann steht es plötzlich innerhalb von einer Minute nicht mehr 0:0, sondern 1:1. So war es auch bei diesem Spiel, bei dem der größte Aufreger der ersten 44 Minuten die Nachricht des Zwischenergebnisses aus Berlin war - und dann plötzlich zwei Tore fielen.

Nur 15 Meter von Magath entfernt saß Jürgen Klinsmann. Ein wenig ernst blickte er drein, er sah ein wenig so aus, als hätte ihm gerade jemand mitgeteilt, dass es heute noch regnen würde. Es war aber eher eine Szene, die sich nach 150 Sekunden auf dem Spielfeld ereignete, die den Trainer des FC Bayern sorgte. Sein Kapitän Mark van Bommel hatte für ein ruppiges Foul die gelbe Karte gesehen und wurde so seiner wichtigsten Eigenschaft beraubt, der rustikalen Aggressivität.

Überhaupt hatte es zu Beginn der Begegnung den Anschein, als wollten die Spieler beider Mannschaft den Rekord für die meisten Fouls in den ersten Minuten einer Bundesliga-Partie brechen. Es wurde gezupft, gehalten, getreten und gemosert. Aufgrund der frühen Verwarnung van Bommels tat sich deshalb Lucio als Zupfer, Halter und Moserer hervor, immer wieder diskutierte er mit Schiedsrichter Thorsten Kinhöfer über dessen Entscheidungen.

Lucios Kollegen kombinierten derweil schnell durch das Mittelfeld und erspielten sich bereits nach wenigen Minuten erste Gelegenheiten. Philipp Lahm etwa flankte in der fünften Spielminute in den Strafraum, dort unterstrich Bastian Schweinsteiger jedoch, dass beim FC Bayern nur Zé Roberto noch größere Schwächen beim Kopfballspiel hat.

Die Spieler des VfL Wolfsburg gaben zunächst die interessierten Zuseher, es hätte wie bei Magath nur gefehlt, dass jemand Tee und ein bisschen Kuchen vorberibringt. Die Defensive verschob gelassen und klug - und achtete stets darauf, dass Frank Ribéry von mindestens zwei Gegenspielern attackiert wurde. Weil dadurch, wie FC-Bayern-Manager Uli Hoeneß schon in der Hinserie bemerkte, "immer ein anderer frei sein muss", war es vor allem Bastian Schweinsteiger, der die Angriffe der Münchner inszenierte. Vorne gab Luca Toni den Wandspieler, um den Stürmerkollege Lukas Podolski emsig herumwuselte und Bälle forderte. Schweinsteiger ist jedoch nicht Ribéry und Podolski nicht Miroslav Klose, so dass aus den Spielzügen kaum Torgelegenheiten entstanden.

Die erste zwingende Torchance hatten indes die Wolfsburger. Nach einem schnell vorgetragenen Konter passte Sascha Rieter auf Edin Dzeko. Der war 14 Meter vor dem Tor wohl so überrascht, dass ihn kein Bayern-Spieler am Torschuss hindern wollte, dass er den Ball nur mit der Fußsohle striff und Philipp Lahm kurz vor der Torlinie klären konnte.

Es war wohl die Angst aller Spieler in der ersten Halbzeit davor, in dieser Begegnung zurückzuliegen, dass kaum ein Akteur es wagte, ein riskantes Dribbling zu starten oder einen gefährlichen Pass zu spielen. So war es kaum verwunderlich, dass der Führungstreffer für Wolfsburg nicht nach einer Kombination aus dem Spiel heraus, sondern nach einem Eckball entstand. Luca Toni duckte sich und Lucio hielt zu Christian Gentner einen Sicherheitsabstand von zwei Metern, so dass der Wolfsburger aus fünf Metern ins Tor köpfen durfte.

Auch der Ausgleich nur wenige Sekunden später fiel nach einer Standardsituation. Einen Kopfball von Lucio konnte Torhüter Diego Benaglio auf der Linie oder knapp dahinter abwehren. Luca Toni war der einzige Spieler auf dem Platz, der sich nicht auf die Entscheidung des Linienrichters konzentrierte, sondern auf den zurückhüpfenden Ball und diesen in Richtung Tor drückte. Diesmal konnte Benaglio nur noch eindeutig hinter der Linie abwehren. DFB-Sportdirektor Matthias Sammer sagte in der Halbzeit über diese Szene: "Das sollen sich junge Spieler ansehen, wie man aufmerksam bleibt - und nicht, ob sich da einer am Ohr schraubt oder nicht."

FC Bayern: Einzelkritik
:Messi wird sich freuen

Eine schwache linke Seite, ein paar kleine van Bommels und die Rückkehr der Ohrschraube. Die Bayern-Spieler in der Einzelkritik.

Johannes Aumüller

Durch diese beiden Tore nacheinander hatte das Topspiel wieder das Problem, das es schon die ersten 44 Minuten hatte. Es stand Unentschieden und keine Mannschaft wollte dem Gegner durch einen Fehler die Möglichkeit geben, den Führungstreffer zu erzielen, weshalb das Spiel so temporeich war wie eine Schachpartie.

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Es war wie in der ersten Hälfte zunächst der FC Bayern, der die Initiative übernahm in diesem Spiel, Franck Ribéry wechselte häufiger auf die rechte Seite, weil er dort weniger Gegenspieler vermutete. Als er jedoch festellte, dass dies ein Irrglaube war, zog er sich beinahe beleidigt aus den Angriffen der Münchner zurück.

Diese Resignation deuteten die Wolfsburger Spieler als Hinweis, nun wieder teilzunehmen an diesem Spiel und auch in der Offensive tätig zu werden. Die ersten Angriffe allerdings hatten diese Bezeichnung nicht verdient, so dass die Zuschauer darauf hofften mussten, dass wieder zwei Tore innerhalb von 130 Sekunden fallen würden.

Das geschah in den Spielminuten 64 und 66. Zuerst sprintete Edin Dzeko in eine schöne Hereingabe von Marcel Schäfer und drückte den Ball über die Linie. Während der Stadionsprecher noch die erneute Führung verkündete, überbrückten die Wolfburger innerhalb von zehn Sekunden das komplette Spielfeld. Torhüter Benaglio rollte den Ball zu Dzeko, der leitete weiter auf Misimovic. Der Brasilianer schnippte den Ball in den Lauf von Dzeko, der erst über den gesamten Platz eilte, dann das Spielgerät sehenswert aufnahm und an Michael Rensing vorbei ins Tor schob.

Wer nun geglaubt hatte, dass der FC Bayern versuchen würde, dieses Spiel noch zu drehen, der sah sich getäuscht. Lukas Podolski etwa vermied es, seine Anzahl an Torschüssen aus der ersten Halbzeit zu erhöhen, weshalb er am Ende bei null Versuchen blieb.

Vielmehr sorgte Grafite in der 74. Minute dafür, dass Breno ernsthaften Kreislaufbeschwerden ausgesetzt war, weil sich der Brasilianer gar so schnell um ihn drehte und zum 4:1 einschob. Nur drei Minuten später war Grafite dann dafür verantwortlich, dass nicht nur Breno, sondern auch Andreas Ottl, Christian Lell und Michael Rensing mit Schwindelgefühlen über den Platz torkelten. Der Wolfsburger Stürmer tanzte um die Bayern-Verteidiger herum, als wären sie Trainingshütchen, danach umspielte er Rensing und drückte den Ball mit der Hacke über die Linie - eine Aktion, die wohl bald in vielen Videos zum "Tor des Jahrzehnts" auftauchen wird.

Zu diesem Zeitpunkt saß Jürgen Klinsmann auf der Bank und sah so aus, als hätte man ihm gesagt, dass es nicht nur bald regnen würde, sondern dass er auch noch vergessen habe, das Schiebedach seines Autos zu schließen. Neben ihm grummelte Uli Hoeneß und auf der Tribüne wollte Karl-Heinz Rummenigge gar nicht aufhören zu schimpfen. Die Spieler des FC Bayern hielten sich zurück - nach dem Spiel wollte kein Akteur auch nur ein Wort sagen zu dieser Niederlage. Die Wolfsburger dagegen reagierten erwartungsgemäß euphorisch, etwa 125 Mal hörte man den Satz: "Das war eine tolle Partie für uns, aber wir denken von Spiel zu Spiel."

Felix Magath saß derweil auf seinem Platz auf der Bank, er hob ein paar Mal den Daumen und lächelte immer noch so zufrieden wie zu Beginn des Spiels. Er trainiert eine Mannschaft, die nach diesem Spiel ernsthaft in Gefahr ist, Deutscher Meister zu werden. Und das wäre für Magath eine noch außerordentlichere Genugtuung als dieses 5:1 gegen den FC Bayern.

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