Bremen gegen Mainz:Das Leben ohne Selke

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In einem allenfalls mittelmäßigen Spiel muss der Stürmer, der bald nach Leipzig wechselt, vorzeitig vom Platz. Die Fans pfeifen ihn aus, die Verantwortlichen reagieren gelassen.

Von Jörg Marwedel, Bremen

Die meisten Bremer Fans haben das neue Geschäftsmodell des SV Werder offenbar halbwegs verstanden. Natürlich gab es Missfallensbekundungen im ersten Spiel nach der Bekanntgabe des Verkaufs von U19-Europameister Davie Selke, 20, der im Sommer zum Zweitligisten RB Leipzig weiter wandert. Doch die hielten sich in erträglichen Grenzen. Denn der Stürmer bringt den wirtschaftlich angeschlagenen Bremern immerhin mindestens acht Millionen Euro, was die finanziellen Chancen auf eine Vertragsverlängerung mit "Hauptstürmer" Franco Di Santo dafür erhöhen sollte. Da aber Selke, der am Donnerstag nach dem Training von einem Bodyguard bewacht wurde, auch im Spiel gegen Mainz 05 von einem sehr wirksamen Leibwächter namens Stefan Bell weitgehend daran gehindert wurde, überhaupt an der Begegnung teilzunehmen, blieb es am Ende beim 0:0 in einer mäßigen Bundesliga-Partie.

"So ist es im Fußball: ein ständiges Kommen und Gehen"

"Die Reaktionen sind doch im Rahmen geblieben", sagte Geschäftsführer Thomas Eichin und auch Zlatko Junuzovic, in der 62. Minute für den U19-Europameister eingewechselt, sah es fatalistisch: "So ist das Fußballgeschäft, ein ständiges Kommen und Gehen."

Selke, der nur 19 Mal die Kugel berühren durfte, musste schon in der 62. Minute für den eigentlichen Werder-Chef Zlatko Junuzovic (der nach dem Länderspiel mit Österreich gegen Bosnien-Herzegowina anfangs geschont wurde) vom Platz. Dieser Moment hätte der entscheidende sein können in einem Spiel, in dem die Mainzer bis dahin die deutlich besseren Möglichkeiten hatten. Die größte hatte sechs Minuten vor der Auswechslung Ja-Cheol Koo nach Flanke von Yunus Malli, doch Werder-Keeper Raphael Wolf verstellte dem Kopfball mit einem schnellen Reflex den Weg über die Torlinie. Aber mit Spielgestalter Junuzovic drehte sich die Partie zugunsten der Bremer, denn nun erhöhten die Norddeutschen das Tempo Richtung Mainzer Tor erheblich.

Und hätte der sehr kleinlich pfeifende Schiedsrichter Michael Weiner in der 77. Minute genau so hingeschaut wie bei den vielen kleineren Fouls (die er mit sechs gelben Karten bestrafte), hätte er einen Elfmeter für die Bremer geben müssen: Bei einer Abwehraktion von Niko Bungert gegen Di Santo (der den Bremer Argentinier genauso gut bewachte wie Kollege Bell den teuren Selke) flog der Ball gegen die Hand des Mainzer Innenverteidigers. Der Strafstoß hätte die insgesamt ausgeglichene Partie womöglich entschieden. Nur in der Nachspielzeit gab es noch eine weitere Chance zum Siegtor für Werder, als Fin Bartels nach Vorlage von Theodor Gebre Selassi knapp rechts am Kasten vorbei zielte.

"Ein typisches Unentschieden", und alle sind zufrieden

Doch was will man sagen über ein Spiel, in dem beide Mannschaften am Ende "zufrieden waren", wie Junuzovic das "typische Unentschieden" kommentierte. Zum Beispiel, "dass wir noch nicht so weit sind, dass wir nach oben schauen können", wie Werder-Coach Viktor Skripnik sagte. Dabei haben die Bremer nach der Amtsübernahme der Werder-Legende Skripnik eine Punkt-Ausbeute, die mindestens zur Europa League reichen würde. Und einige Profis hatten durchaus, wie Bartels verriet, noch derartige Träume gehegt. Allerdings hatte Skripnik die Mannschaft Ende Oktober auf Tabellenplatz 18 übernommen, bevor er mit einem 2:1-Sieg in Mainz eine Serie startete, die wieder ein wenig an das alte, erfolgreiche Werder erinnerte.

Immerhin haben sich die Bremer, bei denen am Samstag die Talente Levent Aycicek und Janek Sternberg eine gute Vorstellung abgaben, mit 35 Punkten fast die Qualifikation für die kommende Bundesliga-Saison erspielt. 05-Trainer Matthias Schmidt dagegen sieht die Mainzer mit nun 31 Zählern "noch immer im Abstiegskampf". Und diese Phase, glaubt er, wird trotz des erfolgreichen Trends unter seiner Regie "noch ein paar Wochen anhalten". Denn immerhin empfangen die Rheinland-Pfälzer am kommenden Samstag das Spitzenteam von Bayer Leverkusen. Und auch Johannes Geis, der diesmal nur einen gefährlichen Freistoß aufs Tor wuchtete (von Wolf in der 59. Minute abgewehrt), müsste sich wieder steigern.

Wie Werder demnächst ohne den veranlagten Selke Fortschritte erzielen wird? "Leben geht weiter", sagte Viktor Skripnik, als störe ihn diese Personalie nur am Rande. Profi-Direktor Rouven Schröder ist sicher, dass wir dann "den Nächsten entwickeln". Und was das Verbleiben von Franco Di Santo angeht, scheint man derzeit bei den Hanseaten auch gelassen zu sein. "Wir sind mit seinem Agenten im Gespräch", verkündete Schröder. Sollte der Argentinier trotz seines hohen Stellenwertes bei Werder nicht bleiben wollen, soll er aber in diesem Sommer gehen. Denn nur dann kann der Klub, der einen Vertrag bis 2016 mit ihm hat, noch eine ordentliche Ablöse erhalten.

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