Boxkampf David Haye gegen Dereck Chisora:Freakshow der Verlierer

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Am Samstag treten in London die Schwergewichts-Boxer David Haye und Dereck Chisora gegeneinander an, gesucht wird trotz aller Beteuerungen der nächste Gegner der Klitschkos. Die skandalträchtige Ansetzung des Kampfes zeigt, dass für Geld beim Boxen fast alles möglich ist.

Jürgen Schmieder

Am Mittwoch standen sich David Haye und Dereck Chisora gegenüber. Ein Bauzaun sollte verhindern, dass sie wieder übereinander herfallen wie im Februar in München nach dem Kampf zwischen Chisora und Vitali Klitschko. Die Prügelei soll am Samstagabend stattfinden. Drei Tage vor dem Kampf durften die beiden dastehen, sie durften sich in die Augen starren - und natürlich durften sie reden.

Durch einen Bauzaun getrennt: David Haye (links) und Dereck Chisora auf der Pressekonferenz. (Foto: Getty Images)

"Er ist ein Loser", tönte Haye, "er hat die EM verloren, er hat die WM verloren, er hat sogar den Straßenkampf gegen mich verloren. Jetzt bekommt er es noch einmal richtig." Chisora konterte: "Ich bin ein Verrückter, ich habe meine Medikamente genommen. Nun ist Schluss mit den Spielchen, am Samstag reiße ich Dir den Arsch auf." Die beiden Schwergewichtsboxer benahmen sich, als wären sie zwei Pistoleros im Wilden Westen, die sich gleich in der Mittagssonne zum Duell treffen.

In der Tat ähnelt das Schwergewichts-Boxen einer Stadt im Wilden Westen, die dereinst im Goldrausch erblühte. Wenn sich die Desperados duellierten, dann war es für einen Moment lang vollkommen ruhig, dann krachte es gewaltig. Die glorreichsten Halunken - die eigentlich Jack Johnson hießen oder Joe Louis oder Muhammad Ali - bekamen kreative Spitznamen wie Galveston Giant (Johnson), Brown Bomber (Louis) oder einfach The Greatest (Ali), um sie rankten sich Mythen, sie wurden verehrt und mit Gold überhäuft. Es gab auch damals schon Gaukler, Ganoven und Falschspieler, die sich durch Zockereien und gerissene Geschäfte bereicherten.

Mittlerweile ist diese Stadt zu einem recht trostlosen Ort verkommen, es gibt deutlich mehr Ganoven als tapfere Helden. Auf der Veranda des Sheriffs lungern gelangweilt die Gesetzeshüter Wladimir und Vitali Klitschko herum und verjagen jeden Goldgräber, der sich noch in diese Stadt verirrt. Wladimir hat im Juni vergangenen Jahres David Haye hinfort gescheucht, sein Bruder Vitali im Februar diesen Jahres Dereck Chisora die Grenzen aufgezeigt. Seitdem ist es verdammt ruhig in der Stadt, ab und an weht ein Heuballen durch die Straßen.

Diese Langeweile ist auch der Grund, warum der Kampf eines zurückgetretenen Boxers (Haye) gegen einen, der drei seiner letzten vier Duelle verloren hat (Chisora), derart viel Aufsehen erregt. Im Schwergewichtsboxen bekommt nicht unbedingt der beste Boxer die meisten Goldnuggets, sondern der, der dafür sorgt, dass die Menschen Eintrittskarten kaufen oder den Fernseher einschalten. Und beim Boxen interessiert nicht nur der sportliche Wert eines Duells, sondern meist auch die Frage: Wird etwas Aufregendes passieren?

Für Aufregung haben Haye und Chisora ohne Zweifel gesorgt, wenn auch auf unrühmliche Art. Erst gab es die erbarmungslose Prügelei, wegen der Chisora seine Lizenz des britischen Boxsportverbandes verlor. Es folgten Beleidigungen und Provokationen, schließlich verkündeten die beiden die Ansetzung des Boxkampfes. "Wegen öffentlichen Interesses", war die lapidare Erklärung von Haye. Beide treten mit einer Lizenz des luxemburgischen Verbandes an, durch die freie Wahl des Arbeitsplatzes darf der Kampf im Stadion des Londoner Fußballvereins West Ham stattfinden.

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Einen Krieg hatte David Haye angekündigt, doch er ist zu oft auf der Flucht, tänzelt, duckt sich, weicht zurück. Dennoch: Der Brite beweist sein Talent und bringt Wladimir Klitschko immerhin kurz ins Wanken. Am überzeugendsten ist allerdings seine schauspielerische Leistung.

Jürgen Schmieder, Hamburg

Es geht sogar um Titel: Die World Boxing Organisation (WBO) vergibt den Intercontinental title, die World Boxing Association (WBA) den International title (WBA). Im Stadion werden mehr als 30.000 Menschen sitzen, der englische Pay-TV-Sender Sky meldet herausragende Zahlen. In Deutschland wird der Kampf vom Bezahlsender Sky Select übertragen, nachdem sich die ARD zurückgezogen hatte.

Nun dürfen sich Haye und Chisora im Ring prügeln, rein sportlich ist tatsächlich ein spannendes und hochklassiges Gefecht zu erwarten. Der 31 Jahre alte Haye ist ein formidabler Techniker, der sich elegant um den Gegner bewegt und äußerst präzise zuschlägt. Ihm dürfte entgegen kommen, dass der Kampf nur auf zehn Runden angesetzt ist, wirkte er doch bei den letzten Kämpfen in den letzten Runden oftmals müde.

Der 28-jährige Chisora ist drei Zentimeter kleiner, dafür etwa 15 Kilo schwerer, er marschiert mutig nach vorne, seine Haken und Aufwärtshaken sind wuchtig, mitunter aber arg ungenau. "Der Kampf wird überaus unterhaltsam werden, wie lange auch immer er dauern wird", sagt Hayes Trainer Adam Booth.

Die Klitschkos betonen seit Wochen ihr Desinteresse, Wladimir nannte das Duell "eine Freakshow", Vitali sagte: "Da kämpfen zwei Klitschko-Verlierer gegeneinander." Dennoch gilt es als überaus wahrscheinlich, dass der Sieger bald gegen einen der Brüder antreten darf.

Gewinnt Chisora, dürfte er wohl gegen Wladimir in den Ring steigen, Haye darf auf ein lukratives Duell gegen Vitali hoffen. Das würde perfekt in die Vermarktungsstrategie der Klitschkos passen: Der Gegner präsentiert sich als böser Bube und sorgt für Aufregung, die Klitschkos dürfen ihr nahezu perfektes Image pflegen. Haye und Chisora werden am Samstag sehr viel Geld verdienen, der Sieger darf bald nach noch mehr Gold schürfen. Schon jetzt steht fest: Für eine Handvoll Dollar ist in dieser Sportart fast alles möglich.

© SZ vom 07.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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