Box-Weltmeister:Tyron Zeuge ist endlich geschlüpft

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Voller Energie: Tyron Zeuge (links) besiegt Giovanni de Carolis per K.o. in Runde zwölf. (Foto: Matthias Kern/Getty Images)

Beinahe wäre er Türsteher geworden: Der Box-Profi Tyron Zeuge galt lange als einer, der sein Talent verschleudert. Jetzt ist er Weltmeister.

Von Saskia Aleythe, München/Potsdam

Die Suche nach den richtigen Worten ist für Jürgen Brähmer eine neue Herausforderung. Der 38-Jährige ist fürs Draufhauen bekannt, nicht fürs Reden, bis vor kurzem war er noch Weltmeister im Halbschwergewicht. Samstagnacht in der Potsdamer Arena steht er außerhalb vom Ring, er hat seit diesem Jahr eine Doppelfunktion: Boxer und Trainer. Auf der Matte steht Tyron Zeuge, 24 Jahre alt, im Kampf um den WM-Titel der WBA gegen den Italiener Giovanni de Carolis hat er sich vier Runden lang überragend geschlagen, dann bricht er ein, immer öfter landen die Fäuste in der Luft. Die Konzentration ist weg, der Kampf soll ihm nicht auch noch entgleiten. "Belohn' dich!", brüllt ihm Brähmer entgegen, immer wieder. Es sind Worte, die jemand gefunden hat, der weiß: Um Belohnungen hat sich Zeuge schon zu oft selber gebracht.

Tyron Zeuge wird diesen Kampf im Supermittelgewicht gewinnen, in der zwölften Runde hängt De Carolis zwei Mal in den Seilen, ausgepowert und im Gesicht schwer getroffen. "Ich habe gemerkt, dass er müde wurde", japst Zeuge danach ins Ring-Mikrofon, er bekommt die Arme kaum noch zum Jubeln nach oben, er schnauft, ihm hängt die Zunge aus dem Hals. Ob es ihm etwas bedeute, nun zweitjüngster deutscher Weltmeister überhaupt zu sein? "Nö, das ist mir scheißegal", keucht Zeuge, "Hauptsache Weltmeister". Conny Mittermeier, der ihn neben Brähmer trainiert, sagt: "Heute hat man gesehen, dass er aus dem Ei geschlüpft ist." Ihn da herauszulocken, war für die Trainer alles andere als einfach.

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Beim Kampf in Manchester will er den Titel zurückerobern. Philipp Lahm fordert den FC Bayern auf, einen Generationswechsel einzuleiten. Sportvorstand Heidel appelliert an die Mentalität der Profis von Schalke 04.

Das Prinzip "Viel hilft viel" half bei Zeuge nicht

Schon früh galt Zeuge als Ausnahmetalent, weil er technisch enorm variabel ist, weil er schnell boxt und schnell reagiert. Er sammelte Pokale bei deutschen Meisterschaften, wurde Europa- und Weltmeister als Junior. Doch was ihn antreibt, wusste Zeuge eine Zeit lang nicht mehr. Als er 20 war, starb sein Vater bei einem Motorrad-Unfall. Ein paar Monate später wurde er selber Vater, hatte nun eine kleine Familie in Berlin Neukölln. Erlebnisse, die einen Menschen prägen. Für Zeuge entwickelte sich das Training in Berlin immer mehr zum Problem. "Ich hatte die Lust aufs Boxen verloren", sagt er heute, "beinahe wäre ich Türsteher oder Taxifahrer geworden".

Anfang des Jahres wechselte er nach Schwerin, mit einem letzten Funken Glaube an eine Karriere, die ihm Experten schon oft vorhergesagt hatten. "Er kam in einem desolaten Zustand", erinnert sich Brähmer. Immer wieder kämpfte er mit seinem Gewicht, musste wegen zu vieler Kilos sogar Kämpfe absagen. Es war das Resultat einer Trainingsphilosophie, die bei Zeuge keine Wirkung zeigte: Das Prinzip "Viel hilft viel" half bei Zeuge eben nicht. Er fühlte sich in Berlin oft unverstanden und überfordert. "Ich bin jemand, der auch mal seine Ruhe braucht", sagt er. "In welchen Momenten er alles schlafen kann, ist bemerkenswert", scherzt Brähmer.

Der neue Trainer vermeidet es, von Disziplinlosigkeit zu sprechen. In der Vorbereitung auf den Kampf gegen De Carolis habe es "Abwechslungen gegeben, für meinen Geschmack ein bisschen zu viel", sagt Brähmer. Schon im Juli hätte Zeuge Weltmeister werden können, im ersten Duell gegen De Carolis. Er hätte Graciano Rocchigiani als jüngsten deutschen Weltmeister um acht Tage ablösen können, als Doppelweltmeister wären er und Brähmer aus der Halle marschiert. Doch Zeuge verletzte sich im Kampf an der linken Schulter. Wie er dann die Auslage wechselte und zu Ende boxte, beeindruckte. Die Ringrichter werteten den Kampf Unentschieden, ein umstrittenes Urteil. Mit der gleichen Leidenschaft verschaffte sich Zeuge auch im Rückkampf die größten Sympathien.

Nach starkem Beginn mit vielen Treffern wurde er schludriger, der austrainiertere De Carolis kam zu einfachen Körpertreffern, Zeuge vernachlässigte die Abwehr und Beinarbeit. "Giovanni ist ein harter Hund", sagte Zeuge danach, "unser Plan war, kontrolliert draufzugehen mit der Führhand, was ich letztes Mal vernachlässigt habe".

Ab der siebten Runde kämpfte sich Zeuge zurück und drehte so auf, dass sein Gegner nach einem Kopftreffer in die Seile fiel. Promoter Kalle Sauerland sprang nach dem finalen Knockout wie aufgezogen durch den Ring. Es war ein schwieriges Jahr für den Boxstall. Erst nach langen Verhandlungen gab es einen neuen TV-Vertrag mit Sat1. Euphorisch verkündete Sauerland: "Tyron ist ein Aushängeschild des Boxens in Deutschland."

© SZ vom 07.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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