Borussia Mönchengladbach:Lucien Favre schmeißt hin

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Einen Tag nach dem 0:1 in Köln tritt Mönchengladbachs Trainer völlig überraschend zurück - Borussias Manager Max Eberl kann ihn nicht umstimmen.

Von Ulrich Hartmann, Köln

Einmal vom Tabellenkeller in die Champions League und wieder zurück: Mit dieser schrägen Pointe endet jetzt offenbar die Geschichte des Schweizer Fußballtrainers Lucien Favre bei Borussia Mönchengladbach. Am Sonntagabend, 24 Stunden nach der 0:1-Niederlage im Derby beim 1. FC Köln, meldete sich Favre bei der Deutschen Presseagentur und übermittelte ein Statement: "Nach reiflicher Überlegung und eingehender Analyse bin ich zu der Erkenntnis gekommen: Es ist in dieser Situation die beste Entscheidung, mein Amt als Cheftrainer bei Borussia Mönchengladbach niederzulegen". Und weiter: "Ich habe nicht mehr das Gefühl, der perfekte Trainer für Borussia Mönchengladbach zu sein." Er müsse "ehrlich zu mir und meinen Partnern professionell sagen: Es geht um den Verein, um den Mythos Borussia! Ich muss diese Entscheidung für Borussia und die Zukunft treffen."

Der Klub wollte sich zu dem Schritt zunächst nicht äußern. Es war aber zu hören, der Manager Max Eberl habe den ganzen Tag über versucht, Favre umzustimmen. Er hat vermutlich sogar geglaubt, dass ihm das gelingt. Er kennt ihn ja inzwischen auch schon ein paar Jahre: Favre, den Zauderer. Favre, den ewigen Pessimisten. Es gehört zur Persönlichkeitsstruktur des Fußballlehrers aus dem Bauerndorf Saint-Barthélemy in der Westschweiz, dass er eigentlich permanent im Zustand des möglichen Rücktritts lebt.

Trauriges Ende: Trainer Lucien Favre trennt sich von Borussia Mönchengladbach. (Foto: Jonas Guettler/dpa)

Das war schon in der zweiten Schweizer Liga so, bei Yverdon-Sport, wo ihn der Präsident Paul-André Cornu regelmäßig in seine Keksfabrik bat, Marzipan-Pralinen servierte - und Favre reden ließ. Oft gab es gar nichts Konkretes zu besprechen, "aber Lucien Favre muss einfach viel reden", hat Cornu einmal der Süddeutschen Zeitung erzählt. Es war später so beim FC Zürich, bei Hertha BSC, und auch Eberl hatte eine gewisse Routine darin entwickelt, Favre die Rücktrittsgedanken auszureden mit seinem zupackenden Pragmatismus. Aber nun, da die Öffentlichkeit informiert, kann Lucien Favre den Schritt ja kaum noch mal revidieren.

"Wir kreieren Fußball, aber keine Chancen", sagt Favre ernüchtert

Und das Groteske ist nun: Gladbach-Fans, die im schreckensreichen Frühjahr 2011 auf eine einsame Insel geflohen und erst jetzt heimgekehrt sind, sehen ihre Borussia damals wie heute als Tabellenletzten in erheblicher Not. Der Klub hat unter Favre in der Zwischenzeit allerdings die Bundesliga-Relegation gegen Bochum gewonnen (2011), gegen Dynamo Kiew Champions-League-Playoffs verloren (2012) und in der Europa League die K.o.-Runde erreicht (2013), er hat sich 2014 ein zweites Mal für die Europa League und 2015 sogar erstmals für die Champions League qualifiziert. Doch der mehrjährige Höhenflug ändert nichts an der misslichen Gegenwart. Gladbach ist nach viereinhalb Jahren unter Favre wieder genau dort, wo man die Zusammenarbeit im Februar 2011 begann: am Tabellenende.

Zu hoch für Verteidiger Andreas Christensen (Zweiter von links): Kölns Stürmer Anthony Modeste (Nr. 27) erzielt das Siegtor gegen Gladbach. (Foto: Uwe Kraft/imago)

Und dennoch kommt der Rücktritt überraschend - nach fünf Spieltagen.

Die jüngste Beschlussfassung zur Mönchengladbacher Krise stammte eigentlich ebenfalls von einem Schweizer Gutachter: Der Mittelfeldspieler Granit Xhaka hatte noch in Köln entschieden, dass man nach dem fünften Spieltag nicht vom Abstiegskampf sprechen darf. "Am dreißigsten, ja, aber nicht am fünften." Die Tugenden, die der 23-Jährige von seiner erfolglosen Mannschaft einforderte, waren allerdings genau jene, die auch im Abstiegskampf thematisiert werden: "Wir müssen Zweikämpfe gewinnen und dürfen die Gegenspieler nicht einfach nur passiv doppeln", verlangte Xhaka. Und der mit Kritik sonst eher sparsame Sportchef Eberl formulierte subtil: "Die Jungs sind manchmal zu brav."

Nur fünf Spieler aus dem schwierigen Frühjahr 2011 zählen noch zum heutigen Kader, Martin Stranzl, Roel Brouwers, Tony Jantschke, Havard Nordtveit und Patrick Herrmann; man kann also nicht behaupten, die heutige Belegschaft müsse aus ihren damaligen Erfahrungen doch Übung in der Krisenbewältigung besitzen. In Jantschke und Brouwers standen in Köln sogar nur zwei Spieler auf dem Platz, die auch 2011 am wundersamen Klassenerhalt beteiligt waren. Die Gladbacher, die ihre Erfolge der vergangenen Jahre mit klugem und oft ansehnlichem Strategiefußball erspielt haben, können jetzt nicht auf Knopfdruck aus ihrem Favre-Stil in den Grasfresser-Modus wechseln. Das war bereits das Problem der vergangenen Wochen gewesen: dass hier ein verunsichertes Team versuchte, seine Krise im bewährten Favre-Code zu lösen. Spielerisch. Es kann nichts anderes. Was macht diese Mannschaft jetzt - ohne ihren Meister?

"Wir lassen uns nicht auseinander dividieren", hatte Max Eberl am Samstag noch gesagt, es war mal wieder Kritik an der sommerlichen Transferpolitik aufgekeimt. Zumindest bisher wirken die nach Leverkusen und Wolfsburg gewechselten Christoph Kramer und Max Kruse durch Lars Stindl und Josip Drmic nicht adäquat ersetzt.

Wie es nun weitergeht, am Mittwoch gegen Augsburg, am Samstag in Stuttgart, am übernächsten Samstag gegen Wolfsburg? Mit welchem Trainer? Mit welcher Strategie? Lucien Favre wird es sicher sehr emotional verfolgen. Sieben Niederlagen in den ersten sieben Saisonspielen hat es in der Bundesliga jedenfalls noch nie gegeben.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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