Borussia Mönchengladbach:"Das ist pervers"

Lesezeit: 3 min

Eberls Schutzbefohlener: Gladbachs ausgepfiffenes Talent Cuisance. (Foto: Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images)

Gladbachs Manager Max Eberl nerven die Pfiffe der eigenen Fans. Er verlangt mehr Zufriedenheit.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Max Eberl neigt sonst nicht zur extrovertierten Körpersprache. Wenn Borussia Mönchengladbachs Sportdirektor nach einem Spiel aus dem Innenraum des Stadions kommt, hat er meistens die Hände in den Taschen und schaut gefasst. Er beherrscht das Pokerface. Nach dem jüngsten 3:1-Sieg gegen den Hamburger SV war aber alles anders. Eberl riss sich die Vereinsjacke mit dem Gladbacher Wappen vom Leib, als wolle er aus der Haut fahren. Dabei stieß er Flüche aus, die man besser nicht wiederholt. Selbst nachdem er anschließend eine halbe Stunde Zeit zur Beruhigung gehabt hatte, fluchte er: "Das ist eine bodenlose Frechheit, das geht mir auf den Sack, das ist pervers."

Gladbach musste im finalen Hinrundenspiel gegen den HSV auf neun Spieler verzichten. Deshalb bildete Trainer Dieter Hecking im zentral-defensiven Mittelfeld eine Doppelsechs mit den jeweils 18 Jahre alten Mickaël Cuisance und Reece Oxford. Für den Franzosen Cuisance war es das zehnte Bundesliga-Spiel, für den Engländer Oxford das dritte. In der ersten Halbzeit schoss Oxford an die Latte und Cuisance traf den Pfosten. Beide bewiesen ihr Talent. In der zweiten Halbzeit gerieten sie gegen stärker werdende Hamburger allerdings ein bisschen unter Druck und scheuten riskante Pässe in die Tiefe. Nach Rückpässen pfiff darum das Publikum - und damit war es um Eberls Laune geschehen. "Wir spielen mit zwei 18-Jährigen im Mittelfeld, und die werden ausgepfiffen, weil sie mal den Ball zurückspielen?" Wer da pfeife, schimpfte er, "der soll doch zu Bayern München gehen".

Vor einem Jahr wäre Eberl beinahe selbst zu Bayern München gegangen, aber nicht, weil ihm dort der Fußball so viel besser gefällt. Er wäre Sportdirektor bei seinem Freund Uli Hoeneß geworden, aber er hat sich letztlich entschieden, lieber in Gladbach zu bleiben, um diesen Klub weiter voranzubringen. Ende November hat Gladbach die Bayern besiegt, aber statt sich danach in der Spitzengruppe festzusetzen, hat die Borussia aus drei Spielen nur einen mageren Punkt geholt und beim 0:1 in Freiburg gar völlig versagt. Die Mannschaft ist jung, die Mannschaft hat auch Verletzungspech, sie ist bisweilen launisch und vergisst zwischendurch mal das Fußballspielen. Das wurmt zwar auch Eberl, aber viel mehr wurmt ihn, wenn das Publikum dann nörgelt und pfeift. Eberl findet, dass alle viel dankbarer sein müssten.

"Übertriebene Erwartungshaltung kann einen Verein erschlagen"

Ein geflügeltes Wort im Verein stammt noch aus dem Munde des früheren Trainers Lucien Favre. Wenn es mal nicht lief, wenn die Fans murrten und die Zeitungen nörgelten, dann sagte Favre mit bedrohlichem Timbre: "Wir waren tot." Er erinnerte mit dieser dramatischen Phrase ans Frühjahr 2011, als er den Trainerjob von Michael Frontzeck übernommen hatte und Gladbach bereits so gut wie abgestiegen war. Man rettete sich aber noch in die Relegation und gewann dort gegen einen von Friedhelm Funkel betreuten VfL Bochum. Dieser knappe Erfolg war die Geburtsstunde der neuen Gladbacher Borussia. Favre führte die Mannschaft später in die Champions League.

Ein bisschen mehr Zufriedenheit mit der Leichtigkeit des Seins verlangt seither auch Eberl dem Verein und seinem Publikum ab. Tatsächlich hat es seit 2011 eigentlich nur drei Tage gegeben, an denen Eberl einen traurigen oder wütenden Eindruck machte: am 20. September 2015, als Favre die Borussia über Nacht verließ, am 23. November 2016, als die Fans ein 1:1 gegen Manchester City in der Champions League schon während des Spiels mit Pfiffen quittierten - und am vergangenen Freitag nach dem Spiel gegen den HSV.

Dabei haben die Fußballer und die Fans der Borussia sogar gemeinsam, dass sie im einen Moment überragend sind, ihre Euphorie im nächsten Moment aber schon wieder komplett verlieren können. Fußballer und Fans teilen ihre Launen, aber während Eberl den Spielern dieses Wechselbad zugesteht, tut er es beim Publikum nicht. Die Gefahr, der Klub könnte Opfer seiner eigenen wachsenden Ansprüche werden, will Eberl bekämpfen. "Übertriebene Erwartungshaltung kann einen Verein erschlagen", sagt er warnend. Insofern werde er auch künftig vehement dagegen vorgehen. Es sind also noch einige Wutreden zu erwarten.

© SZ vom 18.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: