Borussia Dortmund:Wenn der Abschiedsschmerz kommt

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Jürgen Klopp gelingt trotz der Niederlage im letzten Spiel noch einmal eine Inszenierung von Wucht und Leidenschaft.

Von Freddie Röckenhaus, Berlin

Wie sie da so standen, um halb zwei nachts, Jürgen Klopp und seine beiden Co-Trainer, Klub-Präsident Reinhard Rauball, Manager Michael Zorc, BVB-Boss Hans-Joachim Watzke und der in Profi-Pension scheidende Sebastian Kehl, alle in Schlips und Kragen und mit gefalteten Händen: Man konnte für Momente meinen, dass gleich ein Wort an die Trauergemeinde gerichtet und ein Segen erteilt würde. Der meterhohe Slogan an der Seitenwand der Bühne im Kraftwerk Berlin, schwarz auf gelb aufgezogen, gehört zum Text eines Dortmunder Fan-Chorals. Er hätte aber auch das Zeug zu einer Grabstein-Inschrift: "Es gibt nie, nie, nie einen anderen Verein!"

Von der deprimierenden 1:3-Niederlage im Pokalfinale war bei den meisten Party-Gästen vor allem ein Konjunktiv übrig geblieben, den absolut jeder im Munde führte: "Hätte Marco Reus das 2:0 gemacht . . ." Doch er vergab die Großchance.

So aber fiel die Verabschiedung von Jürgen Klopp auf ihren schmerzlichen Anlass zurück, nicht geschönt durch eine märchenhafte Schluss-Pointe, die der Pokalsieg im letzten Spiel des Trainers bedeutet hätte. "Du bist in richtig schweren Zeiten zu uns gekommen", erinnerte Hans-Joachim Watzke, "und du hast uns mit deiner Art das Lächeln wieder gebracht."

Abschied mit leeren Händen: Jürgen Klopp verlässt die Bühne als BVB-Trainer. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Watzke überreichte drei Stadion-Dauerkarten, die sich Klopps Frau Ulla für die Familie gewünscht hatte. Damit aber waren die großen Pointen der Abschiedsreden schon erschöpft. Klopp hatte schon im Olympiastadion wesentlich bedrückter gewirkt als noch vor einer Woche, bei der offiziellen Verabschiedung im Signal-Iduna-Park. Diesmal sagte er, ungewohnt nach Worten ringend: "Ich habe gerade gemerkt, dass jetzt der Abschiedsschmerz kommt. Es tut extrem weh. Ich habe jeden der Jungs in den Arm genommen und ich merke, dass es mir unendlich schwer fällt, diese Jungs wieder loszulassen."

Das ganze Bild von Borussia Dortmund, das die Fußball-Welt in den letzten Jahren mitgerissen und in kollektives Sympathiebeben gestürzt hatte, hat vor allem dieser eine Mensch geprägt. Die ganze BVB-Kampagne von der "echten Liebe" ist in Wahrheit eine Interpretation von Klopps Ausstrahlung des Fußball-Romantikers. Allein der Ort dieses letzten Abendmahls, die raue, kernige Arbeitswelt des stillgelegten Berliner Kraftwerks: Das alles scheint Borussia Dortmund darzustellen, so wie der Klub sich heute sehen möchte. Dabei ist es vor allem der Ausdruck dessen, was Klopp bei Dortmunds Image-Designern angestiftet hat. Diese Inszenierung von Gefühl und Härte, von Wucht und Leidenschaft und Erdverbundenheit wäre ohne Klopp in Dortmund nie entstanden. Und Klopp hätte anderswo wohl nicht so gepasst. Schon deshalb wird der Verlust des Ein-Mann-Kommunikationswunders den Klub in eine Identitätskrise stürzen. Wer wird künftig das lachend-rabauzige, bisweilen arg krachende Image des BVB in die Welt transportieren? Klopps Nachfolger Thomas Tuchel ist ein anderer Typ. Bei der Trauergemeinde auf der Bühne des Kraftwerks wurde erst mal jedenfalls keine Rampensau von Klopps Kaliber gesichtet.

Auf dem Fußballplatz ist es Klopps Mannschaft schon länger nicht mehr recht gelungen, so zu spielen, wie es der wuchtigen Industrie-Architektur des alten Kraftwerks in Berlin entsprochen hätte. Seinen Vorgesetzten hinterlässt Klopp beim BVB ein gewaltiges PR-Problem, weil der Verein jetzt wie eine Partei ohne Kanzler-Kandidat dasteht. Seinem Nachfolger hinterlässt Klopp vielleicht nur Luxus-Probleme. Aber solche, die auch das Finale - wie ein Spiegelbild der ganzen Saison - erneut zu Tage förderte. Der Mannschaft fehlte im siebten Jahr unter Klopp fast jede Durchschlagskraft und Wucht, die früher die Markenzeichen von Klopps BVB waren. Die vielen fußballerischen Schöngeister im BVB 2015, allen voran Nationalspieler Marco Reus, wirken in den Zonen, wo Fußballspiele entschieden werden, oft zu zart und zu wenig entschlossen.

Ja, Dortmund hatte Chancen gegen Wolfsburg, aber nicht so zwingende, wie man das von der furienhaften Mannschaft kannte, die mit Klopp vor ziemlich exakt drei Jahren in Berlin den FC Bayern im Pokalfinale mit 5:2 in Grund und Boden gespielt und gerannt hat. Ja, Dortmund hätte gewinnen können, aber es scheint vergessen zu haben, wie man den Sieg erzwingt.

Im Tor machte Mitch Langerak, den Klopp seinem Nationaltorwart Roman Weidenfeller vorgezogen hatte, bei allen drei Treffern des VfL Wolfsburg nicht gerade die ideale Figur. Bei der ganzen BVB-Defensive darf man gespannt sein, ob nicht unter dem neuen Trainer Thomas Tuchel manche Erbhöfe aufgekündigt werden. Das komplette BVB-Mittelfeld dürfte auf dem Prüfstand stehen, weil keiner der feinen Techniker noch den kämpferischen Hurra-Fußball personifiziert, den Klopp einmal geprägt hat. Bei Ilkay Gündogan, der für viel Geld im Sommer gehen will und soll, war das im Finale am unglücklichsten zu beobachten.

Die Demission von Klopp schien sich den BVB-Protagonisten, wohl auch ihm selbst, irgendwie aufzudrängen. Sportdirektor Michael Zorc hatte kürzlich eingeräumt, dass man die Mannschaft recht heftig hätte umbauen müssen, wenn Klopp geblieben wäre. Es wird sich in Dortmund herausstellen müssen, ob man um einen größeren Umbau wirklich herum kommt. Es gibt stille Reserven, wie die von Klopp überwiegend ignorierten Neuen des vergangenen Sommers, WM-Teilnehmer Matthias Ginter, Italiens National-Mittelstürmer Ciro Immobile und der letztjährige Bundesliga-Torjäger Adrian Ramos. Auch in der U17 des BVB wimmelt es von Großtalenten wie Felix Paßlack. Aber für einen Klub, der 2016 unbedingt wieder Champions-League spielen will, wird das nicht genug sein an Veränderungs-Potenzial.

Am Mittwoch soll Klopps Nachfolger Thomas Tuchel offiziell vorgestellt werden. Er muss sich nicht nur Gedanken machen, ob ihm Roman Weidenfeller und Mitch Langerak als Nummer 1 ausreichen. Viele eingefräste Strukturen im täglichen Betrieb beim BVB werden sich vermutlich ändern - jedenfalls erwarten das alle vom Trainerwechsel. In den frühen Morgenstunden, als die Gäste der Sponsoren und manche gelangweilte Gattin das Kraftwerk geräumt hatten, soll ein Morgenschimmer von Vorfreude aufgekommen sein. Aber vielleicht war es nur das Bier, das in Dortmund schon immer die Sorgen besonders gut vertrieben hat.

© SZ vom 01.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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