Borussia Dortmund:Grausamkeiten inklusive

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28 sind zu viele: In Dortmund droht einigen Profis die Bank. Der spektakulärste Fall könnte Südtribünen-Liebling Kevin Großkreutz sein. Von seinem Verhalten zeigt sich der neue Trainer Thomas Tuchel "sehr enttäuscht".

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Um 3:31 Uhr Freitagfrüh trudelte der Teambus von Borussia Dortmund am Trainingsgelände ein. Wer von den BVB-Spielern da bereits eingenickt war, ist nicht überliefert. Müdigkeit allerdings war den Dortmundern schon Stunden zuvor im Hinspiel der Europa-League-Qualifikation anzumerken, beim mühsamen 1:0 in Klagenfurt gegen den Wolfsberger AC. All die Fragen, wen der neue BVB-Trainer Thomas Tuchel im überdimensionierten Kader für die künftige "erste Elf" nominiert, hat der Trip an den Wörthersee nicht ausgeräumt. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein.

Einer allerdings, der vorher schon über den Dingen schwebte, hat am Freitag seinen Vertrag erst einmal mit Signalwirkung bis 2020 verlängert: Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang, 26, hat damit sein Gehalt deutlich verbessert, aber auch millionenschweren Anfragen des FC Arsenal und von Paris Saint-Germain eine eindeutige Antwort gegeben.

Trainer Tuchel ist von Großkreutz "sehr enttäuscht"

Zu Hause, am Computer, hat derweil einer der Daheimgebliebenen seine Position nicht gerade verbessert. Kevin Großkreutz, Weltmeister von 2014 ohne Einsatzminute, zuletzt monatelang verletzt und eben erst wieder ins Teamtraining eingestiegen, hatte über diverse Medienkanäle Klage geführt: Seit Wochen habe niemand im Verein mit ihm gesprochen. Während sich viele Beobachter nun vorrangig mit dem Stammplatz-Duell zwischen Nationaltorwart Roman Weidenfeller und dem in Klagenfurt eingesetzten Schweizer Zugang Roman Bürki befassen, schwimmen dem Erz-Dortmunder Großkreutz - trotz eintätowiertem Stadt-Panorama auf dem Wadenmuskel - schon länger die Felle davon. Nach einigen Eskapaden in der vorigen Saison hat sich der 27-Jährige irgendwie ins Abseits manövriert. Sein Vertrag läuft im Sommer 2016 aus. Und der Held der Südtribüne, früher selbst Stammbesucher von Dortmunds-Fan-Epizentrum, vermisst Avancen für eine Vertrags-Verlängerung.

Schon in der Ära von Jürgen Klopp wurde Großkreutz mehrmals vorhergesagt, dass er seinen Stammplatz verlieren werde. Am Ende aber spielte er, auch dank großer Vielseitigkeit, fast immer. Bundestrainer Löw nahm ihn gar mit nach Brasilien zur WM, um ihn anschließend allerdings auch gleich wieder abzuservieren. Ähnliches droht ihm nun in Dortmund. Trainer Tuchel zeigte sich "enttäuscht" darüber, dass Großkreutz "sehr enttäuscht" sei -, und dass er das "über die Öffentlichkeit" mitteile.

In Wirklichkeit dürfte es so sein, dass Großkreutz durch die Blume zu verstehen gegeben wurde, dass für ihn dieses Mal wohl wirklich nicht mehr viel Bedarf bestehe. Sein Mentor Klopp ist nicht mehr da. Der hatte den Kampfgeist und die Spielintelligenz von Großkreutz immer so sehr zu schätzen gewusst, dass er seine - für einen Edelkader wie den des BVB - limitierte Technik in Kauf nahm. Im neuen Denken unter Tuchel geht es offenbar eher nach mathematisch messbaren Parametern. Das könnte Großkreutz zu einem Abschied zwingen.

Weidenfeller? Bürki? Im Tor könnte es eine Rotation geben

Großkreutz scheint nur der spektakulärste Fall zu sein. 28 Spieler drängen sich im Kader. 25 gelten als Ziel- und Normgröße, selbst wenn man bis zur Winterpause um die 30 Pflichtspiele durchzustehen hat, plus Länderspiele für die meisten BVB-Spieler. Zum Spiel beim Wolfsberger AC wurden deshalb Großkreutz, Oliver Kirch und Moritz Leitner zu Hause gelassen. Und das, obwohl in Nuri Sahin, Adrian Ramos, Neven Subotic und Erik Durm vier prominente Profis wegen Verletzung ohnehin nicht dabei sein konnten. Offiziell begründete Tuchel die Entscheidung über den Verzicht auf das Trio mit Trainingsrückstand. Allerdings werden Großkreutz, Kirch, Leitner seit Wochen als Streichkandidaten gehandelt.

Generell aber wird es bei Tuchel ohne Grausamkeiten kaum abgehen. In Klagenfurt spielten in Torwart Bürki, dem erst 19-jährigen Julian Weigl und dem zuletzt an Mainz 05 ausgeliehenen Jonas Hofmann (erzielte das Tor des Tages nach 16 Minuten) drei der Nicht-Etablierten. Dafür saßen Shinji Kagawa, Sven Bender, Gonzalo Castro und Roman Weidenfeller auf der Bank. Das Rotieren gehört zwar zu Tuchels Markenzeichen, aber eine Rotation mit Topleuten ist etwas anderes als eine Rotation mit eher gemäßigten Kalibern wie einst in Mainz.

Auch in der Torwartfrage bleiben die Dinge in der Schwebe. In Klagenfurt stand Bürki im Tor. Jedoch kündigte Tuchel sichtlich belustigt schon vor Anpfiff an, dass im Rückspiel in einer Woche in Dortmund dann Roman Weidenfeller aufgeboten werde. Der verhält sich bisher weit diplomatischer als Großkreutz. Zwar wird Bürki, 24, als Favorit gehandelt, aber Weidenfeller, 34, muss im Training einen so konstant guten Eindruck machen, dass er auch Skeptiker überzeugt. Tuchel räumte bereits ein, dass er sich eine Arbeitsteilung im Tor durchaus vorstellen könne. Ähnlich wie zwischen Claudio Bravo und Marc-André ter Stegen beim FC Barcelona. Dort spielt Bravo in der Liga, ter Stegen hält in der Champions League.

© SZ vom 01.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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