Bode Miller:Er war so frei

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Immer an der Grenze: Bode Miller - hier bei bei der Abfahrt vor drei Jahren in Lenzerheide - prägte den alpinen Skisport mit einem so wilden wie erfolgreichen Fahrstil. (Foto: Jean-Christophe Bott/dpa)
  • Skirennläufer Bode Miller verkündet sein Karriereende - der Sport beschert ihm "kein Verlangen mehr".
  • Er prägte den Skizirkus mit immer neuen Wendungen, Rückschlägen und Erfolgen.
  • Aufgewachsen in einem Waldhaus mit Plumpsklo wurde er Hochrisikofahrer, Party-Meister, Weltmeister und Olympiasieger.

Von Johannes Knuth, München

In Bode Millers altem Elternhaus stand einmal ein Regal, in dem Artefakte aus seinem Leben als Skirennfahrer lagerten. Seine Mutter hatte sie all die Jahre gesammelt: ein Personalausweis von 1990 etwa, als Miller zum ersten Mal seine Heimat verließ. Oder ein Artikel aus einem österreichischen Magazin, in dem sich Millers Ex-Freundin ablichten ließ; auf einem Foto hatten sie ihr Eiswürfel ins Dekolleté gestopft. Oder ein "Fünf-Jahres-Plan", den Miller auf Geheiß der Trainer ausfüllen sollte, als er 21 war, ein Grünling im Weltcup. Auf dem Zettel standen diverse Attribute, in der letzten Spalte sollte Miller festhalten, wo er sich in fünf Jahren sehe. "Ich will der Einzigartige bleiben", schrieb er. Das, fand Miller, erfasste sein Wirken schon damals am besten.

Zu Wochenbeginn hat sich Bode Miller endgültig vom Skirennfahren verabschiedet, mit 40 Jahren. "Ich bin fertig", sagte er dem TV-Sender NBC, der Sport beschere ihm "kein Verlangen mehr". Man darf bei der Gelegenheit festhalten, dass der Amerikaner seinen Fünf-Jahres-Plan von damals durchaus erfüllt hat, bis zuletzt. Miller prägte den ohnehin flirrenden Skizirkus mit einem Cocktail aus irren Wendungen, Rückschlägen und Erfolgen. Er wurde Olympiasieger, gewann drei weitere olympische Medaillen, vier WM-Titel, zwei Mal den Gesamtweltcup. Er startete 438 Mal im Weltcup, nur Benjamin Raich (441) hat das übertroffen. Es gibt zwei Skirennfahrer, die sich in den USA einem großen Publikum ins Gedächtnis gebrannt haben, Lindsey Vonn und Miller. Vonn, weil sie Olympiasiegerin ist, in TV-Serien spielte, mit Golfer Tiger Woods liiert war, sich bis heute aggressiv vermarktet.

Und Miller, weil er halt Bode Miller ist.

Miller wuchs in Turtle Ridge auf, so nannten die Eltern ihre verwinkelte Wohnung mit schiefen Dächern, irgendwo in einem Wald in New Hampshire. Mutter Jo und Vater Woody waren unabhängige Geister einer Generation, die sich gegen den Vietnam-Krieg stemmte und zur Natur zurückkehrte. Ihre Kinder bewegten sich viel im Freien, wurden zu Hause unterrichtet, ohne Fernseher und fließendes Wasser. Dafür mit einem Plumpsklo. Und einem freien Geist, der, man muss es in Millers Fall so sagen, später auf die Regeln des straffen Sportalltags schiss. "Es war nicht so, dass ich mich frei gefühlt habe", hat Miller mal über diese Zeit gesagt: "Ich war frei."

Der steile Pfad zu seinem Haus war ein Kletterparadies im Sommer, im Winter eine eisige Piste. Miller erwarb sich dort vermutlich sein beachtliches Gespür fürs Gelände. Er fuhr nicht so piekfein wie die Kinder an den teuren Ski-Akademien, Miller lehnte sich mit seinem Oberkörper oft zurück, wedelte mit den Händen in der Luft. Es sah aus, als steuere er ein Auto vom Rücksitz. Aber er schaffte es so, in den Kurven mehr Halt zu haben und weniger Tempo zu verlieren. Die Trainer an seiner ersten Skischule in Carrabassett lachten, als sie Miller sahen, aber als sie die Zeiten sahen, lachten sie nicht mehr lange.

Bei Großereignissen gewann er oft Medaillen - oder schied aus

Millers erste Jahre im Weltcup waren geprägt von Stürzen und Verletzungen. Seinen ersten Weltcup gewann er im Dezember 2001, vier Jahre nach seinem Debüt. Es folgten: erste Medaillen, Siege in allen Disziplinen, der erste Gesamtweltcup (2005). Und immer wieder: Ausfälle. Miller war stets befähigt für Großtaten, aber anders als viele Mitstreiter war er nicht süchtig danach, seine Dominanz ständig zu erneuern. Skisport, sagte er, "ist meine wichtigste Ausdrucksform", Medaillen waren da überflüssiger Symbolismus. Vor Olympia 2006 sagte Miller: "Vielleicht mache ich da nur Party und trinke Bier." Er gewann keine Medaille. Eine Schande, schimpften die US-Reporter. 2010 sicherte er sich sein einziges Olympiagold (in der Kombination), legte sein Privatteam still, kehrte zum Verband zurück. Klar hätte er öfters gewinnen können, sagte er, "aber dann hätte ich das geistige Niveau meines Skifahrens senken müssen". Und das, fand Miller, sei "keine pure Zurschaustellung meines Könnens".

Sein Können, das bedeutete, eine Welt hinter dem Machbaren zu erforschen, eine Rennlinie, die niemand für möglich hielt. 2008, auf der berüchtigten Streif in Kitzbühel, trieb es ihn im Steilhang so weit von der Ideallinie, dass er für einige Meter auf dem Fangzaun fuhr, mit beiden Skiern. 2005 sprang sein Ski in Bormio aus der Bindung, er fuhr die tückische Abfahrt auf einem Ski hinunter. Bei Großereignissen gewann er oft Medaillen - oder schied aus. Sie warteten im Ziel immer, bis Miller an der Reihe war. "Jeder will noch wissen", hat Österreichs Abfahrtsheld Franz Klammer mal gesagt: "Was macht Bode diesmal?"

Miller, schreibt der amerikanische Journalist Nathaniel Vinton in seinem Buch "The Fall Line" - in dem er auch den Fünf-Jahres-Plan erwähnt - sei der vielleicht beste Botschafter für das Motto seines Heimatstaats: "Live Free or Die". Er legte früher auch abseits der Piste ein ungehöriges Tempo vor, Fahrten unter Alkoholeinfluss, ein Sorgerechtsstreit. Miller und seine Ex-Freundin haben einen Sohn, Bode nannte ihn lange Nate, seine Mutter nannte ihn Sam. Mittlerweile sagt Miller dazu nichts mehr, es ist ruhiger geworden, mit seiner neuen Frau hat er zwei gemeinsame Kinder. Sein letzter Comeback-Versuch scheiterte, weil er mit den Skiern seiner neuen Firma fahren wollte - beim alten Ausrüster aber noch eine Vereinbarung unterzeichnet hatte. Als diese jetzt auslief, verspürte er keine Lust mehr. Er sei "älter und fetter" geworden, scherzte er.

Millers letzter Auftritt bleibt also der Super-G bei der WM vor zwei Jahren, es war ein Ritt, der seine Karriere noch einmal bündelte: Miller war schnell, blieb an einem Tor hängen, drehte sich in der Luft, landete auf dem Kopf. Er fuhr später selbst ins Ziel, trotz eines Sehnenrisses, unten warteten seine Frau und Sohn Nate/Sam. Er habe ihnen persönlich sagen wollen, sagte Miller später, dass alles okay sei.

© SZ vom 02.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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