Biathlon-Weltcup:Erik Lesser: "Zeit, wieder glücklich zu sein"

Lesezeit: 3 min

Im Ziel überglücklich: Erik Lesser jubelt am in der Chiemgau Arena in Ruhpolding. (Foto: Matthias Balk/dpa)
  • Damit hatte kaum jemand gerechnet: Biathlet Erik Lesser zeigt im Massenstart von Ruhpolding nach langer Formsuche ein überragendes Rennen.
  • Sein Sieg lässt ihn emotional werden.

Von Saskia Aleythe, Ruhpolding

Auf der Zielgerade spürt Erik Lesser in den Beinen: nicht mehr so viel. Weich sind sie vor den Tausenden Zuschauern, die ihm in Ruhpolding entgegen lärmen. 50 Meter noch, Lesser schaut sich um, zum ersten Mal in diesem Rennen, und die Aussicht verrät ihm: Das reicht! Lesser wirft die Arme nach oben, vor der Ziellinie, auf der Ziellinie und natürlich, da kommt er wieder: Der Bergarbeiter-Gruß, mit dem der Fußballfan traditionell Drittligist Erzgebirge Aue huldigt.

Man kennt diesen Gruß von Erik Lesser, wenn er die Arme über dem Kopf kreuzt. Er hat ihn gezeigt, als er im vergangenen März Verfolgungs-Weltmeister wurde. Seitdem nicht wieder, von einem Weltcup-Sieg war er in dieser Saison bisher so weit entfernt wie Aue von der Bundesliga; und dass ausgerechnet er in diesem Massenstart, dem letzten Auftritt der Männer in Ruhpolding, siegen würde - das kam dann doch überraschend. Seine Gefühle auf der letzten Runde? "Glücklich, erschöpft, sehr glücklich", fasst Lesser knackig zusammen. Simon Schempp gelingt mit Rang sechs zudem ein starkes Comeback.

Erstmals fehlerfrei in dieser Saison

Kurz nach Martin Fourcade, dem Weltcup-Führenden, und Jewgeni Garanitschew kam Lesser zum entscheidenden Schießen an den verschneiten Matten an. Fourcade schoss daneben, auch der Russe patzte - Lesser hingegen versenkte alle Scheiben, zum ersten Mal überhaupt in dieser Saison blieb er in einem Rennen fehlerfrei.

Als seine beiden Konkurrenten noch durch die Strafrunde kreiselten, ging Lesser schon wieder auf die Loipe. 12,6 Sekunden Vorsprung, nun war Lesser der Verfolgte. "Ich dachte, sie kriegen mich nach einem Kilometer", gab Lesser zu. "Dann habe ich gehört, ich hab zehn Sekunden Vorsprung nach dem letzten Anstieg und dann dachte ich: Zeit, wieder glücklich zu sein." Die Reihenfolge am Ende: Lesser, Fourcade, Garanitschew. Es war Lessers erster Weltcupsieg vor heimischer Kulisse, sein zweiter überhaupt.

Wintersport
:Biathlon: Der große Coup des Erik Lesser

Viel zu feiern hatte Erik Lesser in diesem Winter bisher nicht. Doch im Massenstart von Ruhpolding hängt der Deutsche plötzlich die Favoriten ab - auch für die deutschen Frauen läuft es gut.

Diese "Kack-WM-Norm" bringt ihn seit Tagen auf die Palme

Als 30. war er in dieses Rennen noch gerade so hereingerutscht, bisher ist es noch nicht so gelaufen in dieser Saison: Ein zwölfter Platz in der Verfolgung von Pokljuka war bisher Lessers bestes Ergebnis. Die halbe WM-Norm fehlte ihm noch vor diesem Sieg in Ruhpolding, also ein weiterer Platz unter den besten 15. Wobei, um es mit Lessers Worten zu sagen, es heißen müsste: Diese "Kack-WM-Norm". Es war ein Thema, das ihn in den vergangenen Tagen auf die Palme gebracht hatte. Weil immer wieder danach gefragt wurde, nicht weil es ihn tatsächlich beschäftigte.

Denn intern, so kommunizierte es das Team immer wieder, schien keiner daran zu zweifeln, dass Lesser seine Leistung bringen würde. "Die Form stimmt", hieß es und mit dem Selbstbewusstsein eines Athleten, der sich fit fühlt, ging Lesser dann auch in diesen Massenstart am Samstag. Als Letzter schlenderte er der Konkurrenz zu Beginn hinterher, ließ die anderen das Tempo machen "Dann habe ich versucht, mein Rennen zu laufen und am Schießstand versucht, nicht zu denken. Das hat heute funktioniert."

Woher die Gewissheit kam, sich nach durchwachsenen Ergebnissen wieder vorne behaupten zu können? So manche mittelmäßige Laufzeit, die sich der 27-Jährige die vergangenen Rennen geleistet hatte, erklärte Lesser mit falscher Ski-Wahl. Im Sprint von Ruhpolding etwa hatte er seine Techniker überstimmt, er wollte unbedingt den WM-Ski haben. "Und dann gehe ich an den Start und muss den Anstieg hochspringen, weil ich keinen Grip habe", berichtete Lesser. Da wurde er 41., mit der 60. Laufzeit. Dass er doch lieber den Technikern im Team vertrauen sollte, weiß er heute.

Schluss mit Selbstkritik

LiveBiathlon-Weltcup
:Erik Lesser gewinnt sensationell den Massenstart

Der bisher so formschwache Erik Lesser bleibt in Ruhpolding fehlerfrei und distanziert die Favoriten Martin Fourcade und den Russen Garanitschew,

Das Rennen im Liveticker

Erik Lesser ist ein selbstkritischer Mensch; niemand, der Genugtuung auskostet nach all den Wochen, in denen seine Leistung immer wieder in Frage gestellt wurde. Vielleicht verspürt er sie nicht einmal. "Manchmal nervt es mich selber, dass ich so kritisch bin", sagt er, der eine Null am Schießstand auch schon mal als "Scheiß-Null" empfindet. "Aber dann kommt ein paar Wochen später die Bestätigung, dass es gut ist."

Wie vor einem Jahr beim WM-Verfolgungsrennen. "Das kann gar nichts richtig toppen", sagt Lesser, weshalb sein Highlight in dieser Saison auch gar nicht die WM in Oslo ist. Worauf er sich stattdessen am meisten freut: die Weltcup-Rennen in Canmore/Kanada. "Da war ich 2009 das letzte Mal, das war ein unheimlich geiles Erlebnis." Damals wurde er mit Benedikt Doll, Simon Schempp und Florian Graf Junioren-Weltmeister. "Das sind emotionale Erinnerungen, die ich an Canmore habe." Davon lebt Lesser wohl. In Ruhpolding ist nun eine emotionale Erinnerung dazugekommen.

© SZ vom 17.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: