Biathlon:Reif für die Scheibe

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Biathlet Michael Greis hat sich gegen Bundestrainer Ullrich mit seinem selbständigen Training durchgesetzt - andere dürften folgen.

Volker Kreisl

Keine Reporter, keine Autogrammjäger, kein Vip-Zelt mit Plaudersofa - es muss herrlich gewesen sein. In Muonio am Polarkreis, da herrscht noch der gute alte Winter, in dem es nichts von dem gibt, was Biathlon groß gemacht hat. In Nordfinnland findet man ein paar Häuser und eine Loipenschleife, ansonsten herrschen Stille, Einsamkeit und Dunkelheit.

Olympiasieger Michael Greis besteht auf Extratouren. (Foto: Foto: Getty)

Wenn der deutsche Männer-Bundestrainer im Biathlon, Frank Ullrich, Ende November zum Saisonstart befragt wird, dann hat er das Trainingslager in Muonio gerade hinter sich, und er klingt fast immer euphorisch. Ullrich schwärmt vom Schnee, der nach einer Woche kam, vom letzten Schliff der Laufform und von den langen Abenden in gemeinsamer Runde. Muonio ist wie früher. Man ist unter sich, konzentriert sich auf Körper und Zielscheibe, und das einzige, was einen ablenken könnte, wäre das Programm des finnischen Fernsehens.

Den Abschied aus dieser Idylle kann man auch symbolisch sehen. Nächste Woche beginnt die Biathlon-Weltcup-Tour 2008/2009 in Östersund/Schweden, und damit wird auch in den Medien jenes Thema laufen, das die vergangenen Wochen geprägt hatte: die gegenseitige Abneigung der beiden wichtigsten Männer im Biathlon - Ullrich und Olympiasieger Michael Greis. Schon immer waren die unterschiedlicher Meinung, nun wurde die Frontlinie deutlich. Greis lehnt Ullrichs Vorgaben für sich ab. Er versteht sich als Individuum, das für seinen Erfolg verantwortlich ist. Ullrich entgegnet, man sei ja nahezu deckungsgleich in den Vorstellungen, weiche nur um ein paar Prozent voneinander ab. Greis beansprucht aber gerade die paar strittigen Prozent für sich, er habe unter Ullrich lange darum kämpfen müssen. Der Oberhofer Bundestrainer sagt immer, Biathlon sei ein Vielkomponentensport, in dem jedes Detail wichtig sei, und Greis, der Perfektionist, will sich in diese Details nicht hineinreden lassen. "Da gibt es so viel", sagt er, "psychologische Betreuung, Ausrüstung, Erholungsphasen, das kann kein anderer bestimmen als man selbst."

Das Greis-Modell

Michael Greis hat seinen Kampf gewonnen, seine Stellung ist unangefochten. Nach seinen Extratouren im Sommer und Herbst war er in Muonio dabei wie alle anderen, er hat aber auch in Finnland erst auf die Signale des eigenen Körpers gehört und dann auf die Vorschläge der Trainingsleitung. Schon jetzt befinden sich in seiner Trainingsgruppe in Ruhpolding in Andreas Birnbacher und Daniel Graf zwei jüngere Läufer, die auf Selbständigkeit pochen, was man daran sieht, dass Birnbacher sich dagegen verwahrt, von Greis beeinflusst zu sein: "Ich muss erstmal festhalten, jeder hat hier seine eigene Meinung."

Dem Greis-Modell dürfte die Zukunft gehören. Ullrich lehnt den DDR-Kader-Gehorsam, unter dem er selber gelitten hatte, zwar ab, dennoch wurde er von diesem System geprägt. Er ist der Chef, er hat die Trainerausbildung, die Erfahrung von einigen Weltmeistertiteln als Läufer und vielen mehr als Trainer. Er bestimmt den Zyklus der Belastungen und oft, wer als Kranker nach Hause darf, und wer wo zum Einsatz kommt. Nicht bei den Erfolgsläufern wie einst Ricco Groß oder jetzt Michael Greis, wohl aber beim Nachwuchs. Selbständigkeit müssen sich Biathleten durch Erfolg erarbeiten, und viele Jüngere fragen sich, warum. So ein Kampf verbraucht Energie.

Viele talentierte Biathleten wie Ole Einar Björndalen sind hochklassig geworden, seitdem sie das eigene Schicksal in die Hand nahmen. Biathlon ist ja mehr als laufen, besonders für den zweiten Teil braucht der Athlet Reife. Fritz Fischer, Vorgänger des Ruhpoldinger Stützpunkttrainers Remo Krug, sagte einmal, ein Schütze treffe nur dann konstant, wenn er mehr tut, als Anweisungen zu gehorchen: "Du musst wirklich wollen, dass die Kugel da rein fliegt."

Greis sagt, er stehe zu seiner Haltung, unabhängig vom Erfolg. Experimentieren befriedigt ihn, genauso wie das Gefühl von Verantwortung. Ähnlich argumentiert Kati Wilhelm, die auch eigene Wege geht. Frauen-Bundestrainer Uwe Müssiggang sagt: "Sie braucht den Druck, ihre eigenen Methoden bestätigen zu müssen."

Frank Ullrich, der offiziell keinen Streit mehr sieht, will nach Olympia 2010 als Trainer aufhören. Vielleicht ist er auch deshalb bereit, mehr zu delegieren. Kein Problem wäre das, solange deutsche Biathleten regelmäßig unter die besten Zehn kommen und kein Desaster erleben, wie beim WM-Einzelrennen von Östersund. Sollten die Erfolge aber ausbleiben, dann dürften die Philosophien wieder aufeinanderprallen. Ullrich wird sich nicht den Karriereabschluss, die Olympischen Spiele in Vancouver, vermasseln lassen. Greis und alle, die ähnlich denken, werden ihren Weg weitergehen. Sie können ja gar nicht anders.

Aber noch stehen sie unter dem Eindruck der Tage von Muonio. Abends wurde diskutiert, man habe sich angenähert, sagt Ullrich. Und entspannt Poker gespielt. Obwohl das unstrittig ein Wettkampf ist, bei dem man sich nur auf sich selbst verlassen kann.

© SZ vom 28.11.2008/agfa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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