Biathlon:Genug Medaillen für die ganze Slowakei

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Eine ihrer Medaillen widmete Anastasiya Kuzmina ihrem Bruder Anton Schipulin. Er war unter den 47 ausgeschlossenen Russen, die hofften, mit einer Klage Erfolg zu haben. (Foto: Javier Soriano/AFP)

Die Biathletin Anastasiya Kuzmina hat als erste Frau in der Geschichte von Olympia nach allen vier Einzelwettbewerben auf dem Podium gestanden.

Von Saskia Aleythe

Es ist schon praktisch, wenn man so viele Medaillen gewinnt, dass man jede einer anderen Person widmen kann. Anastasiya Kuzmina ist bei diesen Olympischen Spielen ständige Besucherin des Siegerpodests: Silber in der Verfolgung, Silber im Einzel - und als sie am Samstagabend schließlich Olympiasiegerin im Massenstart wurde, zählte sie noch mal die Reihe der Widmungen auf: "Die erste Medaille war für mich, die zweite für meinen Bruder, die dritte ist für die Slowakei und alle, die mich immer unterstützen." Sie erfüllte mit ihrem Abschneiden auch einen Auftrag, den ihr ihr Bruder Anton Schipulin mitgegeben hatte für die Zeit in Pyeongchang. Zwei Medaillen bitteschön, eine für sie, eine für ihn.

Kuzmina, geboren in Sibirien, spricht im normalen Weltcup-Geschehen auf den Pressekonferenzen verständliches Englisch, für die Spiele hat sie sich einen Dolmetscher engagiert, der nach drei Minuten Rede von Kuzmina auch schon mal nur 20 Sekunden lang antwortet. Womöglich will sie sicher gehen, nicht falsch verstanden zu werden von der Weltpresse bei manch heiklem Thema, und eines ist ja nun einmal: ihr Bruder.

Kuzmina hieß einst Schipulina, dann heiratete sie einen Slowaken und siedelte in die Heimat ihres Partners über. Das Olympische Dorf in Pyeongchang hatte sie schon erkundet, als Anton Schipulin immer noch darauf setzte, bei diesen Spielen an den Start gehen zu können. Er war unter den 47 Russen, die bis zum Tag der Eröffnungsfeier gehofft hatten, mit einer Klage gegen das Internationale Olympische Komitee (IOC) Erfolg zu haben. Das IOC hatte ihn im Zuge der Ermittlungen um russisches Staatsdoping bei den Winterspielen 2014 nicht auf die Liste derer aufgenommen, die unter neutraler Flagge bei Olympia antreten dürfen. Kuzmina lief bei der Eröffnungsfeier ins Stadion ein, Schipulin blieb in Russland. "Ich bin traurig, dass er nicht hier sein kann", ließ sie sich nun übersetzen. Sie und ihr Bruder schrieben sich SMS vor und nach den Wettbewerben. Und nach ihrem Olympiasieg meldete sich Schipulin auf Instagram zu Wort, er schrieb: "Fantastisch. Schwester, du bist die Beste." Sie hatte in diesem letzten Einzelrennen von Olympia wieder alle erstaunt.

Ein Betreuer hatte ihr schon vor der letzten Kurve beim Massenstart die Fahne in die Hand gedrückt, sie fummelte ein bisschen, um sie zu entrollen, sie hätte auch stehen bleiben und sich zur Hilfe die Handschuhe ausziehen können, so groß war ihr Vorsprung. Das ist ja das Beeindruckende ihrer Olympia-Vorstellung: In allen vier Rennen hatte sie mit der schnellsten Laufzeit überzeugt. Das wäre selbst im Weltcupgeschehen eine seltene Kontinuität, in Pyeongchang mit Temperaturen unter minus zehn Grad und dem straffen olympischen Zeitplan ist es umso erstaunlicher. Wie sie das macht, wurde ihre Konkurrentin Franziska Preuß nach dem Rennen gefragt. "Ja, wenn wir das wüssten", lachte Preuß, "es ist wirklich abartig quasi, die Laufleistung von ihr, und wir fragen uns selber, wo man noch so viele Sekunden rausholen kann. Hut ab vor der Leistung." Denise Herrmann, die vor vier Jahren noch als Langläuferin in Sotschi dabei war und nun als Biathletin startet, musste sie schon kurz nach dem Start davonziehen lassen. "Sie ist brutal los. Ich habe gleich versucht, mich in ihren Windschatten reinzuhängen, aber sie hat einen extremen Schritt gerade drauf", sagte Herrmann, die mit zwei Fehlern Elfte wurde. Laura Dahlmeier kam mit zwei Fehlern auf Rang 16, vermisste eigene Frische, aber auch besseres Wachs. "Das war heute nix", sagte sie.

Erst 2016 stieg sie nach Babypause wieder in den Weltcup ein

Schon 2010 in Vancouver hatte Kuzmina die Biathlon-Szene erschrocken: Die damals alles überragende Magdalena Neuner wurde plötzlich auf der Loipe geschlagen. 2009 hatte Kuzmina schon WM-Silber im Massenstart gewonnen, ihr Sieg in Vancouver war dann tatsächlich ihr erster, in der Verfolgung gewann sie auch noch Olympia-Silber. "Ich wundere mich, dass es geklappt hat, normalerweise ist Magdalena viel stärker als ich", sagte Kuzmina damals. 25 Jahre war sie da alt, kam aber nicht als Ausnahmebiathletin daher. 2007 hatte sie ihr erstes Kind bekommen und den Fokus auch auf die Familie gelegt. Bis zu den nächsten Spielen in Sotschi schloss sie den Gesamtweltcup immer in den Top Ten ab. Im olympischen Sprint lief sie dann erneut zu Gold, mit 19,9 Sekunden Vorsprung vor der Russin Olga Wiluchina - die wurde mittlerweile lebenslang vom IOC gesperrt.

Anastasiya Kuzmina ist zweifache Mutter, im Sommer 2015 kam das nächste Kind zur Welt, erst 2016 stieg sie wieder in den Weltcup ein und führt die Gesamtwertung derzeit an. "Sie zieht ihre Form, die sie seit Januar hat, voll mit in Olympia rein. Da müssen wir sehen, dass wir die nächsten Tage wieder frische Beine kriegen, um ranzukommen", sagte Denise Herrmann. Kuzmina ist nun die erste Frau, die bei Olympia in allen vier Einzelwettbewerben eine Medaille gewonnen hat - was bei den Männern nur Ole Einar Björndalen geglückt ist. Mit 33 Jahren könnten das ihre letzten Olympischen Spiele gewesen sein. Eine Tendenz über ihr Karriereende konnte Kuzmina noch nicht abgeben, sie sagte aber laut Dolmetscher: "Ich bin nicht sicher, ob ich die nächsten vier Jahre im Weltcup überlebe."

© SZ vom 19.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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