Biathlon:Endlich frei im Kopf

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"Ich war nicht mehr bei mir und war beim Schießen überehrgeizig und zu perfektionistisch", sagt Vanessa Hinz. Diesen Winter soll das anders werden. (Foto: imago/Jan Huebner)

Beim Gewinn der deutschen Meisterschaft hat Vanessa Hinz gezeigt, dass sie aus dem verkorksten Winter gelernt hat.

Von Matthias Schmid

16 Tage verbrachte Vanessa Hinz im Frühjahr auf Sri Lanka und wanderte mit dem Rucksack durchs Land. "Ich schaue mir gern die Welt an und reise in Länder, in denen ich noch nicht war", erzählt die Biathletin vom SC Schliersee. Für Hinz, 24, war es nach dem missratenen Ende der vergangenen Weltcupsaison auch eine kleine Reise zu sich selbst. Es lief alles nicht mehr so, wie sie sich das vorgenommen hatte, vor allem die Scheiben am Schießstand wollten bei der Staffel-Weltmeisterin von 2015 nicht mehr fallen. "Ich war nicht mehr bei mir und war beim Schießen überehrgeizig und zu perfektionistisch. Ich hatte schon Angst vor den Fehlern", sagt sie heute.

Ob es nun an der befreienden Reise lag, am störungsfreien Sommertraining oder an etwas anderem, kann sie gar nicht sagen. Aber inzwischen strahlt sie eine neue Lockerheit aus, die sie am vergangenen Wochenende zum deutschen Meistertitel in Altenberg getragen hat: Im Verfolgungsrennen siegte Hinz vor Franziska Preuß (SC Haag). "Mir bedeutet der Sieg enorm viel, weil ich so einen Titel noch nie zuvor gewonnen habe", sagt Hinz. Das Sprintrennen am Vortag beendete sie als Dritte.

Dass Biathleten ihre nationalen Meisterschaften im Sommer auf Skirollern und nicht mehr im Winter auf Skatingskiern austragen, hat schon eine gewisse Tradition beim Deutschen Skiverband (DSV). Der dichte Terminkalender mit den fast wöchentlichen Weltcuprennen und den jährlichen Weltmeisterschaften lässt im Biathlon nationale Titelkämpfe auf Schnee nicht mehr zu. "Nach einer langen Saison könnte ich mich auch nicht mehr so für die Deutschen motivieren", gibt Hinz zu. Sie hat sich wie fast alle anderen Athleten längst damit anfreunden können, dass ihre Besten im Sommer vor dem Winter gekürt werden. Die Ergebnisse liefern natürlich keine allgemeingültigen Schlüsse für die bevorstehenden Winterrennen. Das Laufen auf Skirollern ist beispielsweise einfacher, technisch weniger anspruchsvoll, die Skiroller verzeihen mehr Fehler als Skier. "Du kannst da auch mal schlampern und du verlierst nicht gleich an Geschwindigkeit", findet Hinz. Die Sommerwettkämpfe sind dennoch eine Bestätigung dafür, "dass ich über den Sommer gut trainiert habe und wo ich im Vergleich zu meinen Teamkollegen stehe", fügt sie hinzu.

Die Zollwachtmeisterin ist also gut drauf und vor allem - darauf legt sie großen Wert - fühlt sie sich am Schießstand wieder wohl. Diese Erkenntnis gibt Hinz Sicherheit, nachdem sie sich im Frühjahr völlig verunsichert in den Urlaub verabschiedet hat. "Beim Schießen gehen dir hunderttausend Gedanken durch den Kopf", sagt Hinz. Sie will jetzt nur noch die guten zulassen. Man kann sich das natürlich nicht einfach vornehmen wie eine schöne Reise, das weiß sie. Deshalb hilft ihr ein Mentaltrainer dabei, die inneren Abläufe besser zu sortieren. "Ich fühle mich wieder freier im Kopf", hat sie selbst festgestellt.

Am Mittwoch reist Vanessa Hinz nun weiter nach Oberhof, wo am Wochenende der zweite Teil der deutschen Meisterschaften mit den Staffel- und dem Massenstartrennen ansteht. Dazwischen muss sie noch bei den Langläufern starten, ohne Gewehr. Es ist eine Rückkehr zu ihren Ursprüngen. Vor ein paar Jahren hatte Hinz sich als begabte Langläuferin von der Biathlonsparte des DSV zu Schießübungen überreden lassen - und wechselte nach vielversprechenden Versuchen schließlich das Lager. Mit lockerem Training in Ruhpolding, wo sie inzwischen an den Wochentagen in der Nähe des Leistungszentrums lebt, bereitet sich Hinz auf die nächsten Wettkämpfe vor. Nach der ganzen Plackerei auf dem Mountainbike, dem Rennrad und den Skirollern darf sie dann Anfang Oktober auf dem Dachsteingletscher erstmals auf die Langlaufskier steigen. Dann beginnt der letzte, der entscheidende Teil der langen Sommervorbereitung mit der Feinabstimmung im Schnee.

Für die Wintersaison will Hinz keine großen Ziele formulieren: "Ich will mich nicht noch öffentlich unter Druck setzen lassen." Aber eines ist ihr schon wichtig: Sie will nicht länger nur ein einfaches Mitglied erfolgreicher deutscher Frauenstaffeln bleiben. "Ich will auch mal als gute Einzel-Läuferin wahrgenommen werden", sagt Hinz nach ihrem deutschen Meistertitel nun erstaunlich forsch. Der vierte Platz in einem Verfolgungsrennen steht bisher als beste Weltcup-Platzierung in ihrer beruflichen Vita. Das Podium darf es künftig schon sein. Mit welchem Urlaubsziel sie sich dafür belohnen würde, hat sie noch nicht entschieden. Dafür bleibt ihr ja auch noch einen Winter lang Zeit.

© SZ vom 06.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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