Bianchi-Unfall in der Formel 1:"Man verliert das Auto einfach"

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Runter vom Gas: Beim Formel-1-Rennen in Suzuka spielten die äußeren Bedingungen eine wichtige Rolle. (Foto: Clive Mason/Getty)

Schlechte Sicht, nasse Fahrbahn, zu hohes Tempo: In der Formel 1 beginnt die Ursachenforschung zu Jules Bianchis schwerem Unfall. Denn nur das Wissen darum, was geschehen ist, lässt die anderen Piloten weitermachen.

Von Elmar Brümmer, Suzuka

Es ist eine gespenstische Szene, und es sind Geräusche, die Angst machen, wenn Helme und Visiere der Formel-1-Piloten mit 500 km/h schnellen Projektilen beschossen werden, oder wenn der Überrollbügel eines Rennwagens tonnenschwerem Druck ausgesetzt wird. Dabei sind es diese Crash-Tests, die den Rennfahrern und dem ganzen Sport Sicherheit geben. Im Fall von Jules Bianchi, der beim Großen Preis von Japan mit seinem Marussia-Rennwagen in einen Bergungskran raste, haben die seit Jahren immer wieder verschärften Vorschriften vermutlich überhaupt dafür gesorgt, dass er lebend in das Mie General Hospital gebracht werden konnte. Dort befindet sich der 25-Jährige nach mindestens einer Kopfoperation weiterhin in einem kritischen Zustand.

Der Abbruch des Rennens nach dem schwersten Formel-1-Unfall seit 2009, als der Brasilianer Felipe Massa von einer Metallfeder getroffen wurde, zeigt jenen so oft und gern verdrängten schmalen Grat zwischen Leben und Tod in diesem Sport. Doch auch unter schlechten Wetter- und Sichtbedingungen wie am Sonntag auf dem Suzuka International Circuit gibt es Fahrer, die in einem solchen Regenrennen einen Reiz sehen, die schon unter schlimmeren äußeren Umständen gefahren sind. "Was ist schon sicher, ist es jemals sicher?", fragt Kimi Räkkönen. Das klingt ketzerisch, ist aber wohl nur der fatalistische Umgang des Finnen mit seinem Beruf.

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Eine falsche Lenkbewegung, eine große Pfütze, eine Unaufmerksamkeit, ein paar km/h zu viel, und schon kann es passieren. Was genau dazu führte, dass der Marussia-Rennwagen schleuderte, beschäftigt die Fahrer wie die Experten. Es ändert nichts an dem kritischen Gesundheitszustand Bianchis, aber in einer technischen Disziplin wie der Formel 1 ist die Erklärbarkeit der Dinge auch mental äußerst wichtig. Nur das Wissen, was geschehen ist, lässt die anderen Piloten in ihrem Tun weitermachen. Sie ziehen Schlüsse daraus, sie nehmen es zur Kenntnis, aber sie haben eine Antwort - selbst wenn diese noch so trügerisch sein mag. Das Wrack mit der Nummer 17 ist inzwischen von der Polizei beschlagnahmt worden.

Felipe Massa war einer der ersten Besucher im Krankenhaus, und der Brasilianer war auch der erste, der die Rennleitung offen kritisierte: "Es war gefährlich. Für mich haben sie zu lange gewartet mit ihrer Entscheidung. Meiner Meinung nach haben wir das Rennen zu früh gestartet und zu spät beendet." Das ist die große Frage: Hätte wegen der einbrechenden Dämmerung und dem stärker werdenden Regen das Safety Car schon mit Beginn der Bergungsarbeiten an Adrian Sutils Sauber-Rennwagen in der Runde zuvor rausgeschickt werden müssen? Allein die Ankündigung "SC" hätte vermutlich sofort mehr Tempo rausgenommen als doppelte geschwenkte gelbe Flaggen.

Ob Bianchi mehr Schwung für die folgende Bergaufpassage mitnehmen wollte, wird die Auswertung der Telemetriedaten zeigen, die auch jeden Gas- und Bremspedaldruck aufzeichnen. Im Trockenen wird der lange Linksbogen mit 190 gefahren, im Nassen sind es nur 10 km/h weniger - wer aber sein Tempo sinnvoll anpasst, müsste 30 km/h langsamer sein. Laut der Fachzeitschrift auto, motor und sport hätten Beobachter jedoch nicht erkennen können, dass Bianchi die Geschwindigkeit spürbar reduziert hatte, als das Heck ausbrach.

Adrian Sutil wird als einer der wenigen Zeugen direkt an der Unfallstelle eine Rolle bei der Aufarbeitung spielen. Der Gräfelfinger sieht die schlechte Sicht als einen entscheidenden Faktor bei dem Unglück, die nassen Fahrbahnstücke seien nicht mehr richtig zu erkennen gewesen: "Besonders wir mit den langsameren Autos mit weniger Anpressdruck spüren das auf so einer Strecke als erste. Wenn in den langen Kurven ein bisschen Aquaplaning kommt, hat man keine Chance mehr. Man verliert das Auto einfach." Aber auch er habe noch während der Safety-Car-Phase Autos gesehen, die am Limit durchgefahren sind.

Das Verhalten der Fahrer an Unfallstellen wird sicher beim Briefing am Freitag in Sotschi zum Thema werden, während die Techniker des FIA-Institutes wohl erneut ihre Pläne für Cockpitkanzeln oder Überrollkäfige hervorholen werden.

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Von Elmar Brümmer, Suzuka

Denn der Kopf des Fahrers ist eben die verwundbarste Stelle. Fatal war, dass Bianchis Auto quer durch das Kiesbett schlitterte, dadurch kaum an Tempo verlor und sich mit voller Wucht unter den Traktor bohrte, wobei offenbar der Überrollbügel abgerissen wurde - eine brutale Verzögerung runter auf null, durch die Erschütterung fiel Sutils Rennwagen sogar wieder vom Kranhaken. Das sind außergewöhnliche Zufälle, Verkettungen und Umstände, für die zunächst niemand etwas kann. Marussia trifft das Schicksal zum zweiten Mal - vor zwei Jahren war die spanische Rennfahrerin Maria de Villota bei Testfahrten gegen eine Lkw-Laderampe geprallt.

Der Österreicher Alexander Wurz wurde erst an diesem Wochenende zum neuen Sprecher der Fahrergewerkschaft GPDA gewählt, der ehemalige Formel-1-Pilot und Fahrercoach des Williams-Teams ist vorsichtig mit Vorwürfen: "Die FIA hat im Laufe der Jahre immer die Sicherheit als wichtigste Aufgabe gesehen. Dass es immer noch besser werden kann, wird uns in solchen Situationen wie jetzt klar. Man muss abwarten, bis man alle Fakten zusammen hat. Erstens, um sich ein Urteil zu verschaffen, und zweitens, um aus so einem Unfall zu lernen."

Bewegten sich Autos mit so hoher Geschwindigkeit, dann berge das immer ein Restrisiko: "Wenn man da die Kontrolle verliert, wird man zu einem ballistischen Geschoss - und das ist eine unkontrollierbare Energie."

© SZ vom 07.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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