Bayer Leverkusen:Zurück aus dem Exil

Lesezeit: 3 min

Kopfbälle vor dem Comeback: Trainer Roger Schmidt, zuletzt in der Liga gesperrt, kehrt in Villarreal auf die Leverkusener Bank zurück. (Foto: Udo Gottschalk/imago)

Im Europacup-Spiel beim FC Villarreal darf der in der Bundesliga zuletzt gesperrte Roger Schmidt auf der Bank sitzen. Seine Vorgesetzten in Leverkusen sind entschlossen, am umstrittenen Trainer festzuhalten.

Von Philipp Seldorf, Leverkusen

Die Lieblingsgeschichte von Rudi Völler spielt vor 38 Jahren, und sie ist dadurch nicht weniger schön, dass sie womöglich nur in Spurenelementen der Wahrheit und nichts als der Wahrheit entspricht. Die Geschichte handelt von zwei Reportern, die während der Weltmeisterschaft 1978 im argentinischen Cordoba an einer Bar sitzen, der eine Reporter hat zwei Promille im Blut, der andere Reporter anderthalb Promille. Da sagt der eine Reporter, dass der DFB nach der sogenannten "Schande von Cordoba" - dem 2:3 gegen Österreich - Jupp Derwall nicht mehr zum Bundestrainer ernennen könne. Am nächsten Tag schreibt der andere Reporter unter Berufung auf "gut informierte Kreise", dass der DFB Jupp Derwall nicht mehr zum Bundestrainer ernennen werde.

Rudi Völler, 55, ist daher nicht sauer gewesen, als er dieser Tage zu lesen bekam, er habe Kontakt zu Lucien Favre aufgenommen, um ihn zum nächsten Trainer von Bayer 04 Leverkusen zu ernennen. Völler hat stattdessen an seine Lieblingsgeschichte gedacht und an die 100 000 nutzlosen Gerüchte, die ihm im Laufe der Jahre zu Ohren gekommen sind. Nein, sagt er, er habe Favre nicht getroffen oder gesprochen oder von einem Mittelsmann kontaktieren lassen. "Das sind halt die Dinge, die dann kommen", meint der Sportchef von Bayer Leverkusen und lässt es damit gut sein. Den Medien, die dem Favre-Gerücht Raum gegeben haben, wird Bayer nicht mit Gegendarstellungen und presserechtlichen Konsequenzen drohen. Aber Völler ist trotzdem gegen das Favre-Gerücht vorgegangen - und zwar, indem er mit verschärftem persönlichen Einsatz für den amtierenden Trainer eingetreten ist.

"Was seine Qualitäten angeht, gibt es nicht ein Minimum an Zweifeln", sagt Rudi Völler

Es hatte ja in den vergangenen Tagen so ausgesehen, als seien diese Tage die letzten, die Roger Schmidt als Chefcoach in Leverkusen erleben dürfe. Der Trainer wurde in verschiedenen Veröffentlichungen bereits aus dem Rheinland verabschiedet, nur der Zeitpunkt der Trennung schien noch offen zu sein: im laufenden Verfahren oder zum Saisonende? Diese Mutmaßungen schienen nach den Vorkommnissen der vorigen Wochen nicht auf Fantasie zu beruhen: Schmidt hatte sich weltweit unmöglich gemacht, als er sich der Anweisung des Schiedsrichters Zwayer widersetzte, von der Trainerbank auf die Tribüne zu wechseln. Das DFB-Sportgericht sprach deswegen eine Sperre von drei Spielen gegen ihn aus, zwei davon hat seine Elf verloren, und auch die dritte Partie, in Augsburg, wäre fast im Debakel geendet, wenn es nicht noch die wundersame Wende zum 3:3 gegeben hätte. Bayer rutschte auf Platz acht ab, die Konkurrenz läuft davon. Als zwischendurch Geschäftsführer Michael Schade feststellte, Schmidt habe dem Klub und der Mannschaft "geschadet", wurde das als finaler Urteilsspruch interpretiert.

Diese Schlussfolgerung ist nach Völlers Auskunft einerseits "nicht ernst zu nehmen" und andererseits "natürlich Schwachsinn". Man könne über alles diskutieren, über Schmidts Spielsystem ("das muss nicht jedem gefallen") und über sein polarisierendes Auftreten, doch am Ansehen des Trainers Schmidt ändere das gar nichts: "Was seine Qualitäten angeht, da gibt es hier im Klub nicht ein Minimum an Bedenken oder Zweifeln. Er hat seine Macken, aber eines ist klar: Er ist ein erstklassiger Trainer." Zwar sind schon viele Trainer mit ähnlichem rhetorischen Engagement vom Manager gestützt worden, bevor sie der Manager dann drei Tage später in den ständigen Urlaub geschickt hat - in Leverkusen besteht aber offenbar große Entschlossenheit, trotz der aktuellen Problemlage an Schmidt festzuhalten. "Glauben Sie mir", sagt Völler: "Er macht es richtig gut. Dass er ein paar Dinge verändern muss, das weiß er selbst."

An diesem Donnerstag kehrt Schmidt aus dem Exil zurück, in das ihn das Sportgericht geschickt hatte, während des Europa-League-Spiels beim FC Villarreal darf er wieder auf der Bank Platz nehmen. Eine tückische Begegnung steht Bayer 04 da bevor. Villarreal ist zwar stabiler Tabellenvierter der Primera Division, trägt aber einen Namen, der sich für weite Teile des Publikums wie Rayo Vallecano oder FC Getafe anhört. Einige Fans bräuchten noch Nachhilfe im Tabellenlesen, haben Vereinsmitarbeiter bereits festgestellt, Rudi Völler blickt einstweilen noch gelassen auf die Achtelfinalspiele. "Mit unserer dünnen Besetzung wird es nicht einfach", meint er.

Wie Schmidt vor dem Anstoß versucht hat, die Chance aufs Weiterkommen zu erhöhen, hat den Debatten über sein Verhalten als Trainer und Mensch noch mehr Zunder gegeben. Draußen in der Welt wurde es zum Unding erklärt, dass er seine dritte Spielsperre nicht brav in einer Loge des Augsburger Stadions absaß, sondern stattdessen im Privatjet nach Spanien reiste, um Villarreal an Ort und Stelle zu beobachten. Drinnen hielt man den Trip für eine "sehr gute Entscheidung", wie Schmidt am Mittwoch befand. "Wenn man den vernünftigen Menschenverstand nutzt - besser kann man's ja nicht machen", sagt auch Völler. Aber er weiß: Es geht nicht um Vernunft, es geht um Fußball.

© SZ vom 10.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: