Bayer Leverkusen:"Totalversagen"

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Mit aller Eleganz und Routine: Claudio Pizarro (rechts) erzielt eines seiner drei Tore in Leverkusen. (Foto: Eibner/Imago)

Bayer Leverkusen hat zuletzt dreimal verloren. Der Werksklub droht alle Saisonziele zu verfehlen, weil sich zu eskalierendem Verletzungspech Formschwächen der fitten Spieler gesellen.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Man dürfe nicht in Selbstmitleid verfallen, hat Rudi Völler nach dem 1:4 gegen Werder Bremen gesagt. Aber ein bisschen Selbstmitleid steht den Leuten von Bayer Leverkusen durchaus zu. Es ist ja keine Ausrede und keine Ausflucht ins Paranormale, wenn man sich beim rheinischen Konzernklub über geballtes Unglück beklagt - dass Bayer derzeit von eskalierendem Pech verfolgt wird, ist eine Tatsache, die auch Wissenschaftler nicht bestreiten würden.

Den Eindruck von Fatalismus hat Rudi Völler allerdings mit aller Kraft vermeiden wollen, als er zur Niederlage gegen den abstiegsbedrohten SV Werder Stellung nahm. "Vor drei Wochen waren wir noch Tabellendritter. Nun haben wir drei Spiele hintereinander verloren und viele Verletzte. Das wird schwierig", sagte der Sportdirektor. Sein Bemühen um eine nüchterne Betrachtungsweise beruhte offenbar auf dem Vorsatz, den Widrigkeiten zu trotzen. Die nächste Widrigkeit zog aber schon heran. Am nächsten Tag meldete der Verein, dass sich Außenverteidiger Roberto Hilbert wegen eines Schlüsselbeinbruchs einer Operation unterzogen habe und dem Team für mindestens sechs Wochen nicht zur Verfügung stehe. Am Samstag beim Auswärtsspiel in Augsburg fehlen somit wenigstens acht potenzielle Stammspieler: Außer Hilbert die Innenverteidiger Toprak und Papadopoulos, die Mittelfeldspieler Kampl, Aránguiz und Bender sowie die beiden Mittelstürmer Kießling und "Chicharito" Hernandez - letzterer wegen einer Gelb-Sperre. Vor dem Beginn der Länderspielpause Ende März ist mit Besserung nicht zu rechnen, bis dahin bestreitet Bayer noch drei Bundesligaspiele (in Augsburg und Stuttgart und gegen Hamburg) sowie zwei Europacup-Partien gegen den spanischen Tabellenvierten Villarreal. So viele Verletzte auf einmal habe er in Leverkusen noch nie erlebt, sagte Völler, der seit einem halben Menschenalter im Verein tätig ist (1994 kam er aus Marseille).

Typisch für das Verletzungspech in dieser Saison sind die Schicksale von Charles Aránguiz und Lars Bender. Aránguiz kam im August nach Deutschland, wochenlang hatte Bayer-Manager Jonas Boldt einen zähen Kampf um die Verpflichtung des Chilenen geführt. Als der 26-Jährige dann endlich auf dem Trainingsplatz unter dem Leverkusener Autobahnkreuz stand, zog er sich einen Achillessehnenriss zu. Lars Bender, dem Kapitän, erging es kaum besser. Seit Oktober quälte er sich mit einer komplizierten Sprunggelenksblessur. Als er sich nun wieder für erste Kurzeinsätze bereit machte, erlitt er einen Muskelfaserriss.

Dass die obskure Häufung von Krankenfällen bei der Betrachtung des schiefen Saisonverlaufs nicht zu vernachlässigen ist, darüber sind sich alle einig. Über die weiteren und die tieferen Ursachen der Entwicklung aber gehen die Ansichten auseinander. Dem Trainer Roger Schmidt werden in der Lokalpresse schon lange Vorhaltungen gemacht, seine Idee vom Fußball ist auch im Publikum allenfalls mäßig populär. Der aggressive und tendenziell destruktive Spielstil, den Schmidt lehrt, wird von vielen Zuschauern als monoton und unattraktiv empfunden. Zumal der Erfolg ausbleibt, der die Kritiker widerlegen könnte.

"Ich habe ein reines Gewissen", sagt der derzeit gesperrte Trainer Roger Schmidt

Zur langen Liste der verletzungsbedingten Ausfälle kommt eine Anzahl von Spielern, die in ein mehr oder weniger dauerhaftes Formtief geraten sind. Verteidiger Wendell, Angreifer Bellarabi und Spielmacher Calhanoglu sind nicht die Stützen, die sie in der vorigen Saison waren, Mittelfeldspieler Kramer vermisst in Schmidts strengem System die Freiheiten, die ihn unter Lucien Favres Aufsicht in Gladbach zum Nationalspieler machten. Kramer räumte ein, dass die Niederlage gegen Bremen auf einem "Totalversagen" beruht habe.

Er habe ein "reines Gewissen", verkündete Schmidt am Donnerstag nach dem Training, "weil ich alles mache, was ich machen kann". Beim Spiel in Augsburg ist der Trainer zum dritten und letzten Mal zum Zuschauen und Fern-Coaching verurteilt. Der Vorfall, der zu seiner Sperre durch das DFB-Sportgericht führte, hat sein öffentliches Ansehen nicht verbessert. Das Klub-Management, das seinen Vertrag bis 2019 verlängert hat, hat ihm auch in dieser heiklen Situation beigestanden. Aber allmählich spitzt sich die Lage doch zu. "Es besteht die Gefahr, alles zu verspielen", stellte Rudi Völler fest.

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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