Bayer Leverkusen:Löring im Nikolauskostüm, Lienen mit Selbstjustiz

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Einer, der den Schiedsrichtern mal das Regelwerk erklärt: Rudi Völler schimpft auf Fifa-Referee Felix Zwayer und dessen Assistenten ein. (Foto: Ina Fassbender/Reuters)

Der Fall Schmidt/Völler reiht sich ein in die Liga-Historie der Wutausbrüche.

Von philipp selldorf, Leverkusen

"Der Verein sagt jetzt erst mal nichts", teilte der Verein mit. Vorwiegend war der Verein Bayer Leverkusen am Dienstag nämlich mit sensiblem Schriftverkehr beschäftigt, Roger Schmidt und Rudi Völler reichten beim Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes fristgemäß ihre Stellungnahmen zu den Vorfällen am Sonntag ein. Ob oder wie der Cheftrainer und der Sportchef wegen ihres renitenten Verhaltens am Rande des Spiels zwischen Leverkusen und Borussia Dortmund (0:1) bestraft werden, darüber entscheidet das DFB-Sportgericht.

Mit dem Urteil im schriftlichen Verfahren wird im Laufe des Mittwochs gerechnet, danach erörtert der Verein, ob er den Richterspruch akzeptiert oder eine mündliche Verhandlung anstrebt. Eine Sperre gegen Trainer Schmidt ist die wahrscheinlichste, ein Freispruch die unwahrscheinlichste Variante. Am Sonntag beim Spiel in Mainz könnten daher die Assistenten Markus Krösche und Daniel Niedzkowski die Coaching-Arbeit übernehmen.

Leverkusen war ein Novum, aber kein Beleg für Sittenverfall

Einen Zwischenfall wie am Sonntag in Leverkusen hat es in 53 Jahren Bundesliga noch nicht gegeben. Dennoch erscheint es übertrieben, das Ereignis zum Beweismittel für den Sittenverfall zu stilisieren. Wenn Schiedsrichterchef Herbert Fandel vom "Tiefpunkt einer leider erheblich negativen Entwicklung" spricht, dann ist das ein Kulturpessimismus, der die Liga all die Jahre durch ihre Geschichte begleitet hat.

Der DFB hat schon viele Trainer und Vereinsverantwortliche wegen drastischer Wutausbrüche in die Denkpause geschickt, mancher verdienstvolle Mann ist unter den Sündern zu finden. In der Saison 1975/1976 etwa wurde der junge Otto Rehhagel als Trainer von Kickers Offenbach für zwei Monate gesperrt, weil er schon in der Halbzeitpause den leitenden Schiedsrichter, Walter Eschweiler, gefragt hatte, ob er bestochen sei. Rehhagel war am Frankfurter Gerichtshof bereits einschlägig bekannt. Lediglich ein paar Wochen zuvor hatte ihn der Verband für einen Monat verbannt, nachdem er seinem Verteidiger Amand Theis zugerufen hatte: "Tritt dem Hölzenbein doch in die Knochen."

Auch Werner Lorant musste regelmäßig beim Sportgericht vorsprechen, weil er im Umgang mit Schieds- und Linienrichtern notorisch außer Kontrolle geriet. Einmal verfolgte er den Assistenten des Spielleiters bis zur Eckfahne, um ihn dann aus einer Entfernung, die keine Armlänge betrug, ins Gesicht zu brüllen. Das war unschön und ein schlechtes Beispiel für die Jugend, hielt aber den Fernsehsender, der die Übertragungsrechte besaß, nicht davon ab, die aus der Nahaufnahme gefilmte Szene unentwegt wieder vorzuführen.

Kürzlich erinnerte der DFB auf seiner Homepage an die Geschichte von Ewald Lienen und Georg Dardenne. 1998 standen die beiden im Mittelpunkt einer turbulenten Szene während eines Punktspiels auf dem Bökelberg in Mönchengladbach. Schiedsrichter Dardenne hatte einem Rostocker Spieler die rote Karte gezeigt, Hansa-Trainer Lienen war damit nicht einverstanden. Er wollte das Urteil an Ort und Stelle ungeschehen machen, indem er den Schiedsrichter entwaffnete: "Ich habe gesehen, wie er sich aufgebaut hat und auf mich zukam", erinnert sich Dardenne, "und ich habe mir gedacht, dass er mir die rote Karte nicht abnehmen wird."

Dardenne reagierte zügig, hob die Karte ein Stückchen höher und ließ den theatralisch zürnenden Lienen ins Leere hüpfen. Der Bökelberg brach darüber in großes Gelächter aus. Lienen musste auf die Tribüne umziehen und erhielt eine Sperre fürs nächste Spiel. Versöhnliches Ende der Episode: Während Lienen heutzutage eine respektierte Trainergröße ist, hat Dardenne seine Freude an der Schiedsrichterei an den Sohn weitergegeben. Niklas Dardenne leitet inzwischen Regionalligaspiele.

Auch die Neue Osnabrücker Zeitung trug jetzt zum Schmidt-Eklat etwas Historisches bei: Sie erzählte die Geschichte von Hans-Werner Moors, der 1988 sein Amt beim VfL Osnabrück drei Monate ruhen lassen musste. Der DFB hatte den Trainer dafür bestraft, dass er - damals noch in Diensten von Rot-Weiß Oberhausen - dem Schiedsrichter zugerufen hatte: "Du bist selbst schuld, wenn Du hier nicht heil rauskommst." Ebenso lang zog der DFB 1987 den Osnabrücker Trainer Rolf Grünther aus dem Verkehr, nachdem er in der Halbzeitpause einen gegnerischen Spieler zu Boden geschlagen hatte. Grund: Der Spieler war nach dem schweren Foul an einem VfL-Profi mit Gelb davongekommen.

Auf Bayer-Manager Völler, der sich jetzt wegen seiner Unterstellungen gegenüber Schiedsrichter Felix Zwayer verantworten muss, kommt vermutlich eine Geldbuße zu. Vielleicht ergeht es ihm aber auch wie Fortuna Kölns Präsident Jean Löring, der 1996 dem Schiedsrichter im Anschluss an ein verlorenes Spiel in Rostock den Berichtsbogen aus der Hand gerissen und "Gelogen" drübergeschrieben hatte. Der DFB erteilte dem Boss ein Stadionverbot. Der listige Löring umging die Strafe, indem er sich, es war Weihnachtszeit, im Nikolauskostüm in den Fanblock stellte. Den passenden Bart dafür hätte Rudi Völler immerhin schon.

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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