Bayer Leverkusen:Jenseits von Nordkorea

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Weist dem Routinier den Weg zum Tor: Trainer Tayfun Korkut (rechts) mit Stefan Kießling, der bisher nur auf ein Saisontor kommt. (Foto: Thomas Frey/dpa)

Auch vor dem Schlüsselspiel in Darmstadt leugnet Leverkusen das Thema Abstiegskampf.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Während Tayfun Korkut am Dienstagvormittag im Leverkusener Stadion den Lagebericht vor dem Spiel bei Darmstadt 98 vorbrachte, hat Rudi Völler in der benachbarten Kantine eine Kartoffelsuppe gegessen. Sie sei etwas salzig, merkte er an, woraus sich zweierlei schließen ließ: Dass erstens die Suppe etwas salzig war - und dass zweitens bei Bayer 04 noch nicht der Zustand der fortgeschrittenen Panik herrscht, obwohl nun überall zu hören und zu lesen ist, wie tief die einst so schönen Saison-Hoffnungen der Leverkusener gesunken sind. "Willkommen im Abstiegskampf!", grüßte etwa der kicker den Champions-League-Verein nach dem 3:3 am Sonntagabend gegen Wolfsburg.

Völler aber ist trotzdem zum Plaudern aufgelegt, nachdem er in Ruhe seine Suppe gegessen hat, und auch wenn er die Lage nicht schön findet, so vertritt der Sportchef doch die Ansicht, dass man sich jetzt, wie man im Rheinland sagt, bloß nicht jeck machen lassen sollte: "In den Medien heißt es Abstiegsdrama, Existenzkampf und so weiter - aber hier geht es nicht um Trump oder Putin oder den Nordkoreaner, sondern um Fußball", sagt er mit der Gelassenheit von bald 40 Jahren im Profifußball. Oder ist es die rheinische Gelassenheit?

Stürmer Bailey hat in Belgien Ärger mit einem Boxer - die Strafe des Vereins fällt mild aus

Vor vier Wochen haben Völler und die übrigen Bayer-Verantwortlichen den Trainer Roger Schmidt beurlaubt und Tayfun Korkut an seine Stelle gesetzt. Auf beiden Seiten herrschte die Überzeugung, dass dies ein schlauer Schachzug wäre: Korkut ist ein Mann mit angenehmen Wesenszügen, dessen Fußball-Theorien mit denen von Schmidt harmonieren - zumal die beiden befreundet sind. Deshalb glaubte man bei Bayer 04, eine unkomplizierte Übergangslösung bis zum Saisonende gefunden zu haben, während Korkut den Job nach seinem selbst beendeten Ausflug in die zweite Liga (Kaiserslautern) als Geschenk auffasste: Erstmals darf er nun ein potenzielles Spitzenteam mit lauter verheißungsvollen, jungen Nationalspielern trainieren. Schon der zweite Einsatz bescherte ihm gar sein Champions-League-Debüt. Und das 0:0 bei Atlético Madrid wurde allenthalben als Achtungserfolg gesehen.

Doch die Erwartung an eine zügige Genesung, die aus diesem Match hervorging, hat sich nicht erfüllt. Das Team hat sich noch nicht erholt von den dauerhaft krisenhaften Verhältnissen, die im dritten Jahr mit Roger Schmidt herrschten. Am Sonntag gegen Wolfsburg präsentierte sich Bayer in prekärer Verfassung. Machte man jetzt eine Liste der Spieler, die in guter Normalform anzutreffen sind, dann wäre das eine sehr kurze: Auf ihr stünde der Name von Torwart Bernd Leno.

Andere, wie die Verteidiger Aleksandar Dragovic und Wendell oder der Angreifer Admir Mehmedi, spielen inzwischen allerdings so gewohnheitsmäßig unter Form, dass man dies für die Normalform halten könnte. Auch dem Abwehrchef Ömer Toprak war zuletzt nur noch selten anzusehen, warum Thomas Tuchel und Borussia Dortmund ihn so dringend haben wollten. Leverkusens Lichtblick hingegen ist 17 Jahre alt, heißt Kai Havertz und hat am Sonntag ein Tor vorbereitet sowie mit beachtlicher Coolness das 3:3 geschossen.

Havertz und der 19-jährige Benjamin Henrichs sind die Entdeckungen dieser Saison, aber es ist auch nicht so, als ob Bayer mit seinen jungen Spielern nur Freude hätte. Leon Bailey, 19, im Winter für zwölf Millionen Euro Ablöse aus Genk gekommen, ist nun in die Schlagzeilen geraten, weil er in seiner belgischen Heimatstadt Ärger mit einem Boxer hatte. Diesen hatte Bailey zuvor auf seiner Facebook-Seite als "Clown" verspottet, weshalb ihm der Kampfsportler nun laut und deutlich die Meinung sagte - und dies ebenfalls via Facebook-Video publik machte.

Völler kommentierte den Fall einerseits spöttisch ("Da hat Leon leider Pech gehabt, dass der andere kein Ballett-Tänzer war"), andererseits pädagogisch: "Das ist ein klassisches Lehrbeispiel, warum man diesen Scheiß besser bleiben lässt" - gemeint sind damit die Social-Media-Aktivitäten der Spieler. Dass sich Bailey am Sonntag also in einem belgischen Café von einem wütenden Boxer beschimpfen ließ, während seine Kollegen ein sehr wichtiges Heimspiel bestritten (für das er nicht berufen worden war), ist der Punkt, der die Leverkusener am meisten stört. Aber auch nicht allzu sehr: "Da wird ihm mal kurz an den Ohren gezogen", sagte Völler, "aber das reicht dann auch: eine größere Strafe als dieses Video gibt's sowieso nicht."

Korkut geht mit dem Vorfall ebenfalls entspannt um ("Bin kein Prediger"), was er sich leisten kann: Bailey zählt noch nicht zu seinen wichtigen Spielern. Doch der Trainer macht auch sonst nicht den Eindruck, als ob er Angst um den Klassenerhalt und seinen guten Namen hätte. Das Wort Abstiegskampf hält er im Vertrauen auf die nachgewiesenen Qualitäten der Leverkusener Profis immer noch für deplatziert, weshalb er lieber den geringen Abstand zu den Europa-League-Plätzen hervorhebt: "Solange wir da oben dieses Licht sehen, werden wir nicht ins Dunkle schauen", sagte Korkut schön. Ob aber nach der Reise zum Tabellenletzten Darmstadt die Stimmung immer noch so gelassen ist? Die nächsten Gegner heißen RB Leipzig und Bayern München.

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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