Australian Open:Kerber muss Coco knacken

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Coco Vandeweghe ist emotional und entspannt zugleich - gegen Kerber wird sie viel riskieren. (Foto: REUTERS)
  • Wenn die Deutsche bei den Australian Open ihren Titel verteidigen will, muss sie eine ungewöhnliche Gegnerin schlagen.
  • Coco Vandeweghe ist alles zugleich: Tollkühn, eigenwillig, brandgefährlich.
  • Hier können Sie das Spiel ab 11 Uhr im Liveticker verfolgen.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Die Journalisten bei den Australian Open verfügen über einen Fernseher an jedem Arbeitsplatz, alle entscheidenden Bühnen lassen sich per Knopfdruck auf den Bildschirm holen - die Courts, klar, aber auch der "Main Interview Room". Dort sitzen die speziellen Spieler und referieren über ihr Befinden, wobei man bei Coco Vandeweghe nicht von sitzen sprechen kann. Sie macht es sich gemütlich. Sie lehnt sich zurück, schaut in die Runde, und allein ihr Blick verrät: Hier bleib ich jetzt ein bisschen.

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Völlig überraschend schlägt der deutsche Außenseiter den Weltranglistenersten in vier Sätzen und erreicht das Viertelfinale der Australian Open - hinterher ist er selbst perplex.

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So kann es passieren, dass man sie auf dem Bildschirm also sieht, dann mal kurz verschwindet, sich ein Fünfsatzmatch irgendwo anschaut und etwas essen geht, und wenn man zurückkommt, hat es sich Vandeweghe immer noch gemütlich gemacht. Dem lässt sich entnehmen, dass sie erstens ganz gerne redet, und zweitens, dass sie so redet, dass andere gerne zuhören.

Eines ist allerdings klar: Mit Quatschen kann sie Angelique Kerber an diesem Sonntag (zu deutschen Mittagszeit, hier im Liveticker) nicht gefährlich werden. Und doch trifft die deutsche Titelverteidigerin auf eine einzigartige Gegnerin. Coco, wie sie ihre Fans nur rufen, ist anders. Sehr anders sogar. Im vergangenen Jahr war sie übrigens, schon das allein zu ihrer Persönlichkeit, die allererste Spielerin, die nach einem ersten Satz live auf dem Platz beim Seitenwechsel ein Interview fürs Fernsehen gegeben hatte.

Das Anderssein ist auf ihren Familienhintergrund zurückzuführen, der einer der ungewöhnlichsten im Frauentennis ist. Die Oma war Miss Amerika, der Opa Basketballer bei den kultigen New York Knicks. Onkel Kiki war NBA-Profi, im Madison Square Garden haben sie sein Trikot aus lauter Ehrfurcht unter die Hallendecke gehängt. Mutter Tauna wiederum nahm als Olympionikin 1976 bei den Spielen in Montréal als Schwimmerin teil. Bruder Beau spielt professionell Volleyball.

Sie selbst sagte mal über sich, sie sei ein "total california girl", sie ist zwar in New York geboren, lebt aber in Rancho Santa Fe. Dieses Flair kommt tatsächlich auch mit jeder Faser rüber. Irgendeine Flagge oder die Farben der amerikanische Flagge sind immer irgendwo auf einem ihrer Kleiderstücke zu finden. Sie lacht gerne und hat kein Defizit an Selbstbewusstsein.

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Die ehemalige Weltranglistenerste hat auf dem Weg ins Viertelfinale gegen die Deutsche wenig Probleme, ist aber trotzdem voll des Lobs über die Unterlegene.

Ihr Spiel ist entsprechend lebendig und leidenschaftlich. Vandeweghe, 2015 im Viertelfinale von Wimbledon, ist eine einzige Unberechenbarkeit, wobei auf eines immerhin Verlass sein wird: An der Grundlinie wird man sie eher selten sehen. "Es ist definitiv schwer, gegen eine solche Spielerin zu spielen", konstatierte Eugenie Bouchard in Melbourne, sie ist die frischeste Zeugin.

Die Kanadierin verlor als Letzte gegen Vandeweghe, in der dritten Runde, 5:7 im dritten Satz. Um genau zu sein, klang sie genervt, denn ihr war es nicht gelungen, sich auf Vandeweghe einzustellen. Die hatte das gemacht, was im Frauentennis selten zu bestaunen ist: Wie ein Chamäleon wechselt sie, zurzeit 35. der Weltrangliste, ihren Stil.

Vandeweghe kann mitspielen, den Ball in längeren Ballwechseln halten, aber ihrem Naturell entspricht das nicht. Ihre Art ist es daher, mutig zu spielen, wobei es bei ihr drei Ausprägungen davon gibt: mutig, tollkühn und größenwahnsinnig. Je nachdem, ob die 25-Jährige die passende Mischung findet, kann das spektakulär gut ausgehen wie gegen Bouchard. Oder böse enden. Dann fliegt sie wie eine Papiertüte im Wind vom Platz. Gegen Bouchard gewann sie stets die Kontrolle zurück, als sie eines verinnerlichte: "Ich wollte das Match zu meinen Bedingungen zurück haben", sagte sie danach, "und so spielen, wie ich spielen will." Und nicht, wie Bouchard es aufgrund ihres aggressiven Grundlinienspiels mit den monotonen links-rechts-links-rechts-Schlägen aufdrücken wollte.

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Also ging Vandeweghe wie ein Pitbull auf Returns los. Sie kann variieren und slicen, diese Technik, der Unterschnitt, ist eine wunderbare Waffe, aber die meisten Frauen wissen nicht, dass man ihn laut Reglement tatsächlich anwenden darf. Kerber hatte in der zweiten Runde gegen die junge deutsche Kollegin Carina Witthöft ein paar Probleme, als die vermehrt die Rückhand mit Slice übers Netz spielte. Sie sollte an diesem Sonntag wieder mit einer ähnlichen Gegenwehr rechnen.

Aber drauhauen kann Vandeweghe übrigens auch. "Ihre Technik ist fantastisch", sie spielt ein geiles Tennis", sagt in Melbourne der frühere österreichische Profi Alex Antonitsch; der Turnierdirektor von Kitzbühel kommentiert bei den Australian Open fürs Fernsehen.

Ihr Heißhunger darauf, sich so richtig an einer Gegnerin festzubeißen, wurde früh konditioniert. Vandeweghe war als Kind gar die beste Ringerin auf Long Island. Als sie in Rio im Tennisdoppel an den Olympischen Spielen teilnahm (sie blieb ohne Medaille), hat sie ihrem Clan alle Ehre erwiesen.

Was sie über das bevorstehende Match gegen die Weltranglisten-Erste Kerber denke? "Yeah, das wird nett werden", sagte sie da völlig entspannt, "und interessant." Sie wird notfalls auch mit sich selbst Spaß haben.

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