1. FC Köln:In die Wiege gelegt

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Unberührt ins Netz: Die Schussflanke von Marcel Risse (nicht auf dem Bild) senkt sich hinter Darmstadts Torhüter Mathenia (rechts) zum 3:1 ins Tor. (Foto: Marius Becker/dpa)

Der geerdete 1. FC Köln bietet spektakulären Fußball und zeigt, dass da gerade ein Team wächst, das überraschen kann. Nun ist ein einstelliger Tabellenplatz in Reichweite.

Von Milan Pavlovic, Köln

Wer Sätze von Peter Stöger nur liest, könnte glauben, er hätte es mit einem Buchhalter zu tun. Als am Samstag der vorzeitige Klassenerhalt feststand, sagte der Trainer des 1. FC Köln: "Das ist mehr als wir gedacht haben zu diesem Zeitpunkt." Oder: "Das Spiel war von der Offensivleistung in Ordnung", was sich angesichts des Angriffsspektakels beim 4:1 (2:1) gegen Darmstadt 98 wie die Untertreibung des Tages ausnahm. Über den überragenden Marcel Risse sagte Stöger: "Er war brav heute." Spätestens da ahnt man, dass man den Österreicher hören und sehen sollte, wenn er spricht: umaufschnappen zu können, was zwischen den Worten steckt. Stöger hat in drei Jahren Köln gelernt, dass man die emotionalen Wellenbewegungen dieser Stadt nicht alle mitmachen darf. Aber wer ihn sah, während er sprach, konnte erkennen, wie zufrieden er war. "Ich gehe davon aus, dass die Leute, die unterwegs sind, den einen oder anderen Spieler sehen werden", sagte er auf die Frage, ob die Spieler nun feiern dürften, und: "Ich wäre enttäuscht, wenn die Spieler heute Abend nicht in der Stadt unterwegs wären." Stögers Art hat offenbar auf das Team abgefärbt. Die Freude der Protagonisten blieb dezent. Die größten Komplimente kamen von den Gästen, die immerhin als viertbestes Auswärtsteam der Liga angereist waren. Köln habe "einen Sahnetag" erwischt, gratulierte 98-Trainer Dirk Schuster; und Verteidiger Konstantin Rausch stellte fest: "Wir haben in dieser Saison oft unter Beweis gestellt, dass wir konkurrenzfähig sind", aber nicht mal im Heimspiel gegen Berlin (0:4) sei man "so hergespielt" worden wie nun vom FC. Trotzdem war das Expressivste auf Kölner Seite noch der Torjubel. Zunächst von Anthony Modeste, der die Legende der drei Affen zitierte, die er offenbar von Smartphones kennt: "So wie die Äffchen-Emojis beim iPhone" habe er - warum auch immer - wirken wollen: Nach dem ersten Tor (4.) hielt er sich die Ohren zu, später (35.) die Augen. Der Franzose ließ nicht weniger als vier weitere Großchancen aus, um auch noch die Maulsperre des dritten Äffchens nachzustellen. Getoppt wurde Modeste von Marcel Risse. Der "Kölsche Jung" erzielte in der zweiten Halbzeit zwei Bilderbuchtore (52., 75.), wobei er zugab: "Sagen wir es mal so: Das zweite Tor war ein bisschen mehr Absicht." Per Babywiege-Jubel ließ der 26- Jährige die Welt wissen, dass er bald Vater wird. Dazu Stöger: "Das war mir neu. Ich war nicht dabei, und er hat mich auch nicht eingeweiht, dass er daran arbeitet." Die Kölner haben also ein Team, das noch in jeder Hinsicht überraschen kann. Es könnte sein, dass im Sommer zwei Stützen wegziehen (Torwart Timo Horn und Defensivkraft Jonas Hector). Aber Stöger und Manager Jörg Schmadtke haben den Kader so aufgebaut, dass nicht gleich das ganze Fundament wegsacken dürfte. Das Spiel gegen Darmstadt zeigte, über wie viele Möglichkeiten der Verein an guten Tagen verfügt. Nun geht es darum, solche Tage konstanter hinzubekommen. Das nächste Ziel des Klubs ist übrigens schon in dieser Saison zu erreichen: ein einstelliger Tabellenplatz. Das gelang dem FC zuletzt 1992, als Vierter, unter Trainer Jörg Berger.

Darmstadt vermied damals übrigens soeben den Abstieg in die Regionalliga. Damit die Hessen 24 Jahre später die höchste Klasse halten, haben sie sich angewöhnt, das Positive mitzunehmen. In Köln war das "die sagenhafte Stimmung", wie Torwart Christian Mathenia staunend berichtete. Das sei eine Inspiration für das ultimative Duell am nächsten Wochenende gewesen, wenn es für 98 gegen den Orts- und Tabellen-Nachbarn Frankfurt geht. "Das wird das brisanteste Derby, das es je gegeben hat", versprach Mathenia, und an dessen Ende wolle man "so mit unseren Fans feiern, wie es heute die FC-Spieler mit ihren Fans getan haben".

© SZ vom 25.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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