Werbung für Goa:Züchtig im Hippieparadies

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Die Einheimischen fühlen sich durch westliche Lebensart bedrängt: Goa will künftig nicht mehr mit Bikini-Fotos für sich werben.

Tobias Matern

Sie kamen im VW-Bulli, entdeckten die Bilderbuchstrände. Sie kifften, sie tanzten nackt durch die Gärten, lebten die freie Liebe. Als die Blumenkinder vor mehr als 40 Jahren Goa zum Endpunkt des Hippie-Trails erkoren hatten, schauten die Einheimischen verwundert zu. So ein freizügiges Spektakel waren sie nicht gewohnt - ihre Frauen gingen meist voll bekleidet in Saris ins Wasser.

Die komischen Sitten waren den Goanern aber zunächst einmal egal. Schließlich waren die Aussteiger aus Europa und den USA die ersten Besucher, die der damals noch armen Region ein bisschen Geld brachten.

Das Bild vom Paradies verfestigte sich schnell: Palmen, klares Wasser, 105 Kilometer lang nichts als Strand - und die Beatles, die mal zum Planschen vorbeischauten.

Auch im Jahr 2010 gibt es im kleinsten indischen Bundesstaat noch immer etliche Taxifahrer, die einem Drogen anbieten, noch immer jede Menge Trance-Partys unter freiem Himmel. Und natürlich noch immer den legendären Flohmarkt in Anjuna.

Ein Paradies in allen Preiskategorien

Wo allerdings früher Hippies ihre letzten Habseligkeiten verkauften oder tauschten, bieten nun Souvenirhändler aus ganz Indien ihre Waren an. Zu den in die Jahre gekommenen Aussteigern haben sich jede Menge Pauschalurlauber hinzugesellt. Rentner überwintern hier gern.

Eine halbe Million ausländische Touristen besuchen die Region im Jahr, die wenigsten interessieren sich für die portugiesischen Kolonialbauten. Längst schlafen die Gäste nicht mehr nur für ein paar Euro in einfachen Bambushütten am Strand. Goa ist voll kommerzialisiert - das Paradies kommt in allen Preiskategorien daher.

Goa hat ein Imageproblem

Und: Goa hat ein Imageproblem. Regelmäßig schreibt die indische Presse über Morde und Vergewaltigungen dort, der jüngste Fall erregt besonders viel Aufsehen: Ein einheimischer Arbeiter soll ein neunjähriges russisches Mädchen im Wasser missbraucht haben, während sein Kollege die Mutter am Strand in ein Gespräch verwickelte. Erst im Dezember hatte eine russische Touristin einen Politiker bezichtigt, sie vergewaltigt zu haben.

Auch ein Taxifahrer geriet unter Verdacht: Zwei Fahrgäste beschuldigten ihn, er habe versucht, sich an ihnen zu vergehen. Die russische Botschaft in Delhi drohte nun damit, eine Reisewarnung auszusprechen, sollten die Behörden im Fall des mutmaßlich missbrauchten Kindes die Ermittlungen verschleppen.

Bitte keine Bikinis

Die beiden Verdächtigen sind inzwischen festgenommen, das Mädchen sollte einen der Männer noch am Montag persönlich identifizieren. Auch wenn der Fall schnell aufgeklärt sein werde, "das Ansehen Goas hat einen schweren Rückschlag erlitten", sagte der Chef der Tourismus-Vereinigung der Zeitung Indian Express zerknirscht.

Zwar zeigt ein Blick in die Kriminalstatistik, dass der Bundesstaat Goa weiter deutlich hinter anderen Regionen liegt. Aber die landesweite Aufmerksamkeit scheint hier umso höher zu sein - was auch an den lokalen Politikern liegen mag, die unfreiwillig Schlagzeilen machen.

So griff das Regierungsmitglied Pamela Mascarenhas nach den jüngsten Übergriffen nicht etwa die mutmaßlichen Täter an oder erhob die Stimme gegen Vergewaltigungen. Sie kritisierte die Touristen, wie die Zeitung Mail Today ausbreitete. Die Besucher müssten Rücksicht auf regionale Befindlichkeiten nehmen, forderte die Politikerin; Einheimische könnten für die Verbrechen nicht einseitig beschuldigt werden. Schließlich seien die Menschen es hier nicht gewohnt, so leicht bekleidete Frauen zu sehen. Halb nackt am Strand herumzulaufen, "errege die Sinne", sagte Mascarenhas - und empfahl ein Bikiniverbot.

Ein Sturm der Entrüstung brach los, Menschenrechtsgruppen prangerten Mascarenhas krude Logik an. Sie relativiere mit ihrer Sicht der Dinge Vergewaltigungen, sagte eine Aktivistin. Die Politikerin ruderte rasch zurück: Sie habe das nicht so gemeint. Von einem generellen Bikiniverbot möchte sie nichts mehr wissen. Ihre Regierung verbannt nun lieber die leicht bekleideten Strandschönheiten aus den Werbeanzeigen. So will sie verhindern, dass Goa mit Sextourismus in Verbindung gebracht wird. Im einstigen Hippie-Paradies soll es künftiger züchtig zugehen.

© SZ vom 2.2.2010/dd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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