Typologie am Berg:Pistensau trifft Skihase

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Vom Einkehrschwinger bis zum Freerider - das Skigebiet als Soziotop: Wer fährt im Winter wo und wie erkennt man sie?

Dominik Prantl und Thomas Becker

Wer sich heutzutage schlicht als Skifahrer bezeichnet, gilt als langweilig, angepasst, ja beinahe charakterlos. Bei keiner anderen Sportart sind aus der Urform so viele Unterarten entstanden wie im modernen Skilauf. Längst haben sich die Pisten damit zu Soziotopen entwickelt, die gerade in den vergangenen 20 Jahren ganz verschiedene Fahrertypen hervorgebracht haben. Zu dieser neuen Vielfalt trugen unter anderem Innovationen der Sportartikelindustrie bei - wie das Snowboard oder der Carvingski - und eine folglich immer stärkere Ausdifferenzierung der Skimodelle.

(Foto: Foto: tvb stubai tirol)

Dementsprechend erweiterten auch viele Skigebiete das Angebotsspektrum, um den unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden. Manche Fahrertypen wie die Snowboarder grenzen sich dabei ganz bewusst als Gruppe von anderen Skifahrern ab, anderen ist ihre Sonderstellung oftmals gar nicht bewusst. Um Unschlüssigen die Suche nach einem Profil künftig zu erleichtern, präsentiert die SZ zum Auftakt der Saison eine Übersicht verschiedener Skifahrertypen.

Dabei werden nicht nur Hinweise auf Erscheinungsbild, spezifische Verhaltens- und Fahrweisen sowie charakteristische Äußerungen gegeben, sondern auch praktische Handlungsanweisungen: Was muss ein Hüttenwirt bereithalten, was ein Diskjockey nach dem Pistenbetrieb auflegen, welchen Wert hat die Typologie für Pistenbetreiber und die Skiindustrie?

Die Auswahl beschränkt sich auf Skigebiete und ihren näheren Umkreis, weshalb beispielsweise Tourengeher, die Gelände jenseits des Pistentrubels vorziehen, nicht separat dargestellt werden. Unterarten wie Skiprofi, Snowkiter oder Monoskifahrer wurden ebenfalls nicht berücksichtigt. Auch der Alltagsskifahrer hat als chronischer Langweiler in einer Liste der speziellen Charaktere natürlich nichts zu suchen.

SKIHASE

Erkennungsmerkmale: Nur ganz selten in der neonfarbenen Achtziger-Jahre-Variante, heute an der figurbetonten, zumeist sehr hellen Kleidung und den leicht geröteten Wangen erkennbar. Immer weiblich.

Verbreitungsgebiet: Ischgl, St. Anton, Saalbach-Hinterglemm und andere Après-Ski-Paradiese der Alpen. Dort vor allem an den Schirmbars äußerst zahlreich, meist in Herden.

Profil: Sieht immer verdammt gut aus, allerdings ist der Fahrstil weit weniger ansehnlich. Zwar läuft der S. im Duden unter dem Begriff Skihaserl als "junge Anfängerin im Skilaufen", doch verstehen die meisten darunter eher eine feierfreudige Circe auf Skiern.

Ansehen: Köder für viele andere Kategorien, extrem beliebt, hoher Unterhaltungswert, konsumstark.

Skimodell: Ladycarver mit von Hand eingelegten Blüten, die unter geheimnisvollen Namen wie "Black Magic Attraxion 3" firmieren (nur in Pink erhältlich). Design und Optik haben Vorrang vor Fahreigenschaften.

Fahrstil/Spurenverlauf: Flott, frech, hüftbetont, technisch nicht immer ausgereift.

Größte Herausforderung: Irgendwann einmal besser zu fahren als auszusehen.

Der Song für den Typ: "Wahnsinn" von Wolfgang Petry, später dann "Angel" von Robbie Williams

Kulinarik: Abends Kleiner Feigling, morgens Müsli

Vorbild: Nena (früher), Heidi Klum (heute)

Typische Äußerung: Hey Schatz, machst du uns noch vier Jägermeister?

Ebenfalls beliebt, aber beneidet...

SKILEHRER

(Foto: Foto: AP)

Erkennungsmerkmale: Früher roter Pulli mit weißem Querbalken, heute meist in roter oder blauer Uniform. Gesicht weltweit nussölbraun.

Verbreitungsgebiet: Überall. Bestand gesichert.

Profil: Sieht ähnlich dem Skihasen eigentlich auch immer verdammt gut aus, spricht immer Dialekt, was ihn schon rein phonetisch als regionsverbundenen Naturburschen entlarvt. Ist ein unglaublich netter und positiver Typ. Verlängert für den Skihasen gerne einmal zuschlagsfrei seine Arbeitszeit.

Ansehen: Immenser Neidfaktor, vor allem bei Einkehrschwingern, Freeridern, Pistensäuen.

Skimodell: Sportlicher Slalomcarver, prinzipiell jedoch variabel. Signalwörter in Werbebroschüren sind für den Skilehrer Modellbezeichnungen wie "Apache Tiger Shark Supershape" und die Eigenschaften "hohe Torsionsstabilität, aggressiver Kantengriff, maximale Carvingpower".

Fahrstil/Spurenverlauf: Wie auf Schienen.

Größte Herausforderung: Einen einzigen Satz auf Hochdeutsch zu sagen.

Der Song für den Typ: "I am from Austria"

Kulinarik: Speckknödelsupp'n, hauptsächlich regionale Kost

Vorbild: Hermann Maier

Typische Äußerung: Suppa, Jennifer!

Ihn sieht man selten auf der Piste ...

EINKEHRSCHWINGER

Erkennungsmerkmale: Trinkfeste Kleidung, gedeckte Töne, Glühweinwangen und Obstlernase, zumeist männlich.

Verbreitungsgebiet: Hauptsächlich in österreichischen Vergnügungszentren, im Flachland häufig in der Skihalle. In Frankreich und der Schweiz weitgehend ausgestorben. Wiederansiedelungsprojekte sind dort am hohen Preisniveau gescheitert.

Profil: Handelt nach dem Motto: Ich trinke, also bin ich. Ist außerdem eigentlich ein dufter Typ, auch wenn das niemand so recht erkennen will.

Ansehen: Bewegungsfaules, lärmendes Herdentier, daher weitgehend unbeliebt. Wirtschaftlich für Skigebiete jedoch von unschätzbarem Wert.

Skimodell: Vollkommen egal, notfalls reicht ein Schlitten oder der Lift.

Fahrstil/Spurenverlauf: Generell sehr beschwingt. Erwartungsfroh vor der Hütte, mutig danach.

Größte Herausforderung: Morgens um acht Uhr am Lift zu stehen.

Der Song für den Typ: "Zehn nackte Friseusen" und ähnlich anspruchsvolle Lieder, vorzugsweise von DJ Ötzi

Kulinarik: Wahllos

Vorbild: Jürgen Drews

Typische Äußerung: Klar, noch 'ne Runde.

Früher, da war alles besser...

NOSTALGIKER

Erkennungsmerkmale: Wollschal, Knickerbocker, Schiebermütze. Seit einigen Jahren auch in der moderneren, farbenfrohen Telemark-Variante anzutreffen.

Verbreitungsgebiet: Bestand nur dank einer unerwarteten Retrobewegung gewahrt, in stark gemäßigter Form als Tourengeher jedoch vor allem im Frühjahr häufi g, auf Pisten dann jedoch ausschließlich aufwärts marschierend. Zieht sich zumeist in einsamere Bergregionen zurück, in seiner Urform häufig Einzelgänger.

Profil: Distanziert sich gerne vom polternden Proletariat des Skizirkus'. Wurde an den Rand gedrängt von den Geschwindigkeitsfanatikern des modernen Skilaufs. Wer sich ihm nähert, sieht die Melancholie in seinen Augen, die immerzu Ausschau halten nach einer anderen Zeit.

Ansehen: Gilt als schöngeistiges Fossil aus dem Kuriositätenkabinett des Skisports, wird bestaunt, belächelt, bewundert. Konsumverweigerer.

Skimodell: Erbstück Modell Retro, gerne auch aus Holz, ohne Taillierung. Wegen der Resistenz des N. gegen die Marketingmaschinerie sind Namen belanglos.

Fahrstil/Spurenverlauf: Klassisch-anmutiger Parallelschwung, sehr enge Skiführung. Oberkörper-Vorseitbeuge, wahlweise mit Telemarkknicks.

Größte Herausforderung: Umstellung auf den Carving-Ski.

Der Song für den Typ: "I did it my way"

Kulinarik: Speckbrot, Landjäger, Früchtetee

Vorbild: Luis Trenker

Typische Äußerung: Früher war hier nicht so viel los.

Aus der Bahn!

PISTENSAU

Erkennungsmerkmale: Offener Anorak, flatternder Schal, bloß kein Helm! Zumeist ein äußerst juveniler Typ.

Verbreitungsgebiet: Jagt hauptsächlich über schwarze, breite Pisten aller alpinen Skigebiete, dort allerdings heillos überfordert. Erstaunlich selten beim Arzt. Mutiert mit der Geschlechtsreife fast immer zu einem anderen Typ, häufig zum Einkehrschwinger.

Profil: Fühlt sich extrem sicher, da jedes Jahr eine ganze Horde speziell auf Pistentauglichkeit geprüfter Schutzengel allein für ihn und seine Umwelt abgestellt werden. Hat es wie der Skihase sogar in den Duden geschafft ("derb für rücksichtsloser Skifahrer").

Ansehen: Gefürchtet, verflucht, fi ndet nur unter Gleichgesinnten Freunde.

Skimodell: Sportlicher Racecarver, der die P. allerdings hoffnungslos überfordert. Nicht zu teuer, stabil muss er sein.

Fahrstil/Spurenverlauf: Spur ist meist durch den unkonventionellen Zick-Zack-Verlauf erkennbar. Ski flattert bei hohem Tempo auffallend oft.

Größte Herausforderung: Bremsen.

Der Song für den Typ: "Ich geb' Gas, ich will Spaß"

Kulinarik: Fastfood

Vorbild: Bode Miller

Typische Äußerung: Wer bremst, verliert.

Klippen, Abhänge? Kein Problem!

FREERIDER

Erkennungsmerkmale: Trägt häufig Rastalocken, die mit der hochwertigen, schneedichten und kratzfesten Funktionskleidung kontrastieren. Meist mit Protektoren ausgestattet.

Verbreitungsgebiet: Verirrt sich nur selten auf Pisten. Insbesondere im steilen Tiefschnee Nordamerikas und der Westalpen unterwegs. Häufig jenseits der Markierungen. Bestand zunehmend.

Profil: Sieht sich als nonkonformistischer Individualist. Besitzt neben seinen unumstrittenen skifahrerischen Fähigkeiten vor allem die Gabe, das Hirn in bestimmten Situationen ausschalten zu können.

Ansehen: Rotes Tuch für die Bergwacht. Unangepasst, scheinbar latent todessehnsüchtig. Liebling der Youtube-User.

Skimodell: Snowboard oder plankenartige, kaum taillierte Bretter mit Wasserski-Eigenschaften. Namen wie Monster Bandit unterstreichen die ungezügelte Angrifflust. Preis ist häufig nebensächlich.

Fahrstil/Spurenverlauf: Klare Linien in sonst unberührten Hängen. Legt außerdem verstärkt Wert auf den Flugstil.

Größte Herausforderung: Vor der 50-Meter-Klippe doch einmal umzudrehen.

Der Song für den Typ: "Fly like an Eagle"

Kulinarik: Energiegetränk, das Flügel verleiht.

Vorbild: Klippenspringer Jamie Pierre

Typische Äußerung: Geht nicht, gibt's nicht.

Erst Außenseiter, jetzt mittendrin...

SNOWBOARDER

Erkennungsmerkmale: Inszenieren mit Hilfe der Sportindustrie ihre Sonderstellung meisterhaft. Lässiges, weites Outfit. Abgrenzung zu anderen Pistennutzern auch durch eine von Anglizismen geprägte Fachsprache.

Verbreitungsgebiet: In den Unterarten Freerider, Halfpiper (Schanzenspringer) und Rumsitzer noch häufig. Bestand aller Subspezies ist nach dem enormen Zuwachs in den 1990er Jahren derzeit rückläufig. Viele Quereinsteiger können nicht zu diesem Typ gerechnet werden.

Profil: Hat sich irgendwann ein Snowboard gekauft, weil seine Kumpels das cool fanden. Wird demnächst vielleicht wieder mal probieren, Ski zu fahren, wobei ihm das Surffeeling auf dem Powder und die Sessions bei den Slopestyle- und Spinmasters fehlen werden.

Ansehen: Früher verachtet. Wurde inzwischen jedoch in den Pistenbetrieb integriert. Ein Schoßkind der Skiindustrie.

Skimodell: Gerne auch die etwas günstigere Variante mit Lightspeed Vision Base, Fly Kern, Dualzone EGD, Biax React Glasfaser, etwas schmalerem Tail, Sidewall Konstruktion, negativem Kernprofi l.

Fahrstil/Spurenverlauf: Spezifische Wippbewegung. Unverkennbarer Spurenverlauf durch Seitwärtsdriften des Snowboards. Legt als Halfpiper noch mehr Wert auf den Flugstil als der Freerider.

Größte Herausforderung: Frontside Double Corked 1260 Grad.

Der Song für den Typ: "Heaven is a Halfpipe"

Kulinarik: Alles was hilft, in andere Sphären zu gelangen.

Vorbild: Tony Hawk (früher), Shaun White (heute)

Typische Äußerung: Fett.

Diese Fahrer sind groß im Kommen...

NACHWUCHSFAHRER

Erkennungsmerkmale: Niemals größer als 1,20 Meter. Niemals älter als neun Jahre.

Verbreitungsgebiet: Oft an sanften Hängen kleinerer Skigebiete wie Kronplatz und Savognin sowie in den vielseitigen Familienskigebieten wie Lenzerheide oder Serfaus-Fiss-Ladis. Gerne in der Nähe von Tellerliften.

Profil: Weiß nur zu gut, dass ihn die meisten für ein süßes Kerlchen halten. Wird gerne auch als "Skizwerg" bezeichnet, obwohl er mit dem Fabelwesen kaum Ähnlichkeit aufweist. Dennoch wird der Name von einem willfährigen PR-Journalismus immer wieder aufgegriffen und verbreitet.

Ansehen: Extrem beliebt, bei Skifahrern wie bei Skigebietsbetreibern. Der Kunde von morgen.

Skimodell: Hauptsache günstig, wird ohnehin bald zu klein.

Fahrstil/Spurenverlauf: Unkontrolliert, stark ausbaufähig.

Größte Herausforderung: Umstieg vom Erdbeerhang auf die Pumucklpiste.

Der Song für den Typ: k.A., da stark elterlich geprägt

Kulinarik: Pommes, Spaghetti

Vorbild: Alle anderen

Typische Äußerung: Nochmal!

© SZ vom 9.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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