So klingt Island:"Knnzsscchwmm! Slurpppsch!"

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Kann man ein Land hören? Man kann. Bei Island funktioniert das sogar ziemlich gut. Paradoxerweise liegt das an seiner grandiosen Optik

Stefan Nink

In einer Kneipe in Reykjavik sitzt ein Mann und fuchtelt mit den Armen. Gerade hätte er beinahe die Bedienung erwischt. Dann wäre eine Fuhre teures Importbier dahin gewesen, die Frau konnte eben noch ausweichen. Vielleicht war sie gewarnt durch die Geräusche, die der Mann macht. Jón Þór Birgisson, genannt Jónsi, demonstriert Freunden, wie sich die Brandung oben bei Húsavík anhört: "knnzsscchwmmm!" und behauptet, diesen Wellenschlag aus allen Brandungen des Landes heraushören zu können, was ihm aber niemand glaubt.

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Als ob die Brandung bei Djupívogur im Osten anders klingen würde! "Tut sie", ruft Jónsi, "kschschschmmmbl!" Völlig anderer Strand, völlig andere Kiesel!

Jónsi ist Sänger der isländischen Band Sigur Rós und war in seiner Heimat unterwegs: Ideen sammeln, Inspirationen suchen, besondere Klänge finden. Kritiker haben ja schon immer viel Island in den eigenwilligen Kreationen der Band gehört. Für sie klangen die übereinander gestapelten Stimmen nach Polarlichtern und die mit dem Cellobogen traktierte Elektrogitarre nach einem Gletscher, von dem eine große Eiswand abzubrechen droht, und möglicherweise lagen sie ja alle richtig: Vielleicht ist die Musik von Sigur Rós tatsächlich eine Umsetzung all jener Geräusche, nach denen Island klingt.

Und vielleicht schaut Jónsi deshalb jetzt aus dem Fenster. Draußen auf der Hverfisgata zankt sich ein Schwarm Möwen um einen Fisch. Ihr Zetern ist derart laut und schrill, dass es durch Scheiben und Kneipenlärm dringt. Es hört sich an wie ein außer Kontrolle geratener Streichersatz.

Kann man ein Land hören? Man kann. Bei Island funktioniert das sogar ziemlich gut. Paradoxerweise liegt das an seiner grandiosen Optik: Island ist eine Insel der Bilderbuch-Panoramen, bei denen man sich ab und zu klarmachen muss, dass sie tatsächlich real sind. Da hilft es, sich zur Abwechslung auf einen anderen Sinn zu konzentrieren.

Und natürlich hängt es auch damit zusammen, dass Island außerhalb seiner zwei, drei größeren Städte so gut wie menschenleer ist, nur 318.000 Einwohner auf 103.000 Quadratkilometern: Würde man diese Bevölkerungsdichte auf Manhattan umlegen, lebten dort 224 Menschen. Und dass dort, wo der Mensch die Welt allein lässt, die Welt sowieso voller Klang ist, das hat man ja eh schon immer geahnt. An einem frühen Morgen am Jökulsárlón zum Beispiel: Da ist die Stille nicht still.

Nicht wirklich. Nur oberflächlich. Ein paar hundert Meter am Ufer des Sees in Richtung Gletscher, und Island lässt von sich hören. Die großen und kleinen Treibeisberge schaben und schurren gegeneinander, um sie herum gluckst das Wasser. Schall liebt ruhiges, stehendes Wasser, keine andere Oberfläche transportiert Geräusche besser und weiter.

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In Island gibt es solches Wasser überall: Vulkan- und Gletscherseen, Buchten, schmale Fjorde. Wer an ihren Ufern steht, ist Besucher in einem Konzertsaal der Natur. Er kann das schnelle Flügelschlagen einer startenden Gänsefamilie hören. Das Springen der Lachse. Das Poltern der Steine, die Schafshufe weit oben im Berg losgetreten haben. Das einsame Auto, das auf der anderen Fjordseite fährt.

Wo wir gerade dabei sind: Auch das Autofahren ist hier ein akustisches Erlebnis. Auf einer Schotterpiste wie der "52" ins Kaldidalur-Tal etwa. Es rattert und rumpelt und kracht derart über Wellen und Schlaglöcher, dass die Musik aus dem MP3-Player nur noch als Geräuschkulisse wahrnehmbar ist: Es müssen vier Millionen Steinchen sein, die pro Minute von unten gegen das Bodenblech fliegen, mindestens.

Das prasselnde Stakkato gehört schon nach wenigen Kilometern so selbstverständlich dazu, dass die Stille beim Anhalten beinahe unheimlich wirkt. Während dieser Stopps ist da manchmal allerdings ein anderes Geräusch, das Mietwagenfahrer gar nicht gerne hören: Das leise Zischen, wenn die Luft aus einem defekten Reifen entweicht. Noch ungeliebter ist nur das isländische "Slurpppppsch". Das kommt aus dem Fußraum des Mietwagens, wenn in der Furt doch wesentlich mehr Wasser war als vermutet.

Islands Flüsse sind die ungestümen Brüder seiner still ruhenden Seen und Fjorde. Sie sprudeln und rauschen, gespeist von den Hochlandgletschern, angetrieben von Höhenunterschieden. Vor allem an späten Sommernachmittagen, wenn die Sonne den ganzen Tag über Zeit zum Eisschmelzen hatte, gebärden sie sich wie wild: Dann sind aus den harmlosen Bächen des frühen Morgens schäumende Ströme geworden.

Und überall dort, wo sich diese Flüsse über Kanten und Klippen in die Tiefe stürzen, scheint die ganze Welt nur noch aus Tosen zu bestehen: Wer je in der dröhnenden Gischt eines Gullfoss, Dettifoss oder Dynjandi gestanden hat, wird für kontinentaleuropäische Wasserfälle anschließend nur noch ein müdes Achselzucken übrig haben. Einen Abend am Geysir vergisst man sowieso nicht mehr.

Der Namenspate aller anderen Geysire auf der Welt liegt nur 90 Busminuten von Islands Hauptstadt entfernt, deshalb gibt es hier tagsüber keine ruhige Minute. Irgendwann aber wird es leerer, und irgendwann ist man ganz allein zwischen zischenden Erdlöchern und blubberndem Schlamm. Geysir selbst ist ein unzuverlässiger Gesell, aber Strokkur nebendran ist alle paar Minuten aktiv.

Kurz vorher beginnt das Wasser drumherum zu wallen und zu schäumen, und dann faucht es, als werde ein mittelschwerer Hurrikan im Erdinnern gefangen gehalten. Die Wasserdampf-Säule schießt dann trotzdem so plötzlich in den Himmel, dass man mehrere Durchgänge benötigt, um ein einziges vorzeigbares Foto hinzubekommen.

Zu ihren heißen Quellen haben die Isländer übrigens ein ganz besonderes Verhältnis: Früher empfingen die Clanchefs der Wikinger Gäste gerne in thermischen Pools, und wenn heute irgendwo auf dieser Insel debattiert oder diskutiert wird, dann geschieht das garantiert in einem Hot Pot unter freiem Himmel. Insofern verwundert es nicht, dass die Übernahme eines heimischen Energieunternehmens durch einen kanadischen Konzern neulich zu landesweiter Empörung führte - die heißen Quellen wurden mitverkauft.

Flugs war unter Leitung der Sängerin Björk ein dreitägiger Protest-Karaoke-Marathon organisiert. Den Verkauf des Energieunternehmens konnten die Demonstranten zwar nicht mehr rückgängig machen. Mit ihrem Karaoke-Marathon Anfang Januar aber haben sie immerhin erreicht, dass Islands Naturreserven nun zum öffentlichen Eigentum erklärt werden sollen. 48.000 Isländer hatten die Petition unterschrieben. Das sind 15 Prozent der Bevölkerung. Möglicherweise hätten noch mehr protestiert, wenn das Wetter besser gewesen wäre.

Wenn es also nicht schüttet oder stürmt, dann ist es am berühmtesten Ort des Landes schon beinahe unheimlich still: Als habe jemand dort oben den Stecker gezogen und damit sämtliche Weltgeräusche abgestellt - so liegt die historische Versammlungsstätte Þingvellir geschützt im Rücken einer Felswand. In der Geschichte Islands und in der kollektiven Psyche des Landes nimmt Þingvellir eine Sonderstellung ein: Hier tagte nach der Besiedlung der Insel durch norwegische Wikinger einst das Parlament, wahrscheinlich nur, weil es nirgendwo eine heiße Quelle gab, die genügend Platz bot.

Hier wurden der tausendste Jahrestag der Staatsgründung gefeiert und die Republik ausgerufen. Þingvellir ist ein beinahe heiliger Ort für die Isländer, beladen mit Geschichte und Geschichten. Manchmal, heißt es, soll man hier das Raunen der Vergangenheit vernehmen können - wenn man ein Ohr dafür hat. Jónsi, der Sänger, war neulich auch hier unterwegs. Vielleicht kann man es ja hören, wenn das neue Album von Sigur Rós demnächst erscheint.

© SZ vom 27.01.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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