Schwimmunfälle vor Mallorca:Badespaß auf Kosten der Sicherheit

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Innerhalb von zwei Wochen ertranken elf Badende vor Mallorca. Rolf Lüke über die Mitschuld der Kommunen und die Gefahren an deutschen Seen.

K. Schnitzler

Vor zehn Jahren, am 18. September 1999, ertrank die Schwester von Rolf Lüke, 62, am Platja Migjorn auf der spanischen Insel Formentera. Sie hatte eine andere Schwimmerin retten wollen, wurde aber ebenfalls von einer Unterströmung aufs Meer hinausgerissen - beide Frauen starben. Diese Tragödie brachte Rolf Lüke auf die Idee, Blausand.de zu gründen. Das ist ein Webportal, das über Badesicherheit in Europa informiert - zum Beispiel Tui-Reiseleiter auf Mallorca.

sueddeutsche.de: Auf Mallorca sind in diesem Jahr in weniger als zwei Wochen elf Schwimmer tödlich verunglückt - was ist so gefährlich am Bad vor Mallorca?

Rolf Lüke: Die Strände von Mallorca sind nicht gefährlicher als andere am Mittelmeer. Aber auf Mallorca geht das Durchschnittsalter nach Ferienende deutlich nach oben. Die meisten Todesopfer der vergangenen zwei Wochen waren deutlich über 60 Jahre alt. Da weiß ich nicht, ob körperliche Vorerkrankungen zu den Unfällen beigetragen haben, etwa Herzinfarkte. Ältere wissen noch dazu meistens sehr wenig über Badegefahren im Meer, das könnte ein Grund für die Häufung der Unfälle in diesem Alter sein.

sueddeutsche.de: Sind denn andere Urlauber besser informiert?

Lüke: Es sind alle zu wenig aufgeklärt. Die Urlauber kommen an und gehen am ersten Urlaubstag einfach ins Wasser. Auch vorher werden Touristen von niemandem aufgeklärt.

sueddeutsche.de: Wer ist für die Badesicherheit verantwortlich?

Lüke: Eigentlich die Kommunen. Wenn man Glück hat, stellen sie wegen der Strömungen Warnschilder auf. Sollte ein Flaggensystem vor Gefahr warnen, bleibt die grüne Flagge meist viel zu lange hängen. So müsste man etwa den mallorquinischen Strand Mesquida im Nordosten der Insel eigentlich permanent schließen, hier kommt es immer wieder zu tödlichen Badeunfällen. Dennoch gibt es an diesem gefährlichen Strand, der regelmäßig nachmittags wegen der starken Strömungen gesperrt wird, nur zwei Rettungsschwimmer, obwohl 1500 Leute dort baden.

sueddeutsche.de: Der Strand wird nicht komplett gesperrt?

Lüke: Die Kommune will wegen der Wirtschaftskrise, der Schweinegrippe und den Anschlägen auf Mallorca die Leute nicht wegschicken und den Strand dichtmachen, also sperrt sie ihn nur für ein paar Stunden. Ich kann allerdings nicht nachvollziehen, warum dieses Gebiet nur nachmittags lebensgefährlich sein soll. Aber das gilt für alle gefährlichen Urlaubsstrände. Nur kommen eben immer nur einzelne Menschen ums Leben, nicht mehrere auf einmal - das ist meistens nicht spektakulär genug, damit über die Gefahren berichtet wird.

sueddeutsche.de: Woran kann man selbst erkennen, dass das Bad im Meer gerade lebensgefährlich ist?

Lüke: Besonders heimtückisch sind Unterströmungen, die die Schwimmer aufs Meer hinausziehen - über Wasser sind sie höchstens von Experten zu entdecken. Die sogenannten Rip-Strömungen entstehen durch eine Engstelle unter Wasser, etwa durch Felsen - hier muss das Wasser wieder zurückfließen und wird daher schneller und reißender. Hinweise auf Unterströmungen sind etwa Wellen, deren Linie unterbrochen ist, oder ein Farbwechsel des Wassers von blau zu braun - dann wirbelt die Strömung am Grund den Sand auf. Aber für Laien sind solche Phänomene besonders vom Strand aus kaum zu deuten.

sueddeutsche.de: Wie bringe ich als Urlauber in Erfahrung, ob ich eine sichere oder gefährliche Badestelle vor mir habe?

Lüke: Sie sollten Einheimische fragen, die dort wohnen und arbeiten, etwa Strandbudenbesitzer oder Liegenvermieter. Manche würden die eigenen Familien an bestimmten Badebuchten niemals ins Wasser lassen. Das Allerwichtigste ist aber, Respekt vor dem Wasser zu haben.

sueddeutsche.de: Was raten Sie, wenn man doch in eine Unterströmung gerät und aufs Meer hinausgezogen wird?

Lüke: Einige Rip-Strömungen können sehr klein sein, manche sind nur sechs mal sechs Meter groß. Daher empfehlen wir, nicht gegen die Strömung anzukämpfen, sondern sich aus der Strömung heraustreiben zu lassen und dann an anderer Stelle zum Strand zurückzuschwimmen. Aber ein älterer Mensch oder jemand, der in Panik gerät, wird mit einer solchen Extremsituation sicher schlechter zurechtkommen als ein trainierter Sportler.

Ob und wie ein Ertrinkender nach der Bergung aus dem Wasser überlebt, ob er etwa ins Wachkoma fällt, entscheidet sich übrigens in den ersten vier bis sechs Minuten. Auf Mallorca gab es Fälle, da traf professionelle Hilfe erst nach einer halben Stunde ein.

sueddeutsche.de: Wie verhalte ich mich richtig, wenn ich sehe, dass ein Schwimmer in Not geraten ist?

Lüke: Am Meer sollten Sie zwei Dinge unbedingt beachten: Eilen Sie nicht allein zur Rettung, da Sie sich sonst in dieselbe Gefahr begeben. Nach meiner Erfahrung aus den letzten zehn Jahren kommt wohl jeder zehnte Retter selbst ums Leben. Und nehmen Sie einen Auftriebskörper zu Hilfe. Das können Rettungsringe sein, aber auch Schwimmreifen oder stabilere Luftmatratzen.

sueddeutsche.de: Sie beschäftigen sich seit dem Badetod Ihrer Schwester vor zehn Jahren mit den Gefahren am Wasser - schwimmen Sie selbst noch im Meer?

Lüke: Ja, aber nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Unsere Philosophie von Blausand.de lautet: Nie allein und nur an überwachten Stränden. Für Kinder gilt zudem: Niemals aus den Augen lassen.

Ich bin auch Taucher, und da ist die oberste Regel, niemals alleine unterwegs zu sein - das sollte eigentlich auch für Schwimmer gelten. Und Probleme im Wasser sind immer dramatischer als an Land, etwa Krämpfe oder auch Pflanzen: Draußen stolpere ich vielleicht über einen Ast, in einem Badesee verheddere ich mich in Schlingpflanzen und komme nicht mehr los ...

sueddeutsche.de: Apropos - gibt es noch gefährlichere Badeorte als das Meer?

Lüke: In Deutschland ertrinken 90 Prozent der Opfer in Badeseen, Flüssen und Kanälen, während die Nord- und Ostsee vergleichsweise sicher sind. Hier gibt es zum einen überwachte Badegebiete und zum anderen sind die Leute angesichts hoher Wellen und dem Wechsel von Ebbe und Flut für die Gefahren im Wasser eher sensibilisiert. Doch an ruhigen Seen können sich die meisten nicht vorstellen, dass ihnen Gefahr drohen könnte - im Notfall sind aber nur zwei Prozent der deutschen Badeseen überwacht, und bis überhaupt Hilfe kommt, dauert es.

sueddeutsche.de: Was sind denn nach Ihrer zehnjährigen Erfahrung die gefährlichsten Baderegionen Europas?

Lüke: Das verändert sich, wenn die Gemeinden etwa mehr Rettungsschwimmer einsetzen. Generell kann man aber sagen, dass England eine gute Überwachung hat, Osteuropa hingegen eher problematisch ist - hier sind auch Alarmierung und professionelle Rettungssysteme oft zu langsam oder nicht ausgebaut.

Auch Spanien ist ein gefährliches Badeland, die Regierung spricht selbst von 2000 Badetoten im Jahr, ich gehe von noch mehr aus. Die meisten sterben an den Festlandküsten, da müsste man einiges ändern.

Griechenland ist ebenfalls gefährlich wegen der vielen Inseln, auf denen die Strände meist unbeaufsichtigt sind. Hier kann man froh sein, wenn man im Notfall überhaupt medizinische Hilfe bekommt. Allgemein besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Risiko und Überwachung.

sueddeutsche.de: Kann ich schon vor Urlaubsantritt in Erfahrung bringen, ob ich zu sicheren Stränden reise?

Lüke: Eine Informationskette gibt es da leider nicht, das erfährt man erst am Urlaubsort, indem man Einheimische, Dienstleister, andere Urlauber und auch Reiseleiter fragt. Außerdem sollte man sich an die Warnungen halten und etwa bei roten Flaggen nicht ins Meer gehen. In Spanien wurden dann zwar schon Strafen verhängt, aber da muss erst einmal die Polizei gerufen werden - und letztlich wiegen die touristischen Interessen stärker.

sueddeutsche.de: Direkt nach dem Tod ihrer Schwester auf Formentera, die eine andere Frau vor dem Ertrinken retten wollte, gingen die Menschen an derselben Stelle wieder schwimmen. Sie waren auch am Platja Migjorn - was haben Sie empfunden, als Sie die sorglos Badenden gesehen haben?

Lüke: In dem Moment noch nichts, ich stand unter Schock. Doch im Nachhinein kann ich zur Entschuldigung dieser Menschen sagen, dass wohl viele gar nicht wussten, was da passiert war. Wenn ich jedoch für den Strand verantwortlich wäre, würde ich niemanden dort baden lassen, wo kurz zuvor ein Mensch gestorben ist - aber da treffen grausame Schicksale auf grundlegende Urlaubsbedürfnisse.

Die Organisation Blausand.de setzt sich für mehr Badesicherheit in Europa ein, informiert und organisiert Kampagnen, um die Zahl der Ertrinkungsopfer in Europa zu reduzieren - statistisch gesehen 100 Menschen pro Tag.

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