Portugal:Der Winter, der ein Sommer ist

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Mandelblüten statt Schnee: Die Algarve zeigt auch in der Nachsaison ihren Zauber.

Manfred Hölken

Der Novemberwind treibt helle Wolkenfetzen weit aufs Meer hinaus. Und macht, dass sich der Atlantik, der gewöhnlich mit riesigen Wellen auf Europas südwestlichsten Zipfel einschlägt, an diesem Tag müde in die Bucht von Sagres schleppt.

Eine Bucht in Portugal. (Foto: Foto: AP)

Schiffe, die von Amerika kommen, erreicht das Licht des Leuchtturms 80 Kilometer weit draußen auf dem nachtschwarzen Meer, signalisiert ihnen, dass sie in der Alten Welt sind. Dabei leitet sie nur eine einzige Tausend-Watt-Birne. Zum Richtstrahl verstärkt wird ihr Licht durch ein Spiegelprisma im Innern des rot-weißen Leuchtturms.

Ein übergroßer Mond steht über diesem Weltende, von dem vor 500 Jahren die kühnen Fahrten zur Entdeckung neuen Landes im Westen ausgingen. Von hier starteten die Segelschiffe des Prinzen Heinrich, voller Hoffnung und voll von gesalzenem Kabeljau, dem Stockfisch, ohne den die mutigen Seeleute Amerika nie erreicht hätten.

Der Infante Heinrich beherrscht auch die Pousada von Sagres. In Stein gehauen, in Bronze gegossen. Und auch an diesem Abend wird es Kabeljau geben. Aber was für einen! In den Gläsern schimmert weißer Wein, rote und blaue Kelche sind gefüllt mit Wasser.

Eine Blütenpracht herrscht in den freundlichhellen Räumen der Pousada, die den Eindruck eines Gartens erwecken sollen.

Ein Abendessen bei Nuno

Nuno Mendonca hat zum Dinner geladen. Der erst 30-Jährige ist Herr über vier Pousadas de Portugal. Obwohl smarter Managertyp, ist er doch ganz Kind seines Volkes: Immer spielt ein Hauch Wehmut in seinem jugendlich-freundlichen Gesicht.

Er erzählt von seinem Land, dem Wahnsinn der zehn neuen Fußballstadien, die nach der Europameisterschaft 2004 nur noch purer Luxus zu sein scheinen. Sie kosten viel Geld.

Er zuckt mit den Schultern und erklärt sodann die Menüfolge: Ziegenkäsepudding an Blutwurstmousse mit Rosmarinhonig und Mandeln - Gedünsteter Kabeljau, umhüllt von knuspriger Wurst aus Schweinefleisch, auf Kartoffelpüree mit Zwiebeln, Karotten und grüner Soße - Überkrustetes Vanilleeis mit Biskuitkuchen in roter Fruchtsoße. Der Wein erhebt, Geplauder erfüllt den Raum, die hellblauen Wände beginnen sich zu weiten.

Hellblau dann auch der Morgen. Und hellblau wird er sein, der Himmel der folgenden Tage. Weit weg am Horizont Wolkenbänke, irgendwo. Ein portugiesisches Sommermärchen im November nimmt seinen Lauf.

Die Sonne, die um diese Jahreszeit schon sehr schräg am Himmel steht, mobilisiert ihre allerletzten Kräfte und lässt die Gesichter noch einmal brennen. Die rot und gelb gefärbte Steilküste hört kurz vor der Stadt Faro einfach auf. Richtung spanische Grenze beherrschen hier im Süden Portugals Lagunenlandschaften die Orte, wo Meer und Land sich treffen und trennen. Die Sonne sinkt, aber noch immer ist es warm und bleibt warm bis spätabends.

Ein Nonnenkloster in Tavira

Die zweite Herberge, denn nichts anderes heißt Pousada, ist ein ehemaliges Nonnenkloster in Tavira, einem charmanten 20 000-Einwohner-Städtchen. Tavira, das ist Mattigkeit und sich immer wieder neu erschaffende Lebensfreude. Tavira zeigt die Spuren, die eine verschwenderische Zeit hinterlassen hat.

Auch die Geschicke dieser Pousada da Graca in Tavira lenkt Nuno Mendonca. Das Haus ist ein Traum in Ocker. Die Pforten dieser Luxusherberge sind seit Mai 2006 geöffnet. Das Hotel steht auf einem Burghügel an der Stelle des ehemaligen jüdischen Viertels.

Das alte Kloster des Ordens Eremitas de Santo Agostinho mit dem durchbohrten Herzen im Wappen ließ König Sebastian um 1569 für Nonnen erbauen. Im Innern dominiert ein wunderschöner Kreuzgang nach Art der Renaissance mit zwanzig Trompeten am Dachgiebel, die bei Regen das Wasser zielgenau auf Scheinwerfer, die in den Marmorboden eingelassen sind, ergießen. Bunter Regen. Aber es regnet ja nicht, dies Schauspiel muss noch Phantasie bleiben.

Beherrscht werden Haus, Hof und Wandelgang von einer Grille, die so geduldig wie laut nach einem Weibchen ruft. Ihr beständiges Zirpen beseelt die hellerleuchtete Pousada, gehört zu ihr wie seine Einfachheit und architektonische Klarheit, die ihren Höhepunkt findet in der früheren Kapelle, jetzt ein gewaltiger festlicher Saal mit sinnenbetörender Akustik.

Bei der Aushebung eines Schwimmbades wurden Überreste islamischer Häuser aus der Maurenzeit gefunden und sorgsam freigelegt. Mit Pinseln und Staubsaugern gehen die Archäologen vor, man kann ihnen durch eine dicke Glasscheibe von der Bar aus bei der Arbeit zusehen.

Malerisch schön: Portugal. (Foto: Foto: AP)

Groß und funktionell sind die Gästezimmer mit Flachbildschirmen und Internetanschluss. Die Liste der ausländischen Gäste wird mit 13,7 Prozent von Deutschen angeführt.

Historische Herbergen

In der Pousada da Graca offenbart sich die Philosophie, die hinter dieser Form portugiesischen Hotelerlebnisses steht. In den 1950er Jahren wurde die Idee der Pousada geboren. Herbergen, eingebettet in historisches Gemäuer. Oft genug Mauern, die bereits dem Zerfall geweiht waren.

Die Pousadas waren und sind ein Rettungswerk, eine Verbeugung vor Kunst, Kultur und Geschichte Portugals. Ein in Stein gehauener Beweis, dass Altes und Modernes ein anderes Neues bilden können.

Heute sind die 41 Pousadas de Portugal etwas, auf das dieses kleine Land stolz sein kann. Verdienste hat sich dabei die Pestana Group erworben. Die Familie Pestana zeichnet heute verantwortlich für die Schulung des Personals und für den großzügigen Ausbau und die Erhaltung kultureller Substanz.

Seit September 2003 gehören ihr 49 Prozent der Hotelgruppe, 51 Prozent dem Staat Portugal, der aber noch klammer ist als die meisten anderen Staaten Europas und also das Geld und die Aufgeschlossenheit der Pestanas dringend braucht.

Im September kommenden Jahres sollen Bauarbeiten in Estoi beginnen. Dort steht in einem riesigen wilden Garten ein verwunschener Palast vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Voller Erinnerungen an die Geschichte der Baukunst und der Schönheit war der Palast einst eine Reminiszenz an die Epochen mit ihren wechselnden Stilen, die doch aufeinander aufbauen.

Jetzt schlagen nächtens Kunstdiebe die herrlichen farbigen Azulejos von den Wänden und stehlen den Hermen die Köpfe, aber bei Tag sind schon Restauratoren zu sehen, die das Werk des Zerfalls in Augenschein nehmen. Ende 2008 oder Anfang 2009 soll der Palast in all seiner Pracht wieder erstanden sein.

Anmerkung der Redaktion: Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten eröffnete Anfang 2009 die Pousada Palácio de Estoi, ein Hotel der gehobenen Mittelklasse. Die Arbeiten dauern allerdings noch immer an, so dass Gäste den Charme des prunkvollen Ambientes vorerst noch erahnen müssen.

Adresse: Pousada Palácio de Estoi, Rua São José, Estoi, 8005-465 Faro, Portugal (Stand April, 2011)

Vom Palast in Estoi in den Hügeln ist der Weg nicht weit zum Lagunenstädtchen Tavira mit seinen 37 Kirchen, allesamt erbaut vom Militär für Gottes angeblichen Beistand im Krieg der portugiesischen Besatzer in Marokko. Hinein in die Lagune führt ein Fluss, an den sich Tavira schmiegt. Boote liegen an beiden Uferseiten, manche noch im Trockenen, Fischer sind hier zu Hause.

Ein Duft verführt

Im Zentrum zieht ein auffallend schöner und großer Pavillon den Flaneur an. Früher war er wohl ein Markt, heute gibt er Kneipen, Restaurants und Cafés Obdach. Schon der Duft verführt. Hier eine Cataplana zu essen, einen riesigen Topf gefüllt mit Kartoffeln, frischen und getrockneten Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch, Oliven und ihrem Öl, Muscheln, Meeresfrüchten und Seeteufel, bleibt unvergesslich.

Gemächlich fließt der Fluss bergan, die Flut hat drängend eingesetzt, Zeit für einen Bootsausflug weit hinaus in die Lagune zum offenen Atlantik und den Stränden. Ostilios Boot ist eine Nussschale in Blau und Weiß, angetrieben von einem Außenbordmotor.

Sein Gesicht erzählt Geschichten, noch ehe er den Mund aufgemacht hat, Geschichten von Fischfang, Salz, Meer und Wind und was sonst noch im Leben eines Mannes wichtig sein mag. Er trägt eine Hose in verwaschenem Rot und ein orangefarbenes, abgegriffenes Fleece, den Kopf bedeckt eine Baseballkappe.

Ostilio spricht in seinem verschliffenen Singsang, weist hin auf Vögel aus Afrika, auf Störche, steuert hin zu Fischen, die Teile eines Abwasserkanals in einen Whirlpool verwandeln, zu Muschel- und Austernbänken und zeigt, wie hoch die Flut in der Lagune steigen kann, grüßt Fischer in ihren Kuttern, spricht kurz mit den Männern, die im Schlick nach Muscheln graben und dann fällt das Wort "Weltkrieg".

Zwei Festungsruinen sind übrig geblieben von dem Krieg, den die Portugiesen Weltkrieg nennen, als sie Seite an Seite mit den Spaniern gegen die Mauren kämpften.

Sieben goldene Burgen

Daran erinnern im Landeswappen auch die sieben goldenen Burgen, die Alfonso I. Henriques, der erste König Portugals, den Mauren abgerungen hat. Fünf blaue Schilde sollen fünf besiegte Maurenherrscher symbolisieren, während die fünf goldenen Punkte in ihnen an die Wundmale Christi erinnern. Zeichen über Zeichen vom Krieg der Christen und Muslime.

Mehr als einen Meter hoch bäumt sich das kleine Boot plötzlich auf und fällt wieder hinunter ins Wellental, je näher das offene Meer kommt. Die lange Dünung wird stärker, der Respekt vor den Wellenbergen größer. Wie müssen sich erst die Afrikaner fühlen, die in solchen Booten über den Atlantik flüchten? Ostilio dreht geschickt bei, und zurück geht es der jetzt sehr tief stehenden Sonne entgegen nach Tavira mit ihren Häusern in Weiß, Terrakotta und Blau.

Nun, am sich schon andeutenden Abend, enthüllt die späte Sonne Stadt, Land, Fluss mit scharf kontrastierendem Licht. Die Luft ist gewürzt mit Frische.

So verführerisch kann ein November sein. Noch aber sind sie kahl, die Mandelbäume. Im Februar erst werden sie Blüten tragen. Unter den zahlreichen Sagen aus der Maurenzeit, die heute noch gern in Portugal erzählt werden, ist diese eine der schönsten: Ein Emir hatte eine Christin aus dem Norden geheiratet, die alles in ihrem neuen Leben genoss, nur eines vermisste sie über alle Maßen, den Schnee.

Eines Morgens führte der Emir sie auf die Terrasse seines Palastes und so weit ihr Blick reichte, war das ganze Land weiß, weiß vom "Schnee" der Mandelblüten: Algarve.

© SZ vom 7.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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