Oslo:Tausend Jahre alte Zeugen

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Original-Schiffe geben Einblicke in Lebensgewohnheiten und Bräuche der Wikinger. Und verweisen den Helm mit den Hörnern endgültig ins Reich der Sagen.

Ihre letzte Reise unternahm die Königin von Åsa mit dem Schiff - die Seefahrt diente ihrer Bestattung. Mehr als 1000 Jahre danach ist es angekommen, allerdings nicht im Paradies, sondern im Wikingerschiff-Museum von Oslo.

Wikingerschiffs-Bug (Foto: Foto: Uni. Mus. of Cult. Her./Erik I. Johnsen / dpa/gms)

Während der Zeremonie floss das Blut in Strömen, als Priester Hunde, Ochsen und Pferde opferten. Mit Gesang und lauten Eisenrasseln übertönten die Anwesenden die Schreie der Dienerin, die zusammen mit der Königin begraben wurde, beide in wollene Tücher gebettet. Dann schlossen die Priester die Grabkammer und schickten das Schiff auf die Reise ins Jenseits.

"Es wurde nach der Zeremonie mit Torf und Lehm bedeckt", erklärt Direktor Egil Mikkelsen. "Der über das Schiff gehäufte Grabhügel dichtete es hermetisch ab." Holz, Leder und Textilien blieben komplett erhalten.

Nirgends auf der Welt können Besucher so echte Wikinger-Schiffe bestaunen, die wirken, als wären sie gestern an Land gebracht worden. Restauratoren haben sie in mühevoller Kleinarbeit aus Tausenden Stücken wieder zusammen gebaut und mussten dabei nur wenige Puzzle-Teile ersetzen.

Die letzte Reise der ausgestellten Schiffe war die ins Totenreich, der nach Expertenmeinung die beschriebene Zeremonie voran ging. Ein arabischer Gesandter hatte sie im 10. Jahrhundert bei Wikingern an der Wolga miterlebt.

Gelangweilte Seeleute

Zuvor dienten die Schiffe allerdings ganz gewöhnlichen Zwecken. Das beweisen die Gebrauchsspuren wie die Schnitzereien von gelangweilten Seeleuten auf den Planken. "Das Schiff diente der Königsfamilie von Åsa in erster Linie für Besuche von Verwandten entlang der norwegischen Küste", sagt Mikkelsen.

Mit ihrer windschnittigen Form und dem verzierten, nach oben gebogenem Bug und Kiel waren die Schiffe handwerkliche und künstlerische Meisterleistungen. "So ein Schiff heute nachzubauen, dauert ein bis zwei Jahre - wahrscheinlich brauchten die Wikinger auch nicht länger", erläutert der Musemsdirektor. "Deutlich mehr Zeit haben sie aber wohl darauf verwendet, das richtige Holz in den Wäldern Skandinaviens zu suchen."

Die Bootsbauer nahmen nur Bäume, die so gekrümmt waren, dass sie sich ideal in den Schiffskörper einpassen ließen. "Noch teurer als das Schiff war das Segel", erklärt der Historiker. Die bis zu 100 Quadratmeter großen Stofftücher wurden aus einer speziellen, Wasser abweisenden Wollsorte gewebt, was bis zu drei Jahre dauerte.

"Viel schlechte Presse"

Die Ausstellung in Oslo erzählt, wie die Wikinger mit den flachen Schiffen an Küsten oder flussaufwärts Klöster und Städte plünderten oder Lösegelder erpressten. Ihre Gefangenen machten sie zu Sklaven, die sie bis nach Arabien verkauften. Die Horrorgeschichten über ihre Kriegsführung halten Experten zum Teil für übertrieben: "Die Wikinger waren Heiden und haben in der christlichen Überlieferung viel schlechte Presse bekommen", sagt Mikkelsen.

Sie seien auch geschickte Händler gewesen, die vornehmlich Felle exportierten. Und als Siedler kolonisierten die Wikinger nicht nur Russland, Britannien und Grönland, sondern entdeckten bereits ein halbes Jahrtausend vor Kolumbus Amerika.

Die in den Schiffsgräbern entdeckten landwirtschaftliche Geräte, Haus- und Küchenutensilien geben Museumsbesuchern ein gutes Bild von der Lebensweise der Wikinger. Waffen und Schmuck fanden Archäologen nicht in den Schiffen. Lange vor ihnen hatten Räuber die Grabhügel in der Oslo-Bucht untersucht. "Einen Kampfhelm mit zwei Hörnern haben die Wikinger im Krieg übrigens nie getragen", sagt Mikkelsen. Dieses Symbol verpasste ihnen erst die Neuzeit, allen voran Richard Wagner mit seiner "Walküre" aus dem Nibelungenring.

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