National Geographic:Die Erde als Idyll

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"In 125 Jahren um die Welt" ist ein kostspieliges, aber auch kostbares Werk. Darin zu sehen: eine Aufnahme vom Al-Schahid-Monument in Bagdad. (Foto: Steve McCurry/National Geographic/Taschen)

In einer nicht endenden Zeitreise präsentiert das Magazin "National Geographic" ein Fotoalbum über die komplette Erde. Drei Bildbände zeigen Fotografien auf künstlerischem Niveau. Die Motive sind aber oft sehr romantisch aufgeladen.

Von Stefan Fischer

Das erste Bild zeigt sie in Gänze: die Welt. Einmal um sie herum wird es gehen in diesem außergewöhnlichen Buch in drei Bänden, von denen jeder für sich an Opulenz und Masse das meiste in den Schatten stellt, was das Genre der Reisebildbände hervorbringt. "In 125 Jahren um die Welt" heißt das von Reuel Golden herausgegebene, ebenso kostspielige wie kostbare Werk. Eine Anspielung natürlich auf Jules Verne, nur dass es hier nicht um Geschwindigkeit geht, um eine Hatz innerhalb von 80 Tagen oder welche kürzestmögliche Spanne auch immer. Sondern um eine gründliche, geruhsame, mitunter tief in die Vergangenheit reichende Auswertung des Fotoarchivs von National Geographic. Es sind Fotografien auf hohem handwerklichen, oftmals künstlerischem Niveau, die hier zu Hunderten abgebildet sind. Oder aber die Bilder sind zeitgeschichtliche Dokumente. Und manchmal sind sie beides zugleich.

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Ob auf dem Mount Everest oder elf Kilometer unter der Meeresoberfläche: Fast immer, wenn Menschen an besondere Orte der Erde vorstießen, war die National Geographic Society dabei. Die einmaligen Fotos dazu erschienen in ihrem Magazin. Nun wird die Gesellschaft 125 Jahre alt.

Die Bilder. Von Paul Katzenberger

Der erste Weg führt nach Boston, in das Mapparium der Mary Baker Eddy Library. Dort befindet sich ein gläserner Globus mit neun Metern Durchmesser. Die Darstellung der politischen Aufteilung des Planeten wirkt auf den ersten Blick wie ein bemaltes Kirchenfenster. Von dieser plastischen, aber doch sehr abstrakten Verbildlichung der Welt geht es dann sofort an die konkreten Schauplätze.

In seinem Vorwort zitiert der Umwelthistoriker Douglas Brinkley den früheren Vorsitzenden der National Geographic Society, John M. Fahey, der das Ziel dieser Vereinigung mit den Worten beschrieben hat: "Es geht darum, Menschen zu inspirieren, sich um den Planeten zu kümmern." Und weil das in der Regel besser über Emotionen funktioniert als über den Intellekt, setzt auch dieser Band auf die Fotografie, Texte sind auf das Notwendigste reduziert.

Auffallend ist, dass der jeweilige Grad der Industrialisierung kaum eine Rolle spielt in dem Abbild der Welt, das auf dieser fotografischen Reise entsteht. Eine Aufnahme wie die von Erich Lessing, der 1958 in Wolfsburg in einer Werkshalle von VW fotografiert hat, ist eine Rarität - und fügt sich in ihrer geometrisch klaren Darstellung der Arbeitsprozesse dennoch homogen ein in das Umfeld der übrigen Motive. Es dominieren Landschaften, auch urbane und kultivierte; aber die Technik steht selten im Zentrum.

Die Bücher zeigen Fotografien auf hohem handwerklichen, oftmals künstlerischem Niveau: Stelzenfischer an der Küste Sri Lankas. (Foto: Steve McCurry/National Geographic/Taschen)

Wenn Menschen arbeiten, dann überwiegend in der Landwirtschaft, einem Handwerk - oder im eigenen Haushalt. Das verstärkt den historischen Aspekt des dreibändigen Werkes, der ohnehin augenfällig ist, weil viele der Fotografien mehrere Jahrzehnte alt sind. Aber der Eindruck ist eben, dass die Motive bereits im Moment der Aufnahme oftmals weniger ein Teil der Gegenwart waren, sondern vielmehr bereits auf eine vergangene Zeit verwiesen, von denen sie als Relikte übrig geblieben sind. Die Welt, die da in 125 Jahren umrundet wird, ist eine romantisch aufgeladene, zum Teil idyllisierte. Es sind Bilder, die der Reisende heute nach wie vor sucht: Belege dafür, dass die Welt doch noch in Ordnung ist, dass der Mensch noch im Einklang mit der Natur lebt, dass seine schöpferische Kraft größer ist als seine zerstörerische.

Zusammengefallen sind diese beiden Kräfte in der Umsetzung des Ramses-Tempels in Abu Simbel - er wurde zerlegt und an einem neuen Ort wieder zusammengesetzt, also zerstört und neu geschaffen; um nicht unterzugehen im Nasserstaudamm, ebenfalls ein Werk mit einer schöpferischen und einer zerstörerischen Dimension. Georg Gersters Aufnahme dieser gigantischen Arbeiten ist eines jener Bilder, die einen hohen dokumentarischen Wert haben. Da ist das Motiv ganz im gegenwärtigen Augenblick gebannt; und man hat als Betrachter die einmalige Gelegenheit, etwas so Unverrückbares wie diese Kolossalstatuen in Bewegung zu sehen.

Auf manchen Bildern wirken die Fotografierten sehr klein und verloren. (Foto: National Geographic)

Einen Eindruck, den diese Edition nie erweckt, ist der von Menschenleere. Naturfotografie versucht das mitunter: den Menschen aus der Landschaft zu verbannen. Nicht hier. Der Herausgeber Reuel Golden hat die Bilder so ausgewählt, dass sie keinen Zweifel daran lassen, in welchem Ausmaß die Menschen sich die Erde angeeignet haben und sie gestalten. Nichtsdestotrotz wirken die Fotografierten manchmal sehr klein und verloren. Die Qualität dieser Ausgabe ist das Neben- und Durcheinander der Motive, der fotografischen Stile. Der Grad der Inszenierung ist sehr unterschiedlich, wobei die streng komponierte Aufnahme auf keinen Fall die weniger wahrhaftigere ist.

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In der schieren Masse des Dargebotenen gelingt es tatsächlich, sich ein Bild der Welt zu machen. Wobei man feststellt, dass Exotik keine Kategorie ist, die sich nach der räumlichen oder zeitlichen Distanz bemisst - sondern die eigene Perspektive entscheidend dafür ist, wo man sich geborgen fühlt, wo man neugierig wird und wovon man lieber nichts wissen möchte.

Reuel Golden : National Geographic. In 125 Jahren um die Welt. 3 Bände: Europa & Afrika, Asien & Ozeanien, Nord- und Südamerika & Antarktika. Taschen Verlag, Köln 2014. 1468 Seiten, 399 Euro.

© SZ vom 22.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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