Kolonialstädte in Namibia:Der Rest von Lüderitz

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Vom Diamantenfieber in der deutschen Kolonie Südwestafrika sind nur verlassene Siedlungen mitten in der Wüste Namibias geblieben.

Dominik Prantl

Zacharias Lewala hatte das Zeug zum Nationalhelden, nur leider war 1908 die Zeit in der deutschen Kolonie Südwestafrika noch nicht reif für Symbolfiguren mit afrikanischen Wurzeln.

Häusergerippe im Sand in der Geisterstadt Kolmanskuppe bei Lüderitz. (Foto: Foto: Dominik Prantl)

Als Lewala den glitzernden Stein zwischen Sand und Schienen fand, verhielt er sich deshalb so, wie sich das für einen Arbeiter mit dunkler Hautfarbe damals ziemte. Er reichte das Juwel, denn so viel erkannte Lewala, dem deutschen Bahnvorsteher August Stauch.

Der Fund veränderte den Süden des heutigen Namibia, mehr noch: Er prägt das gesamte Land bis heute. Der Stein war der erste in Südwestafrika gefundene Diamant.

Lüderitz, Kreisstadt, 20.000 Einwohner: Gäbe es tatsächlich ein Ende der Welt, eines wie in der Geschichte über Jim Knopf mit einem Scheinriesen und Luftspiegelungen, wäre Lüderitz wohl der letzte Stützpunkt davor. Im Westen wölbt sich bis zum Horizont der Atlantik, den der kalte Benguelastrom an der Küste auf fischfreundliche 15 Grad herunterkühlt.

Nach Osten erstreckt sich die Wüste Namib mit einem Meer aus Steinen und Sand. Die nächste Ortschaft 130 Kilometer landeinwärts trägt den bezeichnenden Namen Aus.

Eine einzige Zufahrtsstraße verbindet Lüderitz mit dem Rest der Welt; an der neuen Eisenbahntrasse wird seit fast zehn Jahren gearbeitet, und Marion Schelkle findet diese Langsamkeit zumindest merkwürdig.

Schelkle hat ihren Souvenirladen in der Bismarckstraße, was ganz gut passt, denn sie ist so etwas wie eine Hüterin des kolonialen Erbes. Sie engagiert sich unter anderem im Kulturrat für den Erhalt der deutschen Kultur. "Die damals haben es ja auch geschafft", sagt sie anerkennend, und meint den Bau der Eisenbahnlinie nach Aus.

Die Linie wurde 1906 in nur zehn Monaten als Transportmittel für deutsche Schutztruppen angelegt, weil sich im Landesinneren der Stamm der Nama doch tatsächlich erdreistete, gegen die Kolonialherren zu rebellieren. Hierher zog Bahnvorsteher Stauch nach der blutigen Niederschlagung des Aufstands, um einen Streckenabschnitt unweit von Lüderitz von Driftsand zu säubern.

Der Asthmatiker hatte sich die trockene Region eigentlich als Arbeitsplatz mit Kurortcharakter ausgesucht. So aber nahm er sein erstes Schürffeld in Besitz. Nur kurze Zeit herrschte der Irrglaube, Stauch habe eher mit seinen Synapsen als den Atemwegen ein Problem, denn seine Beweise waren eindeutig. Er zahlte mit Diamanten in den Geschäften in Lüderitz, er verschenkte sie sogar.

Stauch wurde reich, und mit ihm in den Folgejahren die gesamte Region um die Lüderitzbucht.

Lesen Sie weiter, warum Besucher auf allen Vieren kriechen müssen, um die alte Villa des Minenverwalters zu besichtigen.

Noch immer gibt es in Lüderitz zahlreiche Relikte des Reichtums und der deutschkolonialen Vergangenheit. Das Goerke-Haus, unweit der Felsenkirche, ist ein von Jugendstil-Elementen geprägter kolonialer Prachtbau mit einer kleinen Bibliothek, die vorwiegend deutschsprachige Literatur enthält. Von Goethe über Stifter bis Hesse.

(Foto: Foto: SZ-Grafik)

Die Straßen heißen Hoher Weg oder Nachtigalstraße, nach dem deutschen Afrikaforscher Gustav Nachtigal. Auch Schelkle ist eine Hinterbliebene; ihr Großvater kannte Stauch persönlich. Sie sagt: "Vieles vom Deutschtum ist schon verlorengegangen." Auch habe es zum Jahrestag der Diamantenfunde bislang keine Feierlichkeiten gegeben. Sie möchte aber nicht, dass die Vergangenheit vergessen wird.

Kolmanskuppe, Freilichtmuseum, 100 Touristen: Kolmanskuppe war einmal in Vergessenheit geraten. Nachdem die Minengesellschaft CDM den Betrieb 1930 eingestellt und ihren Stützpunkt 1943 endgültig ins südlicher gelegene Oranjemund verlegt hatte, überließ man die wie hingewürfelt wirkenden Häuser zwischen den Dünen unweit von Lüderitz den Naturgewalten.

Hyänen streunen durch die Gebäude

Erst seitdem der Tourismus auch diesen Winkel Namibias zaghaft erobert, flanieren wieder Gäste durch die Kaiser-Wilhelm-Straße. Die von maroden Gebäuden gesäumte Allee aus Sand kommt immer noch wenig feudal daher.

Zwar ist die Villa des Minenverwalters renoviert, doch durch weiter abseits gelegene Unterkünfte streunen manchmal Hyänen, und der unablässige Südwestwind türmt den Sand in den Häuserecken zu Hügeln. In manchen Räumen steht er so hoch, dass Besucher auf allen Vieren durch den Türstock kriechen. Gerippe aus Dach- und Stützbalken erwecken den Eindruck, als könnten selbst Häuser verwesen. Wasserrohre, einst die Versorgungsadern der Stadt, verlaufen rostend im Sand.

Mittelpunkt der Siedlung ist heute wie damals das von außen schmucklose, innen mit Restaurant, Turnhalle und Kegelbahn ausgestattete Freizeitzentrum. Immerhin zählte Kolmanskuppe zu Beginn des vorigen Jahrhunderts zeitweise mehrere Hundert Einwohner.

Der Ort war das Zentrum des Diamantenfiebers, und mehr noch als Lüderitz Sinnbild eines flüchtigen Wohlstands, der angesichts der wüsten Umgebung deplatziert gewirkt haben muss. Auch mündete er in Folge des Überschwangs nicht selten in Dekadenz. Eine Art Straßenbahn versorgte die einzelnen Häuser morgens mit Eisblöcken aus der Eisfabrik und frischen Brötchen. Abends hielt man sich freilich eher an den Champagner. Der war schließlich nicht wesentlich teurer als das kostbare Wasser, das bis 1910 sogar aus Kapstadt importiert wurde.

Die Damen gingen mit Handtasche, Hut und Rock aus, obwohl der böige Wind an allem heftig zerrte. Das Krankenhaus war mit einem Röntgengerät ausgestattet, ein Luxus zu jener Zeit. Zumeist wurden damit kerngesunde Menschen durchleuchtet, die im Verdacht standen, Diamanten zu schmuggeln.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was Rizinusöl mit Diamantenrückgewinnung zu tun hat.

Wurde ein Edelsteinschlucker ertappt, folgte eine Prozedur mit der Bezeichnung "Diamantenrückgewinnung" oder "Absicherung der Bodenschätze": Nach einer Tasse Rizinusöl rutschte die unverwüstliche Ware ziemlich schnell zurück ans Tageslicht.

Pomona, unbewohnte Streusiedlung im Sand, ein einsamer Geländewagen: Gäbe es ein Ende der Welt, muss man es sich wohl so vorstellen wie Pomona.

Die Siedlung liegt im Sperrgebiet, jenem Reservat von der Größe Brandenburgs, das die Obrigkeit Monate nach den ersten Diamantenfunden zur leichteren Kontrolle des Bergbaus abriegelte. Noch immer müssen sich Besucher den Zutritt genehmigen lassen, am Eingangstor wird auf die empfindlichen Strafen hingewiesen, sollte man auch nur einen Schakalknochen oder einen Sukkulenten mitnehmen.

Der Weg führt im Geländewagen über Dünen und auf Sand- und Schotterpisten an liegengebliebenen Ochsenkarren vorbei mitten in die Namib. Wie Schmirgelpapier fräsen die groben Sandkörner gleichmäßige Rillen in die Felsen. Manchmal zieht kühler Nebel vom Meer heran, an anderen Tagen erhitzt die Sonne die Luft auf weit mehr als 40 Grad.

In dieser unwirtlichen Einöde machte Bahnvorsteher Stauch in der Silvesternacht 1908 seine bemerkenswerteste Entdeckung. In einer Senke, die später als Märchental bekannt wurde, lagen die Diamanten über den Boden verstreut. Schürfen war deshalb vorerst gar nicht nötig, die Arbeiter krochen mit Brustbeuteln und Pinzetten auf Händen und Füßen über den Boden und sammelten die Steine einfach ein.

Später wurde der Boden Meter für Meter ausgesiebt, Tausende über die Ebene verstreuter kleiner Hügel aus Schotter zeugen von dem sorgfältigen Tagebau. 20 Monate reichten, um eine Million Karat aufzusammeln.

Schienen liegen im Sand

In der alten Minenanlage von Pomona hat der Windschliff noch stärker als in Kolmanskuppe seine Spuren hinterlassen. Von Schüttelsieb, Förderband und der später auch hier nötigen Diamantenwaschanlage - den hiesigen Diamantenreichtum in einer so wasserarmen Gegend dürfte so mancher für einen perfiden Schachzug der Erdgeschichte gehalten haben - fällt der Rost in braunen Schuppen ab.

Die poröse Wellblechverschalung scheppert im Wind. Im Sand liegen Schienen, die Strommasten daneben tragen keine Kabel. Die Menschen sagen, die Chance, hier als Tourist einen Diamanten zu finden, sei heute ungefähr so hoch wie auf einen Sechser im Lotto.

Windhoek; Hauptstadt, 250.000 Einwohner: Diamanten findet man nicht, man muss sie kaufen, am besten geschliffen und in Gold gefasst. Der Flug von Lüderitz über Walvis Bay nach Windhoek dauert etwa drei Stunden, man passiert dabei nicht einmal eine Zeitzone, dennoch scheint man mit der Wüste auch ein ganzes Jahrhundert zu überbrücken.

Lesen Sie weiter, warum es in Namibia eine Diamantenpolzei gibt.

Da sitzt man also wieder in der Gegenwart, im Juwelierladen von Andreas Herrle, wo viele reiche und weniger reiche Touristen, Großwildjäger und mitunter auch Diebe verkehren. Eine gute Sicherheitsanlage ist längst wichtiger als Rizinusöl. Aber entscheidender ist Lobbyarbeit.

Herrle ist Vorsitzender der Juweliersvereinigung, und nachdem man eine Minute mit ihm geredet hat, wird klar, dass er erstens sicher ein guter Lobbyist und zweitens die Welt der Diamantenhändler komplizierter geworden ist.

Herrle sagt: "Hier kommt man relativ schnell an die richtigen Leute ran", weil Namibias wirtschaftliches wie politisches Netzwerk recht überschaubar ist. Und natürlich habe sich einiges gebessert. Bis vor zehn Jahren musste er noch nach Südafrika fliegen, um Diamanten zu besorgen, inzwischen kauft er gute Ware bei namibischen Schleifereien.

Allerdings könne man bei der derzeitigen Lage seinen Kunden immer noch nicht garantieren, dass ein Stein aus Namibia komme, obwohl das ein gutes Verkaufsargument sei. Er könne nicht einmal ausschließen, ob es sich möglicherweise um einen dieser Blutdiamanten handele. "Wer geschickt ist und die nötigen Beziehungen besitzt, verschafft einem Diamanten aus dem Kongo einfach ein südafrikanisches Zertifikat."

Und so mündet ein Gespräch mit Herrle zwangsläufig in eine Diskussion über Politik, Geld und Bestechung. Die Antikorruptionsbehörde sitze ein Gebäude weiter, "die wird überlaufen". Heute werden Diamanten in Namibia vorwiegend aus dem Meer über technisch hochgerüstete Schiffe gewonnen, die meisten haben Schmucksteinqualität.

Es gibt eine Diamantenpolizei, die sich auf die Verhaftung illegaler Händler von Rohdiamanten spezialisiert hat. Früher war das ein Kavaliersdelikt. "Inzwischen herrscht ein weltweiter Verteilungskampf um Rohdiamanten", sagt Herrle. Fast alles läuft über die Diamond Trading Company in London. Auch macht er sich Sorgen um den Ruf seinen Landes bei Investoren, weil die namibische Regierung die Lizenzen an Schleifereien willkürlich vergebe.

Der Bahnvorsteher hatte vor hundert Jahren nur ein Schild benötigt: "Edelminenschürffeld Nr. 1, A. Stauch, Aufgestellt am 14. April 1908." Er starb 1947, fünf Jahre bevor bei Bogenfels die letzte Mine um die Lüderitzbucht aufgegeben wurde - mit 2,50 Mark in der Tasche.

Aber selbst Herrle und Schelkle, die sonst viel über die Vergangenheit erzählen können, wissen nicht, was aus Zacharias Lewala geworden ist.

© SZ vom 12.06.2008/lpr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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