Kanada: Zooerlebnis:Menschen von links!

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Verkehrte Welt: Im Zoo Sauvage in Kanada werden die Besucher in Käfige eingesperrt, die Tiere dürfen frei herumlaufen.

Nora Grosse Harmann

Im Zoo Sauvage ist es andersherum: Nicht Elch und Wolf sitzen hier hinter den Gitterstäben, sondern der Mensch. Wer im frankokanadischen Saint-Félicien wildes Getier beobachten will, fährt in Käfigzügen durch den Wald. Und hofft auf einen Bären am Wegesrand.

Hinter Gittern: Besucher im Zoo Sauvage zuckeln im Käfigwagen durchs Gelände. (Foto: Foto: Zoo Sauvage)

Die Käfige mit den grünen Gitterstäben sind eng und stehen auf Rädern. Tierpfleger pferchen je 20 Menschen in einen Käfig. Sie sitzen auf harten Holzbänken und pressen ihre silberfarbenen Digitalkameras durch die Löcher im Gitter. Der Zoo Sauvage stellt die verschiedensten Menschenarten zur Schau: träge Touristen mit Karohemd und Brustbeutel vor dem Bauch, nörgelnde, sich über fehlenden Komfort beklagende Exemplare und sogar ein paar der seltenen Jungmenschen, für die der Käfig mehr Spielwiese als Gefängnis ist.

Zahlreiche Tiere kommen täglich in diesen eigentümlichen Zoo am Lac Saint-Jean, einem riesigen See, sieben Fahrtstunden nördlich von Montréal. Sie können hier eine Menschenvielfalt bewundern, die es sonst nirgendwo auf so engem Raum zu sehen gibt.

Die Käfige fahren als Zug vor den Nasen der Tiere vorbei. Besonders der Schwarzbär, ein bekannter Bewohner des kanadischen Schilds, liebt diese Art von Gemütlichkeit: Faul liegt er am Straßenrand, begutachtet gelassen die vorbeirollenden Verschläge, so, als sähe er fern. Als ein kleiner Junge durch heftiges Schlagen gegen die Gitterstäbe dem Bären besonders nah zu sein versucht, schüttelt er verständnislos den Kopf - meine Güte, wie eigenartig diese Menschen sein können!

Auch der nordamerikanische Elch ist ein häufig gesehener Gast im Zoo Sauvage, obwohl ihn Menschen grundsätzlich langweilen. Damit es im Käfig etwas lebhafter zugeht, reibt er heute sein Hinterteil kräftig an das Gitter, mit zweierlei Effekt: Er wird die lästigen Fliegen los, die sein Fell als Brutstätte nutzen. Und er sorgt für aufgeregtes Menschengeschrei. Derweil kommt der Büffel ausschließlich zum Essen in den Zoo, weil es dort nebst Wald und Unterholz saftiges Gras auf einer großen Wiese gibt.

Der Zoo spricht vor allem Tiere an, die die nördlichsten Länder der Erde bewohnen. Dazu gehören nicht nur Schwarzbär, Elch und Büffel. Auch Wölfe, Karibus, Hirsche und Präriehunde besuchen den Tierpark, um sich die Menschen in den Käfigen näher anzuschauen.

Ungerührt lässt sich ein Elch im Zoo Sauvage bestaunen. (Foto: Foto: Zoo Sauvage)

Aufgrund dieser kulturellen Vielfalt achtet das Zoopersonal streng auf die Sicherheit der Gäste. So darf der allseits gefürchtete Wolf die Menschenzüge nur von einem für ihn abgetrennten Bereich aus betrachten. Und auch wenn sich die Tiere im Park frei bewegen können - ein hoher Zaun trennt den fast fünf Quadratkilometer großen Zoo von der echten Wildnis.

Löwen, Elefanten und Giraffen aus Afrika kommen derweil nicht in den Zoo Sauvage. Ihnen ist der Weg bis nach Kanada wohl zu lang und beschwerlich. Mittlerweile ist der Zoo 50 Jahre alt, sagt eine Fremdenführerin, die sich speziell auf die Bedürfnisse von Karibu-Gästen spezialisiert hat. Vor etwa 30 Jahren sei die Idee entstanden, den Park speziell für Tiere der nördlichen Erdhalbkugel zugänglich zu machen, erklärt sie. Man habe den Tieren, deren Dasein am Lac Saint-Jean hauptsächlich aus Jagen und Gejagtwerden bestehe, etwas komplett Neues bieten wollen.

"Alle Tiere sollten in Kontakt mit Menschen kommen, ohne ihre natürliche Lebensumgebung zu verlassen", erklärt die Expertin das Konzept. "Bis dato mussten sich die armen Viecher immer selbst einsperren lassen, um einen Blick auf den Homo sapiens werfen zu können." Der Zoo wolle zeigen, dass es auch andersherum möglich sei.

Die Idee gehe voll auf: "Manchmal drängen sich die Tiere bis an die Straße, um einen Blick auf die Menschen erhaschen zu können." Das liege aber, so räumt die Tierliebhaberin ein, vor allem an der kostenlosen Nahrung, die regelmäßig an alle Zoobesucher verteilt werde.

Auch das Wohl der Menschen liegt dem Personal sehr am Herzen. In den Käfigen sind daher Lautsprecher installiert, die Musik spielen und in menschlichen Lauten mit den Insassen kommunizieren.

Überhaupt: Jeder Mensch bleibt höchstens eine Stunde lang im Käfig-Waggon verwahrt - denn so lange braucht der Zug durch den Zoo Sauvage. Nach der Tour öffnet einer der Pfleger die Türen nach draußen. Gemächlich trotten die Menschen von dannen. Wie gut sich doch die Freiheit anfühlt!

© SZ vom 26.11.2009/dd - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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