Frankreich:Die Vermählung von Äpfeln und Birnen

Domfront Calvados

In welchem Verhältnis Birnen- und Apfelbrand für den Calvados gemischt werden, ändert sich von Jahr zu Jahr.

(Foto: Ingrid Brunner)

Aus dem Département Orne in der Normandie kommt ein ganz besonderer Calvados. Und anders als früher brennen ihn die Bauern heute ganz legal - nach einem kleinen Aufstand.

Von Ingrid Brunner

Den Job von Didier Thomas hätten wohl viele gerne, doch er ist eindeutig die richtige Besetzung dafür - denn Thomas macht sich nichts aus Alkohol und würde deshalb nie Gefahr laufen, selbst sein bester Kunde zu werden. Seit 1979 arbeitet er in der Kellerei "Les Chais du Verger Normand" in Domfront, einem mittelalterlichen Ort im Département Orne. Sein Reich ist eine Halle, in der viele Eichenfässer neben- und aufeinander gestapelt sind. Von kleinen Fässern spricht er - obwohl sie zwischen 400 und 600 Liter fassen. Und da das Départment Orne in der Normandie liegt, reift in diesen Fässern kein Wein, sondern eine Calvados-Besonderheit: der Calvados Domfrontais.

"Ich fing als junger Kerl hier an, keine 18 Jahre war ich alt. Mein Vater hat mir die Stelle besorgt. Von Calvados hatte ich keine Ahnung", erzählt Monsieur Thomas. Er tat einfach, was ihm der Patron, der damalige Kellermeister, auftrug. Zunächst reinigte er Fässer, machte Bestellungen versandfertig, kontrollierte den Bestand. Und er beschriftete die kleinen Schiefertafeln, von denen an jedem Fass eine befestigt ist, mit Kreide: Jahrgang, Erzeuger, Alkoholgehalt, Menge - die Täfelchen sind noch heute die Visitenkarte des darin befindlichen Getränks. Eine so einfache wie effiziente Art des Kellermanagements - wenn man denn die Kürzel versteht. Was der Laie nicht davon ablesen kann: Was denn nun das Besondere am Calvados aus der Region um Domfront ist.

Hohlwege, Hecken und Gebüsche prägen die Landschaft und halten das Vieh zusammen

Einen ersten Hinweis gibt die Landschaft. Das Département Orne ist geprägt von Hohlwegen, Hecken, Gebüsch und Obstgärten. Die Kleinbauern der Region umgeben schon seit Jahrhunderten ihre Parzellen mit Hecken. Büsche und Bäume waren einfach da, man stutzte sie zurecht, bis sie zu dichten Wällen zusammengewachsen waren. Das hielt den Wind ab und hielt das Vieh ebenso wirksam zusammen wie ein Zaun oder eine Steinmauer. Die Besonderheit sind noch heute die vielen hochstämmigen Birnbäume. Nicht wenige davon sind hundert Jahre alt und älter. Neben Cidre, dem Apfelmost, produziert man um Domfront deshalb traditionell auch Poiré - Birnenmost. Was lag näher, als Calvados aus Äpfeln und Birnen zu brennen?

Der Calvados Domfrontais ist also eine Geschichte von Äpfeln und Birnen. Auch wenn man die einen nicht mit den anderen vergleichen soll, in der Region um Domfront kann man sie immerhin zusammen vermosten. Mindestens 30 Prozent muss, aber bis zu hundert Prozent kann der Birnenanteil dieses lokalen Calvados' betragen. Er schwankt je nach Ernte von Jahr zu Jahr. Vieles dreht sich hier um die Birne, viele Geschichten sind mit ihr verbunden.

So war die Region lange Zeit berüchtigt, weil die Schwarzbrennerei hier Alltag war. Die Bauern gingen diesem Geschäft meist in stürmischen Winternächten nach und hofften, dass die Zöllner bei solch unwirtlichem Wetter zu Hause blieben. In einer Nacht im Jahr 1962 ertappten dann aber doch ein paar pflichtbewusste Kontrolleure einen Bauern auf frischer Tat. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde auf den Höfen, immer mehr Nachbarn kamen, um ihrem Kollegen beizustehen. Plötzlich in der Unterzahl, sahen sich die Zöllner an eine Stallwand gedrängt, angestrahlt vom Scheinwerferlicht der Wagen und Traktoren. Dass sie das Recht auf ihrer Seite hatten, half ihnen wenig.

80 Prozent der Produktion werden exportiert

Was tun, damit die Situation sich nicht weiter zuspitzte? Man holte eilends den Comte Louis de Lauriston herbei. Der Generalsekretär des Bauernverbandes galt als integer und besonnen. Er sollte einen Ausweg finden. Nach zähen Verhandlungen einigte man sich darauf, dass der Schwarzbrenner straffrei ausging. Bedingung war aber: Es musste endlich Schluss sein mit der Schwarzbrennerei. Deshalb wurde eine Kellereigenossenschaft gegründet, in der die Erzeuger ihren nunmehr legal gebrannten Calvados abliefern sollten. Sie trägt den Namen Comte Louis de Lauriston, er war auch der erste Präsident der 1962 gegründeten Kellerei "Les Chais du Verger Normand".

An die 30 Bauern liefern derzeit ihren Calvados in die Kellerei. Eine wichtige Arbeit von Didier Thomas, der längst selbst Kellermeister ist, besteht nun darin, aus den Fruchtbränden der Bauern eine Cuvée zu machen. Dieses Verfahren wird Assemblage genannt, dabei geht es darum, aus den Bränden der Bauern einen harmonischen Calvados zu verschneiden. Das ist die Kunst, die er über die Jahre erlernt hat. "Man sucht die Stärken und Schwächen eines jeden Produkts und vermählt sie entsprechend. Man muss einen Ausgleich, eine Balance finden", erklärt Thomas.

Die "Vermählung" findet immer am 1. Juli des Jahres statt, sieben verschiedene Cuvées werden dann gemacht. Dafür gibt es einen festgelegten Ablauf. Ein Expertengremium tritt zusammen, die Leitung hat Guillaume Drouin, der aktuelle Präsident der Kooperative. "Ein sehr feiner Kenner ist das, wie ein Sommelier", sagt Thomas voll Respekt. Ausschlaggebend für den Geschmack seien aber auch die Lagerung und die Eichenfässer. "Der Austausch des Holzes mit dem Calvados ist enorm wichtig, denn auch die vorher darin gelagerten Brände hinterlassen Aromen." Es ist also ein komplexes Zusammenspiel von Faktoren, das einen guten Calvados Domfrontais hervorbringt. Bis es so weit ist, vergeht viel Zeit: Beim Brennen entsteht eine klare Spirituose, die während der dreijährigen Reifung eine dunkle Farbe zwischen Bernstein und Cognac annimmt. "Die Birne lässt sich herausschmecken, nicht aber der Birnenanteil", erklärt Thomas.

In Frankreich ist der Calvados Domfrontais wenig bekannt - er macht nur ein Prozent der gesamten Calvados-Produktion aus. Doch während die heimische Nachfrage sinkt, steigt jene aus dem Ausland. 80 Prozent der Produktion gehen in den Export, vor allem nach Deutschland, Belgien und Russland. Hingegen ist der Poiré zum Stolz der Region avanciert. Es gibt eine 83 Kilometer lange Route du Poiré; das sind wenig befahrene schmale Straßen, die gerne von Radtouristen genutzt werden. Die Route du Poiré führt durch idyllische normannische Dörfer, zu Erzeugern, die Poiré verkaufen, aber auch Cidre, Saft, Marmeladen, sogar Senf und was man sonst noch alles aus Birnen machen kann. Auch Verkostungen bieten sie an. Sogar ein Musée du Poiré hat man im Ort Barenton im angrenzenden Département Manche eingerichtet. Dort lernt der Besucher, wie wichtig es ist, die Vielfalt an Apfel- und Birnensorten zu erhalten.

Kalbsbries, geschmort in Poiré, Erdbeeren auf Poiré-Gelée: Die Birne ist vielseitig einsetzbar

Diesem Ziel hat sich auch Jérôme Forget verschrieben. Er ist ein besonders engagierter und vielfach ausgezeichneter Poiré-Produzent. In Torchamp, wenige Autominuten von Domfront entfernt, hat er seinen Hof. Er erklärt, wie eng alles verbunden ist: die Gärten, in denen die normannischen Kühe grasen und den Boden düngen, die Insekten, die Vögel, die die Insekten fressen. Die Hecken, in denen Rebhühner und Kleinsäuger einen Lebensraum finden. Der normannische Käse - und eben auch der Poiré sind ohne diese Umgebung nicht denkbar. Die wichtigste Birnensorte für den Poiré sei die Plant de Blanc, erklärt er. "Je langsamer die Fermentation, desto mehr Aromen entwickeln sich." Er ist stolz auf seinen Poiré, den er auch nach Deutschland exportiert.

Reiseinformationen

Anreise: Von Deutschland mit dem Zug oder dem Flugzeug mit Umstieg in Paris nach Rennes. Weiter mit dem Leihwagen, 100 Kilometer bis Domfront. Unterkunft: Belle Vallée in Domfront, romantisches, einsam gelegenes Herrenhaus, das DZ ab 70 Euro pro Nacht mit Frühstück, www.belle-vallee.net; Le Clérisson in Sourdeval, historisches, reetgedecktes Haus, das DZ ab 70 Euro pro Nacht mit Frühstück, www.manoirdeclerisson.e-monsite.com.

Weitere Auskünfte: zum Poiré aus der Region: www.poire-domfront.fr; zur Route du Poiré: www.ornetourisme.com, zum Poiré-Museum (nur auf Französisch): www.parc-naturel-normandie-maine.fr, Restaurant L'Auberge der la Mine: http://aubergedelamine.free.fr; www.normandie-urlaub.com

Ein Bruder im Geiste und ebenfalls ein Sohn der Region ist der Spitzenkoch Hubert Nobis. Er ist in Domfront geboren. Seit 2008 erkocht sich Nobis Jahr für Jahr einen Michelin-Stern. Sein Restaurant L'Auberge de la Mine in La Ferrière-aux-Étangs ist dafür bekannt, dass Nobis bevorzugt regionale Produkte verwendet. Klar, dass Nobis auf Wunsch ein Menü rund um die Birnen seiner Heimat kreiert. Etwa Langustinen im Poiré-Sabayon. Oder Kalbsbries, in Poiré geschmort und - Achtung, jetzt wird es sehr französisch: gespickt mit Andouille de Vire. Andouille ist eine Kuttelwurst, auf deren Fertigung sich laut Nobis nur noch wenige Metzger verstehen. Es ist, wenn man so will, die normannische Antwort auf die bayerische Milzwurst. Wer erst mal schluckt: Es lohnt sich, bis zum Dessert weiterzuessen - Erdbeeren auf Poiré-Gelée mit köstlichem Milchschaum und Poiré-Sorbet.

Wer jetzt noch einen Calvados zum Abschluss nehmen möchte, bekommt ihn selbstredend bei Hubert Nobis. Er kann ihn auch bei Didier Thomas trinken, muss aber akzeptieren, dass Thomas nicht mittrinkt. Dafür schenkt er etwas ganz Besonderes aus: den ältesten Calvados im Keller, Jahrgang 1963, mit 80 Prozent Birnenanteil. Das ist bis heute ein Spitzenwert. Wer da die Birne nicht herausschmeckt, der sollte wirklich beim Obst bleiben.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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