Bretton Woods:Palast der Politik

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Im Mount Washington Hotel in Bretton Woods wurde 1944 eine neue globale Wirtschaftsordnung ausgehandelt. Für einen Film wäre es die perfekte Kulisse.

Von Alexandra Borchardt

Eine Treppe hinaufschreiten, wo kann man das schon noch? Das Stockwerk zum Hotelzimmer entlang fein gedrechselter Geländer über meterbreite, teppichbelegte, zuweilen leise knarrende Holzstufen zu erklimmen, statt sich in einen Fahrstuhl zu zwängen oder den Weg über ein für den Feuerschutz konstruiertes Treppenhaus abzukürzen - so etwas kann mehr entspannen als ein Wellness-Bad.

Vor allem, wenn man dann um die Ecke biegt und sich vor einem die perfekte Einstiegsszene für einen Film abspielt: Zwei junge Frauen, der Garderobe nach gönnen sie sich eine Auszeit von einer Feierlichkeit, sitzen in Ohrensesseln auf dem vorzimmergroßen Treppenabsatz und spielen Schach. In dem Film käme jetzt die Rückblende: Man würde sehen, wie John Maynard Keynes, der britische Ökonom, und Harry Dexter White, der amerikanische Chef-Unterhändler, dort Figuren hin und her schieben. Ein Jahr vor Ende des Zweiten Weltkriegs wäre das. Und es ginge bei ihren Verhandlungen um die Finanzordnung für die Zeit danach.

"Schicksalstage von Bretton Woods", könnte das Werk heißen, wenn man es pathetisch mag. Das Mount-Washington-Hotel in den White Mountains von New Hampshire, einst Schauplatz der berühmten Konferenz, wäre immer noch die perfekte Kulisse dafür. Das Hotel hat schon bessere Zeiten gesehen, aber auch deutlich schlechtere. Die allerschlechteste allerdings hat das Beste im Menschen hervorgebracht. Damals, die Amerikaner waren gerade in der Normandie gelandet, auf den Schlachtfeldern Europas verbluteten Soldaten, in Vernichtungslagern wurden Millionen Menschen ermordet, Städter verbrannten in Feuerstürmen, damals trafen sich hier unter dem Gipfel des Mount Washington 730 Delegierte aus 44 Ländern, um die globale Wirtschaftsordnung für den Frieden auszuhandeln. Ein zweites Versailles sollte es nicht geben. Und womöglich ist es auch ein bisschen der Magie dieses Ortes zu verdanken, dass das gelungen ist - zumindest möchte man das glauben.

Seit seiner Eröffnung 1902 ist das Hotel in New Hampshire ein beliebtes Ausflugsziel. Auf der Wiese davor wird heute Golf gespielt. (Foto: Omni Mount Washington Resort)

Bretton Woods sollte zum Synonym für Stabilität und den offenen Welthandel werden - ein Thema, das heute wieder mehr Aktualität hat, als vielen lieb ist. Als Tagungsort gewählt hatte man das Mount Washington, weil es sich auf dieser Hochebene inmitten sattgrüner Wiesen, umschlossen von bewaldeten Hügeln und beim Spaziergang entlang des Flüsschens Ammonoosuc so wunderbar abgeschieden verhandeln ließ. Wie es sich in den Jahrzehnten zuvor hier schon wunderbar hatte entspannen lassen.

Nach drei Wochen musste die Konferenz enden: Das Hotel war ausgebucht, trotz Krieg

Wie eine Festung erhebt sich das Hotel aus einer Landschaft, die sich im Sommer ideal zum Wandern und im Winter zum Skifahren eignet. Der Architekt hatte es einem spanischen Palast nachempfunden, 1902 wurde es eröffnet. Wo sich heute Familien zum Wochenendausflug, Freundinnen zur Wellness und Firmen zu Motivations-Events treffen, deponierten einst die Vermögenden New Yorks und Bostons ihre Sippschaft samt Personal zur Sommerfrische. In den goldenen Zeiten hätten im nahen Bahnhof 35 Züge pro Tag allein aus diesen beiden Städten gehalten, erzählt Craig Clemmer, der Verkaufsdirektor des Hauses, das heute zur Omni-Hotelkette gehört. Die Konferenz von Bretton Woods, die am 1. Juli 1944 begann, musste nach einer Verlängerung denn auch am 22. Juli enden - einfach weil das Hotel danach ausgebucht war. Urlaub ist Urlaub, auch im Krieg.

Ein Solitär war das Haus vor einem Jahrhundert nicht. Als der amerikanische Geldadel noch nicht so bequem wie heute auf die Bahamas, nach Hawaii oder an die Côte d'Azur reisen konnte, standen den Gästen in den White Mountains 22 solcher Hotels zur Auswahl. "Das waren die Zeiten, bevor es Einkommensteuer und das alles gab", sagt Clemmer. Über Ungleichheit wurde damals wenig diskutiert. Das Mount Washington sei das modernste Haus in der Gegend gewesen. Für die Gäste in den 200 Zimmern sorgten 1200 Angestellte. General Electric hatte ein kleines Kohlekraftwerk für die Anlage gebaut, Thomas Edison persönlich die Elektrik in Betrieb genommen, Tiffany das Glas geliefert. Alle Zimmer waren mit fließend kaltem und warmem Wasser plus Sprinkleranlagen ausgestattet - was ein Grund dafür sein könnte, vermutet Clemmer, dass das Gebäude noch steht. 19 der Luxushäuser in der Umgebung seien Feuern zum Opfer gefallen, erzählt er. Das waren die Zeiten, bevor es Rauchverbote gab.

Die Bar, "The Cave". Während der Prohibition wurde hier Alkohol aus Teetassen getrunken, und das Personal hatte die weitläufig geschwungene Hotel-Auffahrt im Blick, falls Kontrolleure kamen. (Foto: Omni Mount Washington Resort)

Die Wasserleitungen hat man heute noch über sich, wenn man in den opulenten Betten liegt, an die Decke blickt und darüber nachsinnt, wie sich die Diplomaten damals wohl gefühlt haben, wachend in den dunkelsten Stunden der Nacht. Sie wussten ja nicht, dass der Krieg nur noch annähernd ein Jahr dauern und jahrzehntelanger Frieden zwischen den Großmächten folgen würden. Entwickelt haben sie in Bretton Woods ein neues Finanzsystem mit Internationalem Währungsfonds und Weltbank als finanzieller Feuerwehr und das am Dollar orientierte Wechselkurssystem. Erwachsen ist daraus das generelle Gefühl, in Krisenzeiten darauf bauen zu können, dass die Weltgemeinschaft sich als Helfer verantwortlich fühlt, manchmal etwas mehr, manchmal eher weniger.

Welche Routinen sie wohl gehabt haben mögen, die Herren: ein Frühstück im großen Saal mit dem Ausblick über die Hochebene? Eine Zigarre auf der Holzterrasse? Die sei "eine Meile lang, wenn man sechsmal herumläuft", rechnet der Verkaufsdirektor vor.

Ein paar Drinks werden sie sicher genommen haben in der Kellerbar, zu der man früher vermutlich noch gelangte, ohne die unvermeidliche Ladenzeile zu passieren, in der man sich heute bei schlechtem Wetter die Zeit vertreiben kann, wenn einem das Spa zu amerikanisch (Männer und Frauen entspannen getrennt) oder der Indoor-Pool zu klein ist.

Einst deponierten hier die Vermögenden New Yorks und Bostons ihre Sippschaft samt Personal zur Sommerfrische. (Foto: Omni Mount Washington Resort)

Ach ja, die Bar, "The Cave". Das Aufregendste, was man heute dort machen kann, ist, sich einen Cocktail zu bestellen. Es sei denn, man hat ein aufregendes Date dabei. Anders in den Zwanzigerjahren. Damals herrschte die Prohibition, was das Mount-Washington-Hotel umso attraktiver machte. Die kanadische Grenze war nah, die Whiskey-Lieferanten waren es deshalb auch. Getrunken wurde aus Teetassen, und von der Kellerbar aus hatte das Personal die weitläufig geschwungene Hotel-Auffahrt im Blick, falls Kontrolleure kamen. Aus dieser Zeit, so wird hier erzählt, stamme auch der Begriff "Speakeasy" als Synonym für Kneipe. "Dump your cup and speak easy!", wurden die Kunden angehalten. "Schüttet eure Tassen aus und redet so, als sei nichts geschehen!"

Um die Konferenz von Bretton Woods herum gab es andere Dramen. John Maynard Keynes erlitt - auf der eingangs erwähnten Treppe - einen Herzinfarkt und wurde von seiner Frau, einer Primaballerina, im Hotelzimmer gesund gepflegt. Und Harry Dexter White, sein Gegenüber, der sich mit vielen Vorstellungen bei den Verhandlungen durchgesetzt hatte, wurde nach Kriegsende als sowjetischer Spion enttarnt.

Heute mögen es die Hotelbetreiber als Drama empfinden, dass sie schon geplant hatten, mit der ersten amerikanischen Präsidentin für sich zu werben. Hillary Clinton war während einer Verschnaufpause im Wahlkampf in Zimmer 219 abgestiegen und hatte ein Bild von sich aus dem Mount Washington getwittert. Die Geschichte ging bekanntlich anders weiter. Auch das wäre ja eine Szene in einem Film wert, den man sich dann gerne anschauen würde.

Heute treffen sich hier Familien zum Wochenendausflug, Freundinnen zur Wellness und Firmen zu Motivations-Events. (Foto: Omni Mount Washington Resort)

Die Übernachtung im Mount Washington Hotel, das man am besten über den Flughafen Boston erreicht, kostet pro Nacht und Doppelzimmer ab 288 Euro, www.omnihotels.com

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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